„Ich werde auf jeden Fall mit dabei sein müssen“, betonte der uralte Wächter noch einmal. „Und während wir die Séance gemeinsam eingehen, kann ich auch die Schutzblase nicht mehr länger aufrecht erhalten. Ich muss sie aufheben. Denn nur so kann ich mein größtmögliches Potenzial mit in die Waagschale werfen.“
„Es bleibt dabei“, murrte Sovie: „Es bleibt ein Spiel auf Leben und Tod. Ohne Alternative.“
„Nun“, meinte jetzt Kanot Borglin leichthin, „haben wir nicht schon ganz andere Aufgaben bewältigt, bei denen die Chancen sogar noch schlechter standen? Und wir leben alle noch, wie man sieht. Und wir haben ja in der Tat nichts mehr zu verlieren, wie es aussieht, sondern wirklich nur noch zu gewinnen.“
„Unter einer Bedingung allerdings“, meldete sich Claudile wieder mahnend zu Wort.
Alle sahen sie an. Sie erläuterte ihre Bedingung:
„Ich muss während der Séance dominant bleiben, unbedingt. Denn nur ich kann eine Zeitschleife erzeugen. Keiner sonst. Und nur ich kann gut genug mit dieser Fähigkeit umgehen.“
„Du willst die Superséance koordinieren?“, rief Sovie ungläubig. „Aber...“ Sie brach ab und sah hinüber zu Xirr.
Auch dieser schickte sich gerade an, aufzubegehren, doch Claudile kam ihm zuvor:
„Ja!“, antwortete sie beharrlich, ehe Xirr noch einen eigenen Einwand geltend machen konnte. „Nicht weil ich euch auch nur das Wasser reichen kann in Sachen Koordination einer Séance. Also weder dir, Sovie, noch dir, Xirr. Sondern weil wir ganz einfach keine andere Wahl mehr haben. Ihr alle müsst mir also vorbehaltlos vertrauen.“
Xirr und Sovie sahen sich nachdenklich an.
Bis Xirr sagte:
„Gut, einverstanden. Du hast recht, Claudile. Wir könnten es nicht, auch dann nicht, wenn uns in der geistigen Einheit deine Fähigkeit voll und ganz zur Verfügung stünde. Weil wir niemals gelernt haben, damit umzugehen. Dafür müssten wir erst ausgiebig innerhalb von Séancen trainieren, und genau dafür fehlt uns ja nun wirklich die Zeit.“
Sovie nickte jetzt ebenfalls, wenngleich widerstrebend. Aber sie musste es genauso einsehen, wie Xirr: Claudile hatte recht. Sie alle hatten jetzt keine andere Wahl mehr.
Spontan setzten sich die insgesamt mit Claudile fünfzehn Mutanten im Kreis nieder und hielten sich an den Händen, um somit den Kreis zu schließen. Die Projektion des alten Wächters stellte sich mitten in diesen Kreis. Er konnte nicht persönlich anwesend sein. Er war halt in Wahrheit nur eine riesige unterirdische Anlage, wie Xirr und seine Crew wussten, von der aus er sich jedoch an der Séance problemlos beteiligen konnte. Nur um sein unvorstellbares Potenzial an PSI-Energien bei ihrem gemeinsamen Vorhaben mit beizusteuern. Weil es zwingend erforderlich war, sollte der Plan Claudiles gelingen.
Xirr und Sovie vereinten zunächst die Gedanken aller, während sie nacheinander in tiefe Trance fielen, und erst als die geistige Vereinigung vollendet war, übergaben sie aktiv die Kontrolle an Claudile.
Gleichzeitig erlosch die Schutzblase rings um den Planeten HOFFNUNG, was natürlich sogleich von Bord der drei Kriegsschiffe aus bemerkt wurde.
Das lenkte die Besatzungen, einschließlich der insgesamt sechs Supermutanten, erfolgreich von der eigentlichen Gefahr ab, die ihnen durch die Superséance unter der Führung von Claudile drohte.
Zumindest hoffte Claudile das inbrünstig.
10
Claudile fühlte sich sehr mächtig. Doch sie hatte keine Zeit, dieses Gefühl besonders auszukosten. Es kam auf jeden Sekundenbruchteil an.
Zwar hätte sie den Zeitfluss mit ihrer besonderen Begabung verzögern können, doch das hätte ihr einen Teil der Kraft geraubt, die sie dringend benötigte, um ihr eigentliches Vorhaben durchzuführen.
Gedankenschnell katapultierte sie die Gedankengemeinschaft vor Ort. In diesem Zustand schien es für sie keinerlei Begrenzungen zu geben. Ihr erstes Ziel war das Raumschiff mit dem falschen Admiral an Bord. Wenn alles klappte, musste die Séance unbedingt dem Telepathen des Gewählten Hochadmirals auf Axarabor mitteilen, was wirklich hinter diesem vermeintlichen Verrat steckte. Der echte Admiral musste unbedingt rehabilitiert werden. Er hatte seine Treue zum Sternenreich genauso mit dem Leben bezahlt wie seine Frau und seine Tochter. Und das nur, damit ein Gestaltwandler seine Rolle innerhalb der Raumflotte von Axarabor übernehmen konnte.
Dieser sollte als erstes niemals mehr Schaden anrichten können. Er sollte gefangen sein mit allen anderen Besatzungsmitgliedern an Bord seines Schiffes für alle Ewigkeit, um unendlich viele Male immer dasselbe erleben zu müssen.
Eine halbe Stunde musste genügen. Je größer die Zeitschleife sein würde, desto mehr Energie hätte Claudile aufwenden müssen.
Sie konnte sogar selber nicht schlüssig erklären, was sie da überhaupt tat, wie es ihr überhaupt gelang. Sie musste es nur intensiv genug wollen, auch die Begrenzung auf nur eine halbe Stunde.
Immer dieselbe halbe Stunde, das würde eine Hölle ganz besonderer Art sein für die Betroffenen. Doch sie würden sich dessen gar nicht bewusst sein, denn für sie würde diese halbe Stunde jedes Mal neu sein, hier oben im All, in Warteposition, auf der Suche nach einer Möglichkeit, entweder den Planeten HOFFNUNG zu vernichten und mit ihm alle Bewohner auf seiner Oberfläche, oder jene Bewohner einzufangen, um aus ihnen auf grausamste Weise neue Supermutanten zu kreieren.
Sie hatten es nicht nur deshalb verdient. Alle an Bord. Davon war nicht nur Claudile überzeugt. Und dieser Akt, in dem sie die Zeitschleife erzeugte, war nicht nur ein Akt verzweifelter Gegenwehr, sondern eben auch die verdiente Strafe.
Und es gelang.
Dabei hatte das Ganze von der Übernahme der Seelengemeinschaft bis zur Vollendung nur Sekundenbruchteile benötigt.
In diesen Sekundenbruchteilen bekamen die Besatzungsmitglieder an Bord der verbliebenen beiden Kriegsschiffe gar nicht mit, was geschah. Auch nicht die Supermutanten. Obwohl aus ihrer Sicht gesehen das erste Kriegsschiff einfach spurlos verschwand. Sie hätten halt darauf achten müssen, aber sie waren allesamt zu sehr abgelenkt vom plötzlichen Auftauchen des Planeten HOFFNUNG aus der Schutzblase. Und sie wollten jetzt damit beginnen, entsprechende Eroberungsmaßnahmen zu beginnen beziehungsweise die totale Vernichtung vorzubereiten. Je nach den zu erwartenden Gegenmaßnahmen vonseiten des Planeten.
Claudile jedoch hatte völlig anderes vor, von ihnen unbemerkt und vor allem völlig unerwartet. Sie wussten ja noch nichts von einer Zeitreisenden, die solches vermochte.
Das zweite Kriegsschiff verschwand in seiner eigenen Zeitschleife. Blieb nur noch dieses eine übrig, doch Claudile spürte bereits überdeutlich die drohende Erschöpfung. Für winzige Sekundenbruchteile fürchtete sie sogar, dieses dritte Mal in Folge nicht zu schaffen.
Doch da erschien es ihr, als würde ihr neue Energie zuströmen. Der uralte Wächter mobilisierte den letzten Rest seiner eigenen Energiereserven, um ihr diesen letzten Kraftakt zu ermöglichen. Ohne Rücksicht auf eigene Verluste.
Claudile hatte keine Zeit, Dankbarkeit dafür zu verspüren. Sie wusste, dass sie nicht zögern durfte. Und sie tat, was getan werden musste, weil sie ganz einfach