Später, als sie noch am Tisch vor leer gegessenen Tellern saßen, sagte Elfi:
»Wollen wir nicht am Sonntag ein bisschen rausgehen? In den Schwarzwald? Ich hätte Lust, mir mal wieder gründlich die Beine zu vertreten. Ich brauche Bewegung. Und dir würde es auch guttun.«
»Von mir aus gerne, da bin ich immer dabei. Es soll recht warm werden. Ich schau mal in die Karte, vielleicht finden wir etwas, wo man wandern und anschließend gut einkehren kann.«
»Dass du schon wieder ans Essen denken kannst!«
»Darf ich dir noch etwas nachschenken? Wandern und essen. Außerdem weiß ich eines schon jetzt: dass ich am Sonntag wieder Hunger haben werde. Ist das so etwas Besonderes? Täglich wenigstens einmal anständig essen, das ist doch nicht zu viel?«
Dabei musste Grabowski eingefallen sein, dass er für morgen auch die Aussicht auf einen Restaurantbesuch hatte, bei einem Italiener, den er noch in guter Erinnerung hatte. Doch das verschwieg er vorsichtshalber. Aber er war in Gedanken damit wieder in Heilbronn angelangt und sagte mehr vor sich hin:
»Ich glaube, ich werde da hinfahren.«
»Wohin, mein Lieber?«
»Ich dachte an morgen. Nach Heilbronn.«
»Hängt das nicht von deinem Chef ab, was der dazu meint?«
»Wenn ich ihm das plausibel mache und darlege, wie wichtig das ist, dann kann ich auch fahren. Letztlich hängt es also nur von mir ab. Und morgen wird es im Dienst ziemlich unerfreulich werden, da hau ich lieber ab.«
»Habt ihr Knies?«
»Das nicht. Aber vor sechs Wochen hat es eine ziemlich brutale Vergewaltigung gegeben und jetzt ist das Opfer plötzlich verschwunden, wahrscheinlich im Ausland. Das bedeutet, dass die ganzen Ermittlungen abgebrochen werden müssen. Die Kollegen sind deshalb alle sehr aufgebracht.« Eigentlich hatte er davon nichts erzählen wollen. Andererseits brauchte er es auch nicht zu verschweigen. Über Einzelheiten würde er aber bestimmt nichts sagen.
»Schrecklich. Habe ich gar nichts davon gelesen. Stand das in der Zeitung?«
»Ich glaube nicht. Wir würden das auch nicht sehr gerne ausbreiten. Das ist zum Schutz des Opfers besser so. Aber lass uns von anderem reden, das ist zu unerfreulich.«
IV.
Graber saß an dem kleinen Tischchen in seiner Küche, das leer gegessene Müsli-Schälchen hatte er weggeschoben, die Teetasse rechts neben sich, die Kanne in bequemer Reichweite. Er blätterte durch die Zeitung, deren Feuilleton immer dünner und belangloser wurde, während im Lokalteil spaltenlang einer kranken Kastanie nachgeweint wurde, die leider gefällt werden musste. Unter den Todesanzeigen war kein ihm bekannter Name. Er schenkte sich eine weitere Tasse ein und während er den Zucker verrührte, überflog er den politischen Teil. Später auf dem Weg ins Büro nahm er sich meist am Zeitungslädele die FAZ mit, manchmal auch die Süddeutsche.
Er war wohl das, was man einen Morgenmuffel nannte, einer, der den beginnenden Tag erst einmal anblinzelte und sich dann noch einmal auf die andere Seite drehte. Einer, der erst langsam in die Gänge kam und mit einem gewissen Automatismus, der durch nichts gestört werden durfte, ins Bad schlich, später ebenso die Wäsche aus dem Schrank holte und erst mit der ersten Tasse Tee alle Sinne beieinander hatte. Die Zeitungslektüre war sein eigentliches Aufwachen, eine Stunde, in der er gerne allein war, sich sein Leben nicht anders vorstellen konnte.
Ein heiterer Tag, nichts Besonderes stand an, er hatte keine Eile, ins Büro zu kommen. Da fiel ihm etwas ein und er blätterte im Telefonbuch nach einer Adresse. Etwas später holte er sein Fahrrad aus dem Keller, gab den Reifen noch ein paar Stöße aus der Luftpumpe und schwang sich auf den Sattel, die Berggasse hinab, dann auf die Gundelfinger Straße. Nach etwa einem Kilometer bog er links in ein Industriegebiet ab und fand auch gleich die Einfahrt zu einem großen Autohaus. Der Parkplatz, der sich noch weit hinter das Gebäude ausstreckte, war vollgestellt mit Fahrzeugen, in einem Teil wurden vor allem Gebrauchtwagen angeboten, jedem war ein großer Zettel mit den wichtigsten Betriebsdaten hinter die Windschutzscheibe geklemmt, andere Autos waren wohl zur Inspektion oder Reparatur abgestellt. Fast alles waren Nissans. Graber, der sein Fahrrad an den Zaun gelehnt und mit dem Bügelschloss gesichert hatte, schlenderte zwischen den Autos umher, auch einige Geländewagen waren darunter, einen Patrol konnte er jedoch nicht entdecken.
Er ging in den Ausstellungsraum, in dem verschiedene neue Modelle, meist in Silbermetallic, sich dem Betrachter gefällig präsentierten. Im Hintergrund stand ein älteres Pärchen im Mantel mit einem Mann mit offener Lederjacke im Gespräch. Ungestört konnte Graber sich umsehen. Schließlich entdeckte er neben einer ausladenden Yukka-Palme, die ein wohl unvermeidliches Grün-Möbel solcher Ausstellungshallen war, einen Prospektständer, wohlbestückt mit Hochglanzbroschüren, auf denen vor tiefblauem wolkenlosem Himmel sich jeweils ein anderes Automodell im Sonnenlicht zeigte, darunter verschiedene Geländewagen. Er griff sich, was er für richtig hielt. Der Mann mit der Lederjacke eilte an ihm vorbei und sagte dabei:
»Ich komme gleich zu Ihnen, muss nur eben noch eine Kopie machen.«
Graber überlegte, was er eigentlich sagen sollte. Sollte er wirklich als potenzieller Autokäufer auftreten? Würde das nicht zur Folge haben, später mit einer Flut von Anfragen überschüttet zu werden: Haben Sie sich schon entschieden? – Über den Preis können wir selbstverständlich nochmals reden. – Ich habe zurzeit eine besonders günstige Finanzierung im Angebot. Und so weiter. Es war ihm unangenehm, sich nach einem Auto zu erkundigen, das er mit Sicherheit gar nicht kaufen wollte. Aber er brauchte ja seine Adresse nicht herauszurücken. Ich komme dann wieder vorbei, wenn ich mich entschieden habe. Oder vielleicht: Es kommt erst nächstes Jahr infrage, aber ich wollte mich schon einmal vorinformieren. Möglichst sicher auftreten, das verschaffte den größten Respekt. Unbefangen bleiben.
Das Pärchen wurde nun verabschiedet, er hörte noch einige Gesprächsfetzen:
»– schicke Ihnen die Papiere zu. – Selbstverständlich. – So etwa 14 Tage. – Ja, genau, so machen wir’s. Einen schönen Tag noch.«
Dann kam der Verkäufer zu ihm, gab ihm die Hand, als seien sie gute Bekannte, warm und fest, und nannte seinen Namen. Er machte in seiner direkten und selbstsicheren Art den Eindruck, der Chef des Hauses zu sein. Graber stellte sich ebenso vor und sagte dann:
»Ich wollte mich gerne nach dem Patrol erkundigen.«
Sein Gegenüber lächelte ihn an, sah auf den Prospekt, den Graber ihm hinhielt, und meinte:
»Das ist aber nicht der Patrol, da haben Sie den Pathfinder.«
»Die sehen so ähnlich aus. Da habe ich wohl das Falsche gegriffen. Oder ist das nur eine Ausstattungsvariante?«
»Der Patrol ist eine ganz andere Klasse. Ich gebe Ihnen das Richtige.« Und er griff zielsicher hinter sich zum Ständer.
»Wissen Sie, die kann man nicht miteinander vergleichen. Der Patrol hat ganz andere Kräfte. Bis dreieinhalb Tonnen Zugkraft. Das ist etwas sehr Spezielles.«
»Man sieht diese Wagen verhältnismäßig selten hier.«
»Ja, das stimmt. Wir haben im Augenblick auch keinen auf dem Hof. Der Patrol wird nicht so häufig verlangt. Das ist ein sehr exklusives Fahrzeug.«
»Und wer kauft so etwas?«
»Das ist eine gute Frage. Ein Teil sind ausgesprochene Rallye-Fahrer. Die machen Trips durch die Wüste, Afrika-Touren in extremem Gelände. Da braucht man eben entsprechende Fahrzeuge. Sonst haben Sie keine Chance. Und dann gibt es natürlich auch Handwerker mit schwerem Gerät, die einen Anhänger haben fürs Gelände. Zum Beispiel ein Steinmetzbetrieb. Die brauchen so schwere Wagen.«
»Was meinen Sie denn, wie viele von diesen Karren hier in der Gegend unterwegs sind? Also nicht nur in Freiburg, sondern im weiteren