Wacken Roll. Andreas Schöwe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schöwe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854453772
Скачать книгу
Diese Kuhle dient nicht nur als „Veranstaltungszentrum“, sondern gleichzeitig auch als Park- und Campingplatz. 3-in-1, sozusagen.

      Folglich muss nur noch ein geeigneter Termin gefunden werden. Da in den anvisierten Monaten Juni und Juli europaweit bereits Festivals satt den Terminkalender ausfüllen, bleibt nur der ungünstige August als Alternative. „Ungünstig“ deshalb, weil zumindest in den achtziger und neunziger Jahren sämtliche Agenturen ihre Bands in diesen beiden Monaten auf Tour schickten, um so die Chance zu erhöhen, ohne großen logistischen Aufwand in so manches Billing der etablierten Events rutschen zu können. Ab August hingegen herrscht auch im Rock-Business in der Regel das viel beschworene Sommerloch und somit Pause. (Wie sich die Zeiten ändern: Inzwischen mauserten sich die ersten August-Tage deswegen zum Kassenknüller, weil es so ziemlich das einzige Wochenende ist, an dem sich die Bürger aller Bundesländern trotz Staffelung meistens gleichzeitig an den Ferien erfreuen.)

      Das Billing steht recht schnell. Thomas Jensen trumpft mit seiner Cover-Kapelle Skyline auf, durch seine Kontakte können noch weitere Acts für die Teilnahme am 1. Wacken:Open:Air begeistert werden wie zum Beispiel die in Metaller-Kreisen hoch geschätzten Wizzard, die besonders im Großraum Hamburg über eine treue Anhängerschaft verfügenden 5th Avenue sowie Axe’n Sex, Motoslug und Sacret Season.

      Die Organisation wird – ebenfalls kostensparend – möglichst über Freunde und private Kontakte abgewickelt, wie Holger erzählt: „Von einem Zeltbauer liehen wir uns die Giebel, stellten sie selbst auf, während wir uns von der Spedition Lagerpusch um die Ecke einen Trailer mieteten, auf dem wir praktisch die gesamte PA installierten. Strom holten wir uns per Verlängerungsschnüre vom nächstgelegenen Hof.“ Als sanitäre Einrichtungen dienen ein Toilettenwagen und zehn auf dem Gelände aufgestellte Dixi-Kabinen – die „Security“ besteht im Wesentlichen aus zwei Kumpels vom örtlichen Biker-Club, deren Job sich auf die Kartenkontrolle am Einlass sowie auf das lockere Schlendern über den Platz, grimmig Schauen und Mitfeiern beschränkt.

      Und so wird am Freitag, den 24. August 1990, um 19 Uhr vor etwa 800 Metalheads der Auftakt vollzogen zu einer geschichtsträchtigen Veranstaltung, von der niemand der in der Kuhle Stehenden auch nur ansatzweise ahnt, wie sehr damit die Metal-Szene weltweit revolutioniert werden soll. Denn an jenem Freitag steht nur eins im Vordergrund: der Party-Spaß bei lauter Musik und Delirium verheißenden Getränken …

      In den Spielpausen und während der Bühnenumbauten legt DJ Hübi heiße Scheiben auf – etwa 500 Gäste „feiern Heavy Metal“ bis Ultimo und rund um die Uhr. Zum sonntagmorgendlichen Aufräumen und Müllsammeln torkelt jeder, der sich nach dem Besäufnis der letzten Nacht wieder einigermaßen auf den Hinterhufen halten kann. Bereits zu diesem Zeitpunkt – und während der After-Show-Party in den Räumlichkeiten des Motorradsportclubs Vaale – kursieren Fantastereien, was man denn in zwölf Monaten so alles auf die Beine stellen würde. Und da die Mentoren des Festivals finanziell nicht drauflegen müssen, nahezu plus/minus Null bilanzieren, steht tatsächlich rasch fest: Auch im nächsten Jahr gibt es wieder ein Wacken:Open:Air. Denn auch von der Nachbarschaft und aus dem Dorf gab es keinerlei Beschwerden, die eine Neuauflage des Events eventuell verhindert hätten. „Eigentlich teilte sich die Dorfbevölkerung in zwei Lager“, gibt Holger Hübner zu Protokoll. „Diejenigen, die mit uns mitfeierten – und diejenigen, die das alles nicht interessierte. Erst als 1996 im Zuge der Onkelz-Show Wacken einem unverhofften Massenansturm ausgesetzt war, wurden sie hellhörig und nahmen Notiz von unserem Treiben dort in der Kuhle – und setzten die kontroversen Diskussionen ein, ob man denn das alles so noch einmal bräuchte …“

      1991

      So improvisiert, wie vor zwölf Monaten alles begann, wurde nun auch die zweite Auflage der großen Sause in der Kuhle in Angriff genommen. Fest stand nur eins: Thomas Band Skyline würde – natürlich – dort erneut aufspielen.

      Allerdings werden bereits in den ersten beiden Jahren, als das Wacken:Open:Air noch den Charakter einer (O-Ton Thomas Jensen) „Gartenparty“ besitzt, bis in die Gegenwart gültige Weichenstellungen vorgenommen: Das auf harte, extreme Musik ausgerichtete ­Konzept ist bis heute kompromisslos gültig, ebenso die Strategie, auf eine gesunde Mischung aus nationalen und internationalen Bands – respektive Newcomern und etablierten Legenden – zu setzen. Camping-Möglichkeiten mit dem fahrbaren Untersatz direkt neben dem Zelt sind selbstverständlich – Verbesserungsvorschläge und Anregungen seitens der Besucher, die so die Chance besitzen, „ihre“ Fete mitzugestalten, ausdrücklich willkommen. Der Party-Faktor sollte auch weiterhin oberste Priorität genießen – das DJ-Zelt mauserte sich mit den Jahren zum Party-Zelt, später dann zur Party-Stage.

      Auch in personeller Hinsicht zeichnet sich das W:O:A-Team frühzeitig durch Stabilität aus: Die Kartenbestellungen für das Event nahm Andy Gösers Mutter Regina bis einschließlich 1994 zuhause entgegen – im Prinzip entstand daraus später die Wacken-eigene Kartenvorverkaufsagentur MetalTix. Als Security fungierten bis einschließlich 1996 unter anderem auch die Jungs von den befreundeten Biker-Clubs MC Atrox und MSC Aasbüttel. Firmen aus der Region stellen – früher wie heute – unter anderem Zelte, Bewirtschaftung und andere Dienstleistungen sicher. Und auch auf der musikalisch-technischen Ebene gilt: Wer einmal als Techniker im Schlepptau irgendeiner Band in Wacken aufkreuzt, bleibt dort in der Regel auch „kleben“. So wie der als freier Toningenieur unter anderem für Saxon und Blind Guardian arbeitende Uli Thiessen, der auch heute noch für den guten Sound in Wacken sorgt. Oder Gerald Wilkes, der ab 1995 mit seiner Agentur Continental Concerts das Ressort des Band-­Bookings professionell betreut. Nicht zu vergessen Thomas Hess, der 1996 als Tourmanager die Böhsen Onkelz begleitete – und der seitdem für das W:O:A die Produktionsleitung übernimmt.

      Doch selbst wenn sich in den ersten beiden Jahren die „Gartenpartys“ insofern rentieren, als dass die Veranstalter nach dem Event „plus/minus Null“ bilanzieren: In dem Moment, in dem sich das Festival etabliert und als feste Größe auf der Open-Air-Landkarte erscheint, wird aus dem Spaß schnell Ernst und sind die Wacken-Jungs – wohl gemerkt: allesamt als Autodidakten in das Business geraten – kommerziellen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Zum Beispiel dieser, dass mehr Gäste – zur zweiten Auflage besuchten mit etwa 1.300 Fans um die 500 Gäste mehr als im Vorjahr die Sause – auch mehr Kosten verursachen, und sei es nur hinsichtlich der Müllbeseitigung beziehungsweise der Abwasserentsorgung, für die anfangs noch das örtliche Klärbecken herhalten musste (das aufgrund des plötzlich großen Zulaufs schon mal zu kippen droht). Oder dass sich der Aufbau professioneller Strukturen für nur eine einzige Veranstaltung im Jahr nicht lohnt, weil das ökonomische Potenzial dieser Strukturen die restliche Zeit der zwölf Monate nicht brachliegen sollte, also genutzt werden müsste, – zum Beispiel für die Organisation von Tourneen oder anderen Veranstaltungen.

      Genau das nehmen Hübner, Jensen & Co. in Angriff: Zwischen den Festivals verdingen sich Stone Castle Rock Promotion verstärkt als lokaler Konzertveranstalter, sammeln dabei weitere Erfahrungen im Bereich des Bookings, der Event-Werbung und der Organisation von Veranstaltungen, knüpfen dabei wertvolle Kontakte. Wohlgemerkt: Alles nebenberuflich. Noch …

      1992

      Ab jetzt wird geklotzt und nicht gekleckert: Um dem Image einer Wald-und-Wiesen-Party zu begegnen, installieren die Organisatoren erstmals eine Bühne plus PA und Lichtanlage mit professionellen Dimensionen in der Kuhle. Im Bestreben, die dadurch entstehenden höheren Kosten aufzufangen, werden Agenturen kontaktiert, die Werbepartner und Sponsoren vermitteln (bisher trat als solcher lediglich Holgers und Thomas Kumpel Hinnerk Husmann mit seiner Firma Aquafant in Erscheinung). Allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Letztlich zappelt lediglich der Zigarettenkonzern Prince Denmark an der Angel und ist bereit, etwas Geld aus seiner Portokasse locker zu machen: „Als sie unseren Plakat-Entwurf mit unserem Logo, dem Wacken-Totenschädel, sahen, kriegten sie die Krise“, erinnert sich Holger. „Sie bestanden auf normierte Plakate, die sie neben dem W:O:A für die in diesem Sommer stattfindenden Open Airs in Jübeck, Wallsbül und Rendsburg verwenden könnten. Wir ließen uns darauf ein – aber nur dieses eine Mal, und in Zukunft nie wieder.“

      So entsteht der Slogan „Sponsored by Nobody“ – von niemandem gesponsort …

      Das W:O:A 1992 geht schon alleine deshalb als erstes „richtiges“ Open Air in die Wacken-Annalen ein,