»Keine Sorge, Kisha. Du hast noch genügend Zeit für das Make-up.« Jake drückte sie an sich, strich mit dem Daumen beruhigend über ihren Arm und beobachtete aufmerksam ihre Reaktion, um noch rechtzeitig gegensteuern zu können, falls er sich verschätzt haben sollte. »Wir fangen einfach mit den Fragen an. Das ist ohne Probleme nebenher machbar. Die Fotos kommen später dran.« Mit diesem Vorschlag schien sie glücklicherweise einverstanden zu sein. Erleichtert bemerkte er, dass die Spannung schneller als erwartet aus ihrem Körper wich, ehe sie sich von ihm löste und zum Flügel zurückkehrte. Nun konnte Jake nicht widerstehen, diesen kleinen Triumph, den er errungen hatte, auszukosten. Er ignorierte den Hauch des schlechten Gewissens und wechselte ins gegnerische Team. Auch wenn es auf Kishas Kosten ging, schnitt er hinter ihrem Rücken eine Grimasse und spekulierte darauf, Tom damit aus der Reserve zu locken, wenn der Jake auf seiner Seite wähnte.
Jake spürte, wie sich Wärme in seinem Bauch ausbreitete. Es war ihm egal, ob so etwas Albernes zu einem Interview passte oder nicht, denn es fühlte sich richtig an – zumindest mit Tom. Und bei ihm schienen Jakes Signale tatsächlich anzukommen. Der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand. Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er den Blick senkte und sich auffallend intensiv mit seiner Kamera beschäftigte.
Ein Glücksgefühl durchströmte Jake. Er hatte das Eis gebrochen! Jake schlenderte zu Kisha hinüber und versuchte konzentriert, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Unentwegt wollte sich ein Lächeln auf seine Lippen stehlen. Er wusste, dass er sich in Toms Gegenwart anders verhielt, als er das normalerweise einem Journalisten gegenüber tat. Und genau das vermittelte ihm Kishas durchdringender Blick. Sie hatte ihn entlarvt und hob anzüglich ihre Augenbrauen. Ein, zwei gezielte Fragen würde er sich später sicher noch anhören müssen. Und wenn schon? Warum sollte er sich rechtfertigen? Tom hatte nun mal sein Interesse geweckt.
Er nahm Platz und ließ die gewohnte Routine über sich ergehen. Geschickt hantierte Kisha mit Puder und Pinsel, was Jake mit einem Mal gar nicht so recht war. Das hatte nichts mehr von einem Platzhirsch. Plötzlich zwickten ihn Schamgefühle und es störte ihn, vor Tom geschminkt zu werden. Hielt der ihn jetzt für weibisch? All das nur, weil sie zuvor zu viel Zeit vertrödelt und diese Aufhübschung nicht schon vorab zu Ende gebracht hatten! Seine Bauchmuskeln verhärteten sich und am liebsten hätte Jake Kishas Hand weggestoßen, um diese unmännliche Prozedur zu beenden.
Sie schien nichts von dem Aufruhr in seinem Innern zu merken und puderte hochkonzentriert sein Gesicht, während seine Gedanken um Tom kreisten und ein Herzflattern verursachten.
Jake löste den Blick von Kishas ausladendem Busen, schielte zu ihm hinüber und musterte ihn unauffällig – immer darauf bedacht, seine Position möglichst nicht zu verändern. Er wusste, dass er sich eine Rüge einhandeln konnte, wenn er den Kopf zu weit drehte.
Tom trug ein sportliches Karohemd, unter dessen Kragen ein weißes Shirt hervorlugte. Die Farben passten hervorragend zu Toms Augen und unterstrichen dezent das Blau. Durch den legeren Schnitt war sein Körperbau nur zu erahnen. Höchstwahrscheinlich war er nicht so durchtrainiert wie Jake – aber was machte das schon. Entgegen der landläufigen Meinung musste er nicht neben einer Ken-Puppe aufwachen, um glücklich in den Tag zu starten. Auch wenn es abgedroschen klang – aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen waren ihm Persönlichkeit und Charakter viel wichtiger als das optische Erscheinungsbild. Er liebte schöne Menschen – das Aussehen spielte dabei keine Rolle.
Jake senkte den Blick und unterdrückte ein Schmunzeln. Der Zipfel einer Hemdseite hing weiter nach unten. Tom hatte Knopfleiste und Löcher falsch zusammengefügt. Genau das verlieh ihm in dieser Interviewsituation einen ganz eigenen Charme. Frauen wie Männer erschienen teilweise übertrieben gestylt zu einem Termin. Tom fiel da etwas aus dem Rahmen.
Noch ein Gedanke ging ihm durch den Kopf. Möglicherweise verriet sein Aufzug auch etwas über seine Persönlichkeit. Vielleicht war er unordentlich oder ein Morgenmuffel, der verschlafen hatte. Oder Tom scherte sich einfach nicht darum, dass er einen Weltstar vor sich hatte, was ihn für Jake nur noch interessanter machte und ihn aufmerken ließ.
Hochkonzentriert hatte er inzwischen einen Kugelschreiber gezückt, sah von seinen Notizen auf und schien für die erste Frage bereit zu sein.
Jake konnte dieses niedliche Detail jedoch einfach nicht ignorieren. Er passte einen Zeitpunkt ab, in dem Kisha seinem Mund mit dem Pinsel nicht zu nahekam und er nicht Gefahr lief, den bitteren Geschmack des Puders auf die Zunge zu bekommen.
»Turbulenter Morgen?«, fragte Jake im passenden Moment gerade heraus. Gern hätte er an die lockere Stimmung angeknüpft, doch Tom konnte die Worte offenbar auf die Schnelle nicht einordnen.
»Hm?« Auf seiner Stirn erschienen Falten und in seinen Blick mischte sich Ratlosigkeit.
»Das Hemd«, schob Jake eine Erklärung hinterher und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Um noch deutlicher zu werden, starrte er auf den Saum und zuckte mit den Brauen. Dabei veränderte er minimal seine Haltung. Sofort drückte Kisha ihren Finger gegen sein Kinn und sah ihn streng an. Die Gelbe Karte hatte Jake damit also erhalten.
»Turbulenter Morgen?«, wiederholte Jake. Er schloss gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Pinselstrich die Lippen. Für einen Augenblick herrschte absolute Stille. Dann konnte er zusehen, wie Toms Gesichtszüge entgleisten, als der den Modefauxpas bemerkte. Zumindest hatte er sich so weit im Griff, dass er nicht laut fluchte. Ein anderer Grund für die Bewegungen seiner Lippen fiel Jake nicht ein. Flammendes Rot überzog die Wangen und nun bereute Jake die Bemerkung beinahe schon wieder. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet, sondern allenfalls einen lockeren Spruch erwartet. Es war nicht seine Absicht gewesen, Tom zu blamieren, dennoch bekam Jake die Quittung für seine unbedachten Worte, die dafür gesorgt hatten, dass die aufkeimende Verbundenheit sich in nichts auflöste.
Offenbar verstand Tom keinen Spaß, selbst wenn es nur um dieses kleine Missgeschick ging. Erfahren hatte Jake dadurch auf jeden Fall etwas über ihn. Auch mal über sich selbst zu lachen, musste er eindeutig noch üben. Tom schien seinen Job sehr ernst zu nehmen und hohe Anforderungen an sich zu stellen – und wenn er es nicht schaffte, diese zu erfüllen, schien das an einen Weltuntergang zu grenzen. Würde er seinen Job wiederum auf die leichte Schulter nehmen, könnte er wahrscheinlich nur mäßige Ergebnisse liefern und wäre damit nicht in der herausragenden Position, ein wichtiges Interview für sein Magazin führen zu dürfen.
»Ja, tja.« Jake konnte ihm ansehen, dass er sich mehr als unwohl fühlte. »Aber auf das Interview wird es wohl keine Auswirkungen haben«, fügte er schroff hinzu. Seine Lippen bildeten nur noch schmale Linien und Jake erntete einen eisigen Blick. Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er machte keine Anstalten, seine Kleidung in Ordnung zu bringen.
»Natürlich nicht.« Jetzt war es Jake, dem vor Verlegenheit unangenehm warm wurde. Hätte er doch einfach den Mund gehalten! Er setzte eine ernste Miene auf und sah Tom aufmerksam an, um zu signalisieren, dass das Interview nun endlich beginnen konnte.
Der atmete tief durch und versuchte, seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen, was ihm allerdings nicht auf Anhieb gelang. Dennoch verhielt er sich professionell und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
Beim Sprechen ließ Tom seinen Blick durch die Suite schweifen. »Also, was mir zuerst auffiel … das … das ist ein ungewöhnlicher Ort … für ein Interview.« Seine Stimme verriet, dass er sich wieder auf sicherem Terrain bewegte. Beim Sprechen bewegte er seine Hand, als würde er etwas aufzählen. »Eine ungewöhnliche Herangehensweise. Warum dieser zeitliche Aufwand, die ganzen Einzelgespräche, wenn die Fragen der Journalisten allesamt während einer Konferenz beantwortet werden könnten? Und das sind nicht wenige … bei solch einem Bekanntheitsgrad.«
Erwartungsvoll sah er Jake an. Tom verwendete nur Papier und Stift, registrierte Jake, während er die Intensität seiner Blicke spürte und es ihm alles abverlangte,