Wacken Roll. Andreas Schöwe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schöwe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854453772
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das Billing des eigentlichen Festivals fällt eine weitere wichtige Grundsatzentscheidung: Der Versuch, die Biker für das Wacken:Open:Air zu begeistern und sie mit einem adäquaten musikalischen Programm anzulocken, wird ad acta gelegt. „Biker sind ein sehr spezielles Publikum mit noch spezielleren Wünschen“, bringt Holger die in den vergangenen vier Jahren gewonnenen Einsichten auf den Punkt. „Sie setzen ihre Prioritäten bei möglichst preiswerten Getränken, wollen unter sich bleiben, über ihre Maschinen fachsimpeln – Musik spielt da eher eine untergeordnete Rolle.“ Deswegen fällt das Billing ab sofort mehr Heavy Metal-orientiert aus – Szene-Größen wie Gamma Ray, Skyclad, die Riverdogs, The Tea oder Ex-Iron-Maiden-Sänger Paul Di’Anno und seine Killers finden sich daher ebenso im Aufgebot wie derbe Kapellen à la U.K. Subs, Atrocity, Chemical Breath und Deceased oder Fun-Punker vom Schlage der Prollheads. Finanziell wird das Festival ein kleiner Erfolg, zumal aus dem Park- und Campingplatz-Desaster des Vorjahrs die richtigen Konsequenzen gezogen wurden und dieser ab sofort ebenfalls nicht mehr ohne ein gültiges Festivalticket betreten werden darf: Man zahlt zumindest nicht drauf, zumal mit 4.500 Zuschauern immerhin 1.000 mehr als in den beiden Vorjahren ihren Weg nach Wacken finden. Es scheint also aufwärts zu gehen mit den geschäftlichen Belangen, zumal auch mit der ersten in Eigenregie veranstalteten Tournee – der der Riverdogs – sich ein erster kleiner Erfolg und somit der Weg aus der Krise einstellt.

      In Sachen Marketing schwingen sich die W:O:A-Organisatoren zudem zu den Vorreitern einer innovativen Idee auf: 1994/95 werden erstmals, quasi als Dankeschön vom Weihnachtsmann, den bestellten Tickets Gratis-T-Shirts mit beigelegt – ein Marketing-Tool, das von den meisten Festival-Verantaltern gerne adaptiert wurde, um so den frühen Vorverkauf der Tickets zusätzlich anzukurbeln. Denn eine Faustregel besagt zumindest bis Ende der neunziger Jahre: Die Anzahl der an der Abendkasse verkauften Tickets hält sich in etwa die Waage mit den im Vorverkauf abgesetzten Karten. Nach der Millenniumswende verschiebt sich dieses Verhältnis nach und nach zu bis zu 90 Prozent im Vorverkauf abgesetzten Tickets. Inzwischen können die W:O:A-Veranstalter – wie im Jahre 2008 – bereits im Frühjahr auf einen hundertprozentigen Verkauf ihrer Tickets verweisen; das W:O:A 2009 ist bereits seit dem 31. Dezember 2009, also sieben Monate im Voraus mit 65.000 Tickets restlos ausverkauft.

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      Die legendäre Kuhle, wo 1990 das erste W:O:A stattfand. © Rita Mitzkatis

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      Die Crew des ersten W:O:A in Wacken.

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      Die Bühne des ersten W:O:A 1990. © Christine Besser

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      Ein Blick auf die Technik 1990.

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      Skyline live auf der Bühne 1991. © Christine Besser

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      Hansi von Blind Guardian live in Wacken 1992

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      Doro mit Band live in Wacken 1993. © Rita Mitzkatis

      1995–1997: Die Medien werden aufmerksam

      1995

      Endlich! Jetzt werden auch die Medien auf das Wacken:Open:Air verstärkt aufmerksam: Über den gerade gegründeten Kölner Musiksender VIVA, und da im Speziellen im Rahmen der Sendung „Metalla“, flimmern Ankündigungen zum diesjährigen W:O:A direkt auf die heimischen Mattscheiben der Headbanger. Und auch die Redakteure des Dortmunder Rock-Magazins „Rock Hard“ zeigen in der Kuhle Präsenz.

      Und obwohl sich Holger wieder einigermaßen von seinen Unfallfolgen erholt zeigt, engagiert sich Bauer Uwe Trede, der die Organisatoren in der Leidenszeit der letzten 18 Monate maßgeblich unterstützte und entlastete, weiterhin als „Park- und Campingplatz-Manager“, akquiriert darüber hinaus von den benachbarten Bauern weitere Flächen, um die dringend notwendige Erhöhung der Aufnahmekapazitäten des Veranstaltungsgeländes zu gewährleisten.

      Einen kleinen Rückschlag gibt es allerdings bei der Besetzung des Billings: Die Böhsen Onkelz – Wunschkandidaten als Headliner – organisieren in diesem Jahr ihr eigenes Festival in Northeim und sagen für das W:O:A ab. Dafür erweisen sich die schwedischen Gothic-Metaller Tiamat als Glücksgriff: Dank ihres am 10. Oktober 1994 auf Platz 29 in die deutschen Albumcharts eingestiegenen Albums Wildhoney (die Scheibe hielt sich für die damalige Zeit sensationelle neun Wochen in den Albumcharts) gelten die Mannen um Mastermind Johan Endlund auch im Sommer 1995 immer noch als Band der Stunde und bescheren den Organisatoren mit 5.000 Zuschauern einen erfreulich starken Zulauf. Aber auch Szene-Pro­tagonisten wie die dänischen Pretty Maids und ihre Landsleute von D-A-D sowie die brasilianischen Progressive-Metaller Angra gelten unter den Traditionsmetallern als sehenswürdige Attraktionen, während die Fraktion der ganz auf hart programmierten Headbanger das Debüt von Temple Of The Absurd, der neuen Band von Holy-Moses-Frontfrau Sabina Classen, und den Brutalo-Thrashern Hate Squad bestaunen. (Mehr dazu ab Seite 170)

      Auch wenn die restlichen Unternehmungen von Stone Castle Promotion – zum Beispiel die organisierten Konzerte im Schenefelder Club High Noon, aber auch die Kooperation mit örtlichen Veranstaltern in Schwerin – nicht unbedingt den Karren aus dem finanziellen Dreck ziehen: Die Kriegskasse vermeldet zumindest keine neuen Löcher.

      1996

      Zu Jahresbeginn sieht es nicht im Geringsten danach aus, dass sich das W:O:A 1996 zum Wendepunkt in der Wacken-Historie entwickeln würde. Im Gegenteil: Mit den deutschen Trash-Protagonisten Kreator als Headliner hoffte man zwar, das Niveau der Zuschauer wenigstens auf das Level des Vorjahres hieven zu können. Doch noch Anfang Juni stockte der Ticketvorverkauf mal gerade so bei 1.000 Eintrittskarten – ein weiteres Desaster bahnte sich an. Hektisch wird nach weiteren zugkräftigen Acts gesucht, die mit ihrem Auftauchen im Billing den Vorverkauf ankurbeln könnten – auch das Management der Böhsen Onkelz ereilt eine neuerliche Anfrage aus Wacken.

      Diesmal erhalten die Norddeutschen zum Glück das Okay aus Frankfurt/Main. Allerdings bereits derart kurzfristig, dass der neue Headliner eher schlecht als recht in der kurzfristig neu organisierten Plakatierung berücksichtigt werden kann.

      Dennoch: Knapp 10.000 Schwermetaller zieht es letztlich nach Wacken – das Dorf wird förmlich von den in schwarz gekleideten Gestalten überrannt. Kilometerlange Staus entstehen, in denen sich plötzlich auch neben ganzen Hochzeitsgesellschaften Dorfbewohner wiederfinden, die die verhältnismäßig wenigen „langhaarigen Bombenleger“ dort in der Kuhle bisher kaum zur Kenntnis nahmen. Doch jetzt stehen die 1.850 Dörfler verdutzt in ihren Vorgärten, beobachteten, wie sich eine dunkle Menschenmasse zu Fuß und in fahrbaren Untersätzen Magma gleich der Hauptstraße entlang wälzte – und fragen sich: „Watt’n datt?“

      Vor der Bühne das gleiche Bild wie im Dorf: Chaos allenthalben, überall dicht an dicht gedrängte Fans, die es in erster Linie der Onkelz wegen in die Kuhle zog. Doch auch das – ziemlich harte – „Beiprogramm“ sagt den Metallern zu: Allen voran Kreator, die U.K.-Punk-Institution The Exploited, Gorefest und Crematory bieten derbsten Stoff vom Feinsten, während aufstrebende Bands wie einmal mehr Temple Of The Absurd, Theater Of Tragedy und die Holländer The Gathering verstärkt auf sich aufmerksam machen. Und eine weitere Tradition wird 1996 geboren: Der Wacken-Kehraus mit Onkel Tom, der zum Ausklang noch einmal Sauflieder vom Feinsten bietet.(Mehr dazu ab Seite 164)

      So schwarz sich die Endabrechnung am 10. August 1996 auch gestalten soll, so schwarz bleibt der Stern, unter dem die „Nebenaktivitäten“ von Stone Castle Promotion stehen. So muss das Duo Hübner/Jensen bereits im Frühjahr erkennen, dass sich im nahen