The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454151
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vor allem die Schlagzeuger aller gastierenden Gruppen machten bald Keiths Bekanntschaft, der so etwas wie ein Klubmaskottchen wurde.

      Was er in den langen Nächten im Klub sah und hörte, probierte er umgehend auf dem eigenen Schlagzeug aus, allein oder mit den Strangers, die sich ­allmählich zu einer homogenen Gruppe entwickelten.

      Auftritte blieben allerdings selten, da keiner der Musiker auch nur ansatzweise­ über den erforderlichen guten Ruf oder gar über geschäftliche Beziehungen zum Musikbusiness verfügte. Gigs in richtigen Klubs wie etwa dem Oldfield, wo die Detours etwa um die gleiche Zeit Fuß fassten, waren für Keith und seine szenefernen Kollegen nahezu unerreichbar. Sie hatten zwar ein recht anspruchsvolles Liveprogramm einstudiert, vor allem mit Rock’n’Roll aus den USA, aber öffentlich kamen sie damit nicht recht weiter.

      Vermutlich engagierten sie aus diesem Grund einen „Manager“, von dem wir allerdings nur aus einem Zeitungsartikel wissen, der in The Complete Chronicle Of The Who abgedruckt ist. Er hieß Brian und war laut eigenem Bekunden zufällig an die Strangers geraten, als er auf einem Spaziergang durch East Hill eine ihrer halb öffentlichen Proben mitgehört hatte. Man kam ins Gespräch und dann zum Schluss, dass vor allem eigene Songs fehlten, wenn man den musikalischen Durchbruch schaffen wollte. Brian setzte sich also flugs hin und schrieb die ersten vier Kompositionen seines Lebens, die dann die Gruppe allesamt übernahm. Daraufhin machte er sich im Eiltempo daran, The Strangers zu künftigen Hitparadenstürmern zu formen. Das suggeriert zumindest besagter Artikel. Demobänder wurden­ aufgenommen, die leider bis heute verschollen sind, und angeblich kam nun auch immer mehr zahlendes Publikum in den Genuss der in Gold gewan­deten­ Newcomer.

      Dokumentiert ist immerhin eine BBC-Session vom 9. September 1962. Das Unterhaltungsprogramm des öffentlich-rechtlichen Radiosenders suchte ständig neue Bands, und so erhielten auch The Strangers eine Einladung zum Vorspielen. Sie schrammten nur knapp an einem Überraschungserfolg vorbei, denn sie unterlagen gegen The Dave Clark Five, eine Formation mit weitaus mehr Erfahrung, die später im Gefolge der Beatles die USA eroberte und mit Hits wie „Glad All Over“ (1964) und „Over And Over“ (1965) auch in Deutschland leidlich erfolgreich war. Angeführt wurde die Gruppe von ihrem energischen, singenden Drummer Dave Clark, und es ist anzunehmen, dass Keith aus dieser Begegnung weitere­ Inspiration für sein künftiges Bühnenleben bezog.

      Brians organisatorische Meisterleistung für The Strangers war eine sechs­monatige Deutschlandtournee. Er hatte eine Reihe von vertraglich zugesicherten Engagements in Militärstützpunkten der USA aushandeln können und wollte dies als Sprungbrett für eine internationale Karriere nutzen.

      Leider kam die groß angekündigte Tournee nie zustande, weil Keiths Eltern ihre Erlaubnis verweigerten. Keith war gerade erst sechzehn geworden und hatte einen sicheren Job. Noch – denn wer ihn kennt, ahnt schon, dass Keith im geordneten Gefüge einer behördlichen Druckerei keine große Zukunft beschieden war. Tatsächlich nahte das Ende seiner Anstellung, als Keiths anarchistische Seele zielsicher die Möglichkeit zum größtmöglichen Skandal in Form einer militärischen Ehrenbeleidigung ausgemacht hatte.

      In der Druckerei gab es einige verdiente Ladies und Kriegsveteranen, die sich jeden Nachmittag Punkt vier Uhr zum Tee trafen, um gepflegte britische Konversation zu betreiben. Keith gesellte sich eines Tages dazu, wobei er auf seinem khakifarbenen Arbeitskittel das soeben gefertigte Namenschild „Lance Bombardier Tripe“ präsentierte, zu Deutsch etwa „Gefreiter Bombardier Kutteln“. Dieser an sich harmlose Spaß löste einen solchen Tumult in der Behörde aus, dass Keith vor die Wahl gestellt wurde, sich bei den in ihrer Gesinnung und leidvollen Kriegserfahrung tief Getroffenen zu entschuldigen oder aber seinen Arbeitsplatz zu ­räumen. „Gut“, sagte Keith, „dann gehe ich.“

      In der intellektuellen Nachbetrachtung ist man natürlich geneigt, Keiths Affront, wie alle seine späteren öffentlichen Practical Jokes, als gezielte, bewusste Aktion gegen das verkrustete britische Establishment zu bewerten; aber das wäre sicherlich falsch. Keith provozierte, um sich zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen, nicht um zu verändern oder um eine gesellschaftliche Konvention aufzubrechen. Institutionen, Autoritäten, Traditionen boten ihm einfach nur die beste Angriffsfläche, vor allem dank der aufgeladenen Atmosphäre der sechziger Jahre, die den wohl schärfsten und dank der Rockmusik auch lautesten Generationskonflikt seit langem zeitigte.­

      Mit Keiths Entlassung und der gescheiterten Deutschlandtournee bröckelte auch der Zusammenhalt der Strangers. Barry und Mike suchten nach Ersatz, um den Sprung über den Ärmelkanal doch noch zu schaffen, während Peter sich zunehmend für die Arbeit hinter den Kulissen zu interessieren begann. Er wurde später Konzertveranstalter und konnte dank seiner Beziehung zu Keith sogar ­einmal The Who in Sussex präsentieren. Mike schloss sich nach dem endgültigen Ende der Strangers der Band eines Freundes an, Sänger Reg King und The Boys, die sich bald in The Action umbenannten­ und die legendären Auftritte der Who im Marquee als Vor­gruppe­ begleiteten.

      Und Keith? Wieder einmal ohne Job, ohne Band, ohne Freunde? Hatte er nichts in der Hinterhand? Er hatte. Zuerst fand er eine Anstellung im Bauhof von Wembley Park, was zwar nicht als Aufstieg zu bewerten war und seinen Eltern sicherlich Sorgen bereitete, was ihm aber wenigstens etwas Geld einbrachte und ihn nicht vom eigentlichen Ziel ablenkte, als Schlagzeuger berühmt zu werden.

      Denn da gab es im November 1962 wieder einmal eine Anzeige im Melody Maker: Shane Fenton & The Fentones, die schon ein paar Nummern in den Top 50 platziert hatten, suchten einen neuen Drummer. Keith kannte die Band. Sie war im Fern­sehen aufgetreten, in schrillen pinkfarbenen Anzügen, wozu die drei Gitarristen auf schneeweißen Fender-Gitarren spielten; sie hatten einen Plattenvertrag, und ihre Songs wurden im Radio gespielt. Er war fest entschlossen, diesen Job zu kriegen, bedeutete er doch einen gut dotierten Platz auf einem der begehrtesten Schlagzeugschemel, der zu dieser Zeit in England frei war. Als Bandmitglied der Fentones verdiente man, so der Autor Alan Clayson, mindestens zwanzig Pfund pro Woche, damals etwa das doppelte Gehalt eines jungen Angestellten. Dem ursprünglichen Drummer der Band, Tony Hinchcliffe, war das offenbar nicht genug gewesen, oder ihm war zu langweilig geworden, denn er wollte lieber nach Südafrika auswandern.

      Shane Fenton, der zwanzigjährige Bandleader, hieß mit bürgerlichem Namen Bernard William Jewry und wurde nach dem Ende der Fentones nach einer mehrjährigen schöpferischen Pause als Alvin Stardust bekannt. Er war ein wasch­echter­ Nord-Londoner und mietete ein Kellerstudio vor Ort, um alle Aspiranten einer offenen Probe zu unterziehen.

      Keith erschien mit nichts weiter als einem Paar Trommelstöcken bewaffnet. Unter den fünf oder sechs Bewerbern waren auch einige Hochkaräter. Lloyd Ryan zum Beispiel, der in Fernsehshows, bei Musicals und für Filmmusik getrommelt hatte und direkt von einer Europatournee mit Gene Vincent zurückkam. Oder Mick Fleetwood, der in den Siebzigern mit seiner eigenen Band berühmt werden sollte. Und natürlich Bobby Elliott, der einige Jahre später mit den Hollies ein häufiger Gast in den Charts war, ein Könner mit Jazz im Blut, der eigens zweihundertfünfzig Kilometer von Lancashire nach London gefahren war, um den Job bei den Fentones zu bekommen. Für ihn lohnte sich der weite Weg am Ende tatsächlich, denn er setzte sich durch, wurde ange­heuert­ und hatte mit dieser Band noch viel Spaß.

      Für Keith hingegen war der Frust groß. Fenton hielt ihn für zu jung und fand ihn zu hastig, zu ungenau in seinem Spiel. Immerhin konnte er einige neue Kontakte zu den Profis schließen; er näherte sich dem inneren Kreis seiner Zunft. Und als er seinem väterlichen Freund Lou Hunt von seinen Erlebnissen berichtete, sorgte der dafür, dass Keith im Oldfield auf die Bühne klettern durfte, wenn ein großzügiger Kollege damit einverstanden war, dem sechzehnjährigen Nachwuchsdrummer für ein paar Rock’n’Roll-Standards eine Chance zu geben.

      Theoretisch hätte Keith bei einer solchen Gelegenheit auch das erste öffent­liche Vorspielen der Detours beobachten können, das etwa um die gleiche Zeit, im November 1962, im Oldfield Hotel vor dem Promoter Bob Druce stattfand. Sicher ist, dass er die Detours danach oft sah, wenn sie im Oldfield auftraten, und dass sie ihm zunehmend imponierten, je weiter sie sich entwickelten, je rauer, ­lauter,­ härter, wilder und kompromissloser als alle anderen Gruppen in Druces Tourzirkus sie wurden.­

      Eine urtümliche Aura von rüder Prominenz, von Eigensinn und Unnahbarkeit umgab diese Truppe, obwohl sie noch so