Jakes Gedanken überschlugen sich, wirbelten wild durcheinander. Wie hatte das Gespräch derart entgleisen können? Er wusste nicht, wie oder ob er überhaupt noch etwas retten konnte. Einen Versuch musste er auf jeden Fall starten. Sehr viel schlimmer konnte der Artikel, der erscheinen würde, nun auch nicht mehr werden.
»Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe.« Das Pochen in seinem Schädel hatte schmerzhafte Ausmaße angenommen und ließ sich auch durch den Druck seiner Finger nicht lindern. »War wohl alles ein bisschen viel in letzter Zeit.« Genügte das als Entschuldigung für sein Verhalten? Jämmerlich! Journalisten erwarteten Professionalität und Perfektion.
Er hatte sich selbst ans Messer geliefert und Toms Redaktion genügend Material für einen großen Bericht beschert, in dem Platz für allerlei Spekulationen war, die breitgetreten werden konnten. Nervenzusammenbruch, Burnout, Liebeskummer, Starallüren – dies alles und noch viel mehr konnte in den nächsten Tagen in Form von Schlagzeilen auf ihn niederprasseln!
Den noch verbliebenen Teil der Fassade, eine erbärmliche Ruine, musste er um jeden Preis aufrechterhalten, was allerdings gar nicht so einfach war. Als hätte man bei einer vollen Badewanne den Stöpsel gezogen, floss alle Energie ungehindert aus ihm heraus. Der Wunsch, die Augen zu schließen, alles zu vergessen und zu schlafen, wurde übermächtig. Sein Magen krampfte sich zusammen. Wenn Janine mitbekäme, was er da ablieferte, würde sie ihn ganz sicher ungespitzt in den Boden rammen.
Das flaue Gefühl im Magen verstärkte sich. Jake wusste, dass er Tom auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
»Vielleicht … könntest du das einfach streichen?« Jake schluckte angestrengt. Ein armseliger Versuch, an die Gnade eines Fremden zu appellieren, der Geld mit den Schwächen bekannter Persönlichkeiten verdiente. In den letzten Minuten war er immer tiefer gesunken und inzwischen sogar schon auf der Stufe eines Bittstellers angekommen.
Prompt kam Toms Antwort. »Nein, kann ich nicht.« Jake wurde speiübel, doch dann bemerkte er das Augenzwinkern. »Ich hab’s nämlich noch gar nicht aufgeschrieben.« Zum Beweis zeigte ihm sein Gegenüber die leere Seite und lächelte. Sofort löste sich die Anspannung. Dann wurde Tom ernst und dämpfte seine Stimme, als wollte er Jake ein Geheimnis verraten. Dabei war es genau anders herum. Er versprach, eins zu bewahren – und Jake glaubte ihm. »Keine Sorge. Ich überspringe das.«
»Puh, heute ist wirklich nicht mein Tag.« Das musste als Erklärung genügen.
Tom betonte jedes seiner Worte. »Meiner auch nicht.« Er legte den Block beiseite, stand auf und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Jakes Verwunderung mischte sich mit Unsicherheit. Was war das nun schon wieder? Litt Tom unter Hitzewallungen oder hatte Jake mit Tom einen durchgeknallten Fan am Hals, der sich Zugang zur Suite verschaffen konnte? Hatte er sich nur als Journalist getarnt, um hier mit einem Stripteaseauftritt auf sich aufmerksam zu machen und eine Rolle zu ergattern? Nicht, dass er nicht gern mehr über Tom erfahren und auch gern einen Blick auf seinen Körper geworfen hätte, aber so?
Jake sah unauffällig zur Tür und spielte verschiedene Szenarien durch. Sein Sicherheitsteam war in der Nähe, aber würde es ihm gelingen, sie zu alarmieren und sich gleichzeitig einen kräftigen Mann vom Hals zu halten?
Er spannte unwillkürlich seine Muskeln an und drückte sich in den Sessel.
Tom nestelte am letzten Knopf herum. Bereits im nächsten Moment öffnete er sein Hemd. Mit einem schiefen Grinsen sah er Jake an. Ganz offensichtlich hatte Tom heute auch schon die eine oder andere Klippe umschiffen müssen. Auf seiner Brust prangte ein dunkler Fleck. Kaffee, mutmaßte Jake und schmunzelte.
Tom knöpfte sein Hemd wieder zu und machte sich bereit, das Interview fortzusetzen. Jake beobachtete ihn, fühlte ein wenig Neid aufblitzen. Neid auf sein vielleicht langweiliges Leben, das zeitweise einfach vor sich hin plätscherte. Vermutlich kannte er das Gefühl nicht in dem Maße wie Jake, wenn die Erwartungen überhandnahmen und er, im übertragenen Sinne, in alle Himmelsrichtungen gezerrt wurde. Jake sehnte sich im Moment nach dieser Unaufgeregtheit. Tom wirkte einfach – normal.
Die Situation hatte sich zwar eindeutig entspannt, aber das, was Jake aufgebracht von sich gegeben hatte, fühlte sich wie ein Fremdkörper an, den er unmöglich ignorieren konnte. Obwohl Jake wusste, dass es klüger war, den Mund zu halten, wollte er das Gesagte nicht einfach so im Raum stehen lassen. Nervös rieb er seine Finger aneinander. Unglaublich! Was brachte ihn bloß dazu, diesem Mann innerhalb kürzester Zeit Einblicke in sein Innerstes zu gewähren und die Regeln, die Janine ihm eingebläut hatte, so zu missachten? Jake holte tief Luft. Nach einem letzten Zögern ließ er die Maske fallen und hoffte, dass er sich damit nicht vollständig ins Aus manövrierte.
Kleinlaut versuchte er sich an einer Erklärung für sein Verhalten und hoffte auf Verständnis. »Also, das, was ich über Journalisten gesagt habe …« Jake zögerte, ehe er fortfuhr. »Es ist nur so, dass mir ein direktes Gespräch viel leichter fällt als diese unpersönlichen Massenveranstaltungen. Die vielen Gesichter verschwimmen vor meinen Augen und es ist, als ob ich keinen Halt finde. Ergibt das einen Sinn?« Für einen Moment fürchtete er, Tom könnte nach diesem Geständnis lauthals loslachen, doch es geschah nichts dergleichen. Die Befangenheit, die sich wie ein Stachel in ihn bohrte, legte sich, als Tom den Kopf schüttelte und das Geschehene großzügig mit einer lässigen Handbewegung abtat.
»Schwamm drüber. Ich nehme es nicht persönlich. Im Grunde gehöre ich ja gar nicht zu denen. Ich schreibe normalerweise Rezensionen. Bücher sind mir viel lieber – die haben seltener einen Nervenzusammenbruch.« Sein Lächeln brachte Jakes Herz zum Hüpfen. Dann wurde er ernst und senkte den Blick. »Um mich geht es aber gar nicht. Wenn ich noch irgendetwas Brauchbares für den Artikel zusammenbekommen will, dann sollte ich mich jetzt endlich auf meine Fragen stürzen.«
Jake wusste, dass jeder Journalist, der einen Interviewtermin mit ihm ergattern konnte, unter Druck stand, möglichst viele Fragen zu stellen und darauf dann auch Antworten zu bekommen. An Toms Dilemma, wertvolle Minuten vergeudet zu haben, trug Jake eine Mitschuld. Daher machte er ein Zugeständnis, von dem er nicht wusste, ob er es letztlich halten konnte.
»Ich denke, es lässt sich einrichten, dass deine Zeit erst ab jetzt läuft«, warf er ein, um Tom ein wenig den Druck zu nehmen. Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass es durchaus etwas für sich hatte, dadurch großzügig und gönnerhaft zu wirken. »Mach dir wegen Janine keine Sorgen. Sie wird es überleben.« Ganz sicher war Jake sich dessen zwar nicht, aber er verfolgte den Gedanken nicht weiter, sondern war guter Dinge, dass er ihren drohenden Tobsuchtsanfall schon überstehen würde. Immerhin war es ihm sogar gelungen, Kisha zu bändigen. Die Gelegenheit, das Treffen mit Tom zu verlängern, war greifbar und verführerisch.
Tom wirkte erleichtert und stürzte sich hochkonzentriert auf die Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Auch Jake hatte sich wieder im Griff und wartete auf die nächste Frage.
»Okay, dann also zurück zu deiner Kampagne.« Ein Kribbeln huschte über Jakes Nacken. Endlich – die erste vertraute Anrede! Ob Tom es bewusst gesagt hatte oder es ihm herausgerutscht war, weil er sich in seinen Fragenkatalog vertieft hatte, konnte Jake leider nicht beurteilen. Wichtig war erstmal nur – er hatte es sich nicht eingebildet und gestattete sich einen imaginären Luftsprung. »Sie läuft ja bereits eine ganze Weile und war in den Medien sehr präsent. Welches Resümee ziehst du?« Erwartungsvoll hing sein Blick an ihm und Jake musste sich ermahnen, nicht in diesem Blau zu versinken, sondern konzentriert zu antworten.
»Ja, richtig. Heute stehen tatsächlich schon die vorerst letzten Termine an. Danach müssen wir uns leider von einem Großteil des MacKay-Teams verabschieden. Alle sind in den vergangenen Wochen wie eine Familie zusammengewachsen und es fällt schwer, das wieder aufzulösen. Wir hatten eine sehr arbeitsintensive, aber auch großartige Zeit.« Fasziniert beobachtete er Tom. Zugegeben, schon seine eigene