The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454151
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langer Song dauerte bei ihnen genau dreieinhalb Minuten. Sie spielten ihn sehr gut und kompetent und waren insofern viel besser­ als die meisten Bands, aber sie machten nichts daraus. Wenn The Yardbirds zum Beispiel ‚Smokestack Lightning‘ spielten, dauerte das fünfzehn ­Minuten.­ Ich schlug Pete vor, sie sollten ihre Nummern auch ausdehnen und Gitarren­riffs einbauen, um sie vom Original unterscheidbar zu machen.“

      Barnes widerspricht damit der offiziellen Einschätzung der Band, die sich als frühe Trendsetter in Sachen R&B verstanden hatte, noch bevor die Konkurrenz darauf ansprang.

      John zum Beispiel sagt: „Wir haben Beatles-Songs und all diese Sachen gespielt, bis wir R&B entdeckten. Pete ging auf die Kunstschule und lernte John Lee Hooker­ und so weiter kennen. Wir wussten, dass wir mit dem alten Material nirgend­wohin kommen würden, also wechselten wir zu R&B, bevor alle anderen Gruppen, The Yardbirds und The Downliners Sect, darauf kamen.“ Roger erklärt noch eindeutiger: „Wir waren die erste Gruppe, die es satt hatte, das Top-Zwanzig­-Zeug rauf und runter zu spielen, und die zu wirklich hartem R&B überging.“

      Bei Pete jedenfalls, der durch die ererbte Plattensammlung und sein Kunststudium für Neuerungen in höchstem Maß sensibilisiert war, stieß Barnes’ Vorschlag auf offene Ohren. Roger erkannte die Zukunft des Rock’n’Roll sowieso in der neuen Stilrichtung, Doug, der gelernte Session-Drummer, spielte alles, was man ihm vorsetzte, und John gefielen die musikalischen Freiheiten, die ein offeneres Konzept gestattete.

      Blieb noch Colin, der angestammte Sänger und das Gründungsmitglied der Detours. Der hatte es sich angewöhnt, seine Bandkollegen als Begleitmusiker zu betrachten, die ihm gehörig zuspielen sollten wie The Shadows ihrem Frontmann Cliff Richard. Nicht nur Roger, der heimliche und echte Anführer der Detours, störte sich daran. Auch Pete lästerte immer unverhohlener über den „arsch­wackelnden“ Elvis-Verschnitt, der vor allem bei langsamen Nummern zu großer Form auflief und sich gern im schnittigen Marine-Blazer zu hellgrauen Hosen vor der Band präsentierte. Für seinen unvermeidlichen Rauswurf wollte sich im Nachhinein aber keiner so recht verantwortlich zeigen. Pete behauptet, dass Dawson vor allem „zu Roger in Gegensatz stand, der damals die Hosen anhatte und der die Dinge so hindrehte, wie er sie haben wollte. Wer sich mit ihm anlegte, kriegte­ üblicherweise ein paar übergezogen.“

      Doug, der nach eigenem Bekunden mit Colin nie ein Problem hatte (sondern mit Pete, wie sich später herausstellte), schob die Ursachen mehr ins Allgemeine: „Es war immer das gleiche in Bands: Man fiel über jemanden her, wenn er nicht da war, nörgelte und krittelte solange an ihm herum, bis er ging. Pete sagte: ‚Seht bloß, wie er da steht und mit dem Arsch wackelt.‘ Sie lachten auf der Bühne hinter­ seinem Rücken über ihn. Pete hätte es lieber gesehen, wenn der Sänger umherhüpfte oder Gitarre spielte.“

      John meint, Colin sei einfach nur ein wenig zu adrett gewesen, und von Roger, der in solchen Fällen lieber handelt als redet, sind keine Aussagen überliefert. Sicher ist, dass Colin jener Typus des schmalzigen Schlagersängers war, der ins neue musikalische Konzept, das die Detours unter Rogers Führung und mit Petes wachsender Einflussnahme anstrebten, nicht mehr passte. Als Druce die Band einmal kurzfristig als Ersatz für eine verhinderte Gruppe buchte, nutzten die Detours die Chance, um den ganzen Abend lang schwarze Musik zu spielen. Der Auftritt wurde ein solcher Erfolg, dass Roger und Pete sich in ihrer Auffassung bestärkt fühlten und weitere Stücke aus ihrer R&B-Sammlung einstudierten.

      „Wir verloren damit zwar unsere alten Fans, aber wir gewannen ein neues Publikum, das viel größer und enthusiastischer war, und nach sechs Monaten kamen alle früheren Fans zurück, und wir hatten dreimal so viele Anhänger wie zuvor“, erzählt Roger. „Blues gab uns die Freiheit, zu improvisieren und uns zu entwickeln. Pop zu spielen, bedeutete, eine Aufnahme zu kopieren, und das war’s. Wir waren schon glücklich, wenn wir möglichst nah ans Original rankamen. Blues war eine völlig andere Sache.“

      Die Band experimentierte mit dem neuen R&B-Repertoire zunächst in wechselnden Besetzungen. „Eine Zeitlang hatten wir einen Typ namens Peter Vernon­-Kell. Er spielte sehr schlecht Leadgitarre“, erinnert sich Pete. Der angeblich so untalentierte Gitarrist Vernon-Kell gründete übrigens bald in Druces Tourzirkus eine eigene Band, The Macabre, die später von den Who gern als Vorgruppe­ gebucht wurde. In den siebziger Jahren wurde er Plattenproduzent und war besonders erfolgreich mit Peter Green – soviel zu dieser flotten Bewertung von Pete.

      Auch Phil Rhodes, der mit Pete und John in der Schulband The Confederates Klarinette gespielt hatte, wurde wieder angeheuert. Man einigte sich aber schließlich auf Gabby Connolly als neues Bandmitglied. Gabby hatte bei The Bel-Airs den Bass gezupft und sang speziell jene Countrysongs, die sonntags im Douglas House vor den GIs unerlässlich waren. Bei den neuen bluesigen Stücken von John Lee Hooker oder Jimmy Reed übernahm meist Roger das Mikro. Seine raue, etwas unfertig klingende Stimme passte eigentlich hervorragend zum neuen Material; doch noch war Roger alles andere als ein guter Sänger.

      „Als wir mit der Band anfingen, war ich ein beschissener Sänger“, urteilt er selbstkritisch. „Man brauchte damals eigentlich auch gar keinen Sänger, man brauchte jemand, der sich prügeln konnte, und das war ich.“ Und da sich Roger gern prügelte und mit Begeisterung von der Bühne sprang, wenn in einer Ecke des Saals ein Tumult ausbrach, war das ausbaufähige Bluesschema auch in dieser­ Hinsicht hilfreich. Es dauerte zwar nie sehr lange, bis Roger, von seiner Gitarre befreit, schlagkräftig für Ruhe gesorgt hatte, aber ein wenig improvisieren lernen konnte man in der Zwischenzeit durchaus.

      Als das Engagement im Douglas House auslief und kein Countryinterpret mehr notwendig war, wackelte Gabbys Stellung als Leadsänger bereits bedenklich. Die endgültige Trennung wurde aber erst vollzogen, nachdem Roger ein lebendiges Vorbild neben sich entdeckte, das ganz ohne zweites Melodieinstrument auskam und in knapper, kerniger Vier-Mann-Besetzung von Gesang, ­Gitarre,­ Bass und Schlagzeug authentischen Powerrock lieferte.

      Die Rede ist von Johnny Kidd & The Pirates, mit denen die Detours schon einmal Ende 1962 gemeinsam auf der Bühne gestanden hatten. Im Mai 1963 buchte­ Druce die Detours abermals als Vorgruppe für die energetischen Rock’n’Roll-Freibeuter. Das instrumentale Powertrio um Leadsänger Johnny Kidd überzeugte Roger so sehr, dass er endgültig ans Mikro wechselte und die Gitarre aufgab, auf der er sich im Vergleich mit Pete ohnehin nicht recht weiter entwickelte.

      Für seinen klugen Übertritt in die zentrale Position des Vokalisten konnte er auch die tägliche Maloche in der Fabrik verantwortlich machen. Seine Finger waren durch die handwerkliche Tätigkeit nämlich ständig wund, und mit offenen Finger­kuppen übers Griffbrett zu rutschen, musste selbst dem hartgesottenen Roger große Pein verursachen. Schließlich überließ er das Saitenspiel der Detours vollständig den beiden Spezis Pete und John. Deren Interaktion von Bass und Gitarre­ war immerhin schon aus Schultagen und vielen gemeinsamen Übungsstunden in Petes Jugendzimmer erprobt. Inzwischen funktionierte es so reibungslos, dass sich Frontmann Roger sicher eingerahmt fühlen durfte.

      Der Gitarrist der Pirates, Mick Green, hatte John und Pete einen Sound vorgegeben, der ihre Entwicklung am Bass wie auch an der Gitarre stark beeinflusste.­ Pete war vor allem als Rhythmusgitarrist begabt, der gekonnt Tempo, Takt und Harmonie bestimmte. Seine Soli klangen zwar originell, aber technisch waren sie im Vergleich mit den virtuosen Saitenläufen eines Jeff Beck, Richie Blackmore oder Eric Clapton nicht sehr anspruchsvoll.

      John, der musikalisch beschlagenere der beiden Gitarristen, wollte sowieso immer das Leadinstrument spielen. Damit kam Pete jene tragende Rolle im Gerüst der Detours zu, die normalerweise der Bassist übernimmt, ohne dass er freilich auf seiner E-Gitarre die tiefen Töne erzeugen konnte. Er hielt aber den Rhythmus und deckte zumindest noch den mittleren Klangbereich ab. Das erlaubte es John, seine Lautstärke und den Höhenregler so weit hochzudrehen, dass er mit seiner Bassgitarre die notwendigen melodischen Linien und Füllmuster zwischen den Akkorden einbringen konnte.

      Dieses Konzept der vertauschten Rollen von Bass und Gitarre, das nicht geplant war, sondern aus vorhandenen – beziehungsweise nicht vorhandenen – musikalischen Fähigkeiten innerhalb der Band entstand, steckte Mitte 1963, nachdem The Detours eine beeindruckende Vorstellung der Rockpiraten in der Süd-Londoner­ St. Mary’s Hall aus nächster Nähe studiert und ausgewertet hatten, zwar