Lorettoberg. Volkmar Braunbehrens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volkmar Braunbehrens
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839241462
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spielten Saxofon, Piano und Schlagzeug eine etwas gemäßigtere Tanzmusik, nur gelegentlich drangen ein paar heftige Bässe von unten herauf, eigentlich war es nur ein leichtes Vibrieren, das sich in der allgemeinen Fröhlichkeit schnell verlor. In den angrenzenden Gesellschaftsräumen ging es ruhiger zu, Sessel und Stühle standen an den Wänden, einige kleine Beistelltischchen. In einem der hohen Zimmer (mit Holztäfelung, vielleicht früher einmal als Bibliothek benutzt) war ein Buffet aufgebaut, nichts Üppiges, nur Fingerfood, aber doch lobwürdig dekoriert: Platten mit Kanapees für alle erdenklichen Beläge aus Schinken, Garnelen, Früchten, Braten oder Käse in immer neuen Kompositionen, die man sich selbst auf kleine Teller aufladen konnte. Gegenüber eine umfängliche Getränkebar. Und überall die freundlichen glatzköpfigen Burschen in ihren dunklen Anzügen, die aus irgendwelchen hinteren Räumlichkeiten ständig für Nachschub sorgten. Wem es auch hier noch zu laut und gedrängt zuging, konnte sich nach oben zurückziehen, die breite Treppe hoch, wo die Räume kleiner und niedriger waren. Hier gab es überall Sitzgarnituren und Tischchen, auf denen sich bereits Gläser und Weinflaschen befanden, für andere Wünsche standen die hilfsbereiten jungen Männer bereit.

      Elfi hatte mit der Zeit eine Menge Bekannte entdeckt und wunderte sich, wen sie hier alles sehen konnte. Wo kamen die ganzen Schönen her? Natürlich hatten viele mit der Mode zu tun, Gesichter, die sie vom Einkaufen kannte, weil sie schon jahrelang am gleichen Ort arbeiteten, bei Breuninger, dem Modehaus Kaiser, einigen kleineren exquisiten Läden. Aber auch Geschäftsleute, Anwälte, Ärzte erkannte sie, Leute, denen sie auf diversen Einladungen schon begegnet war, Künstler, Musiker, regelmäßige Besucher des Konzerthauses oder des Theaters, alle Altersklassen waren vertreten, und fast schien es ihr, als seien es mehr Frauen als Männer, obwohl man sich da natürlich täuschen konnte. Und sogar die politische Prominenz der Stadt war zu finden, der Oberbürgermeister Salomon mit seiner Frau, die gerade an ihr vorbeitanzten, den Alt-OB Böhme mit seiner Frau hatte sie gesehen, den Bundestagsabgeordneten Gernot Erler, einige Stadträte, Frau Viethen, Attai Keller darunter, Herrn von Kirchbach, Herrn Dallmann, sogar den ehemaligen Rektor der Universität, Prof. Jäger, der kaum einen Tanz auszulassen schien.

      Auch sie hatte getanzt, zunächst mit einem alten Bekannten aus Studentenzeiten, inzwischen Anwalt und Wirtschaftsberater, später einmal mit Herrn von Gayling. Immer wieder sah sie den Turban von Monique in der Ferne vorbeiwirbeln, jetzt mit Alexander Heisler in einem fast berührungsfreien, schnellen Getrappel, aber dann war es ihr ein wenig zu warm geworden und sie schlenderte zur Bar. Überall standen Grüppchen beieinander, die sich lieber an Gläsern als an Tanzpartnerinnen festhielten. Wilde Gesprächsfetzen drangen an ihr Ohr, kaum verständlich ohne Zusammenhang:

      »… ein Kriminalroman …«

      »Es ist doch furchtbar, wie alles skandalisiert werden muss.«

      »… handelt von einem Physikprofessor hier.«

      »Wer soll das sein? Weiß man das schon?«

      »Der Medizinerskandal kommt auch drin vor.«

      »Welche Mediziner denn? Der schöne Professor Friedl oder die Doping-Ärzte?«

      »Und wie heißt der Autor?«

      »Juli Zeh.«

      Eine fünfte Stimme mischte sich ein: »Ist das ein Chinese?«

      Lachen erklang: »Nei-hein. Juli Zeh wie August Daumen. Eine Dame.«

      Elfi ließ sich erst einmal ein Mineralwasser geben, ging dann einige Schritte weiter. Hinter ihr standen nun zwei Frauen, die miteinander tuschelten:

      »… so viel Geld habe ich nicht, woher soll ich das denn nehmen? Wir haben so viel im Urlaub ausgegeben …«

      »Soll ich dir mal was verraten? Ist gar nicht so schlimm, wie du denkst.«

      »Ja, du! Ihr habt da etwas andere Maßstäbe.«

      »Nein, hör mir doch mal zu. Ich habe das doch nicht bezahlt, könnte ich mir auch nicht leisten. Ich weiß da eine Adresse in Merzhausen, findest du aber nicht im Telefonbuch, die verleihen Abendroben. Da sind erstklassige Stücke dabei, Designer-Mode, Marken, einfach alles. Es gibt Frauen, die alles nur einmal tragen und dann geben sie es wieder ab, die sind so und haben auch das nötige Kleingeld dafür. Solche Sachen findest du da. Das ist eigentlich ein Laden fürs Theater, die Stuttgarter Oper zum Beispiel arbeitet mit denen. Du musst aber nicht denken, dass du da Kleider findest von Freiburgerinnen, so etwas würden die nie machen. Die haben mehrere Läden noch anderswo und das wird alles schön vertauscht. Das gäbe sonst peinliche Situationen, wenn ich etwas anziehen würde, was Frau Haumichblau schon beim letzten Presseball getragen hat. Was die hier einkaufen, wird nur anderswo wieder angeboten. Und das Schöne ist: Die verleihen auch für zwei, drei Tage. Das kostet dann vielleicht 30, 40 Euro, und alles frisch gereinigt. Die haben ein so großes Lager, da kannst du auch alles andere dazubekommen – passend. Schuhe, Gürtel, Taschen, sogar Hüte. Ich gehe da immer hin, wenn ich einmal etwas Besonderes haben will. Meinst du, ich kaufe das alles? Paaah!«

      »Ehrlich? Hätte ich nicht von dir gedacht.«

      »Musst du ja nicht weitererzählen. Wenn du willst, gebe ich dir die Adresse. Kaufen kann man natürlich auch, und das ist dann etwas teurer, aber alles second hand. ›La scala‹ heißt der Laden. Ist etwas schwierig zu finden und hat auch keine normalen Öffnungszeiten. Wir könnten zusammen hingehen, wenn du willst.«

      »Und das Kleid hier ist von …?«

      Elfi war längst in das nächste Gemach weitergegangen, hatte dort eine Bekannte mit ihrem Partner getroffen. Hier war weniger Gedränge, sodass man auch einen Blick auf die Bilder werfen konnte, die überall an den Wänden hingen und von Spotlichtern beleuchtet wurden. Legrand schien eine riesige Sammlung zu haben, denn das ganze Haus hing voll davon. In der großen Halle waren es großformatige abstrakte Farbkompositionen, hier nun gegenständliche Arbeiten, darunter ein Bild von Martin Kasper, das einen leeren Affenkäfig im Zoo zeigte: gekachelte Wände und eine hellschimmernde Stahltür, dazu ein kalter Betonstrich, von der Decke hingen an Seilen große Baumäste als öde Kletterhilfen, der deprimierende Raum wurde von einem Oberlicht fahl erhellt. Die Bilder im nächsten Zimmer waren der Leipziger Schule zuzurechnen, besonders fiel ein Interieur von Susanne Kühn auf, das mit vielen kunstgeschichtlichen Zitaten arrangiert war, selbst Vermeer konnte man erkennen (ein seitliches Fenster mit Lichteinfall).

      Im Untergeschoss, zu dem man über eine Treppe neben der Garderobe gelangte, heizte eine Band mit donnerndem Bass die Stimmung an. Unter den Tänzern sah man ekstatisch zuckende Einzelne mit geschlossenen Augen, die ihrem Narzissmus frönten, aber auch Paare, die berührungslose Spiegelfechtereien ausübten, gebückt oder in die Knie gehend, dann wieder sich aufstreckend, immer im gegenseitigen, sich anfeuernden Blick, oder welche, die sich in Figurentänzen übten und dabei Rock’n’ Roll-Wendungen und -Drehungen übten. Hier waren vor allem jüngere Gäste oder solche, die ihre Jugendlichkeit unter Beweis stellen wollten. Selbst Dieter Salomon hatte vorbeigeschaut, seine Jacke an die Wand gehängt und im schneeweißen Hemd einige Tänze in den Boden gestampft. Auch Gernot Erler, der alle um einen Kopf überragte, hatte man hier unten gesehen.

      In der großen Halle darüber, wo man wenig von dem Lärm des Kellergewölbes hörte, nur gelegentlich das Wummern der Bässe wie ein untergründiger Pulsschlag zu spüren war, wurde ein maßvollerer Swing gepflegt, der auch älteren Herrschaften zum Tanzen angenehm war. Hier war nun mehr Platz, da alles sich in dem weitläufigen Haus verteilt hatte. Auch Legrand hatte sich hier gezeigt, wie immer umringt von einigen Models (oder die es gerne werden wollten), aber auch von einem größeren Kreis von Leuten umgeben, die die Nähe zu diesem Superstar suchten, und natürlich von den Fotografen. An eine richtige Unterhaltung war unter solchen Umständen nicht zu denken, so flogen Scherzworte hin und her, beifälliges Lachen im vertraulichen Einverständnis. Legrand hielt Hof, immer wieder von Blitzlichtern umspielt, was er keineswegs als Störung zu empfinden schien. Er war mit den Usancen der sogenannten Öffentlichkeit vertraut genug, um zu wissen, dass es nicht allein auf sein Konterfei ankam, sondern auch auf die, die sich an seiner Seite zeigen wollten. Auch ihnen zum öffentlichen Bild zu verhelfen, war er sich nicht zu schade. Denn die eigene Prominenz wurde nur beglaubigt, wenn man an der Seite wirklich Prominenter öffentlich in