Big Ideas. Das Politik-Buch. John Farndon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Farndon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783831082599
Скачать книгу

      Währenddessen etablierte Mohammed in Arabien eine neue Religion mit imperialistischer Zielsetzung: Der Islam setzte sich schnell als politische und religiöse Macht durch. Anders als das Christentum war er offen für weltliches politisches Denken und förderte die Gelehrsamkeit sowie das Studium von Texten nicht muslimischer Denker. Überall im islamischen Reich wurden Bibliotheken eingerichtet, um die klassischen Texte zu bewahren. Gelehrte verbanden die Vorstellungen Platons und Aristoteles’ mit der islamischen Theologie. Städte wie Bagdad wurden zu Zentren der Gelehrsamkeit; al-Kindi, al-Farabi, Ibn Sina (Avicenna), Ibn Ruschd (Averroes) und Ibn Khaldun traten als politische Theoretiker auf.

      Inzwischen war in Europa die Bildung zur Domäne des Klerus geworden, der islamische Einfluss brachte frischen Wind in das Denken. Im 12. Jahrhundert erreichten die Texte, die islamische Gelehrte erhalten und übersetzt hatten, christliche Gelehrte. Das geschah vor allem in Spanien, wo beide Glaubensrichtungen nebeneinander existierten. Die Nachricht von der Wiederentdeckung verbreitete sich in der christlichen Welt und trotz des Argwohns der Kirchenvertreter gab es einen Ansturm, nicht nur die Texte zu übersetzen, sondern auch die dazugehörigen islamischen Kommentare.

       Schwierige Fragen

      Eine neue Generation christlicher Philosophen machte sich mit dem klassischen Denken vertraut. Thomas von Aquin versuchte, aristotelische Vorstellungen in die christliche Theologie zu integrieren. Damit wurden Fragen aufgeworfen, denen man zuvor aus dem Weg gegangen war, etwa zum Gottesgnadentum und zum Unterschied zwischen weltlichem und göttlichem Recht.

      Die Einführung des weltlichen Denkens in das geistige Leben wirkte sich ganz erheblich auf die Entwicklungen im Heiligen Römischen Reich aus. Nationalstaaten forderten ihre Unabhängigkeit und Herrscher gerieten in Konflikt mit dem Papst. Die Autorität der Kirche wurde hinterfragt, Philosophen wie Aegidius Romanus und Marsilius von Padua mussten sich für die eine oder die andere Seite entscheiden.

      Gegen Ende des Mittelalters stellten neue Nationen die Autorität der Kirche infrage – und die Menschen begannen, die Macht ihrer Herrscher zu hinterfragen. In England war König Johann gezwungen, einen Teil seiner Macht an die Barone abzutreten. In Italien wurden dynastische Tyrannen durch Republiken ersetzt, beispielsweise in Florenz, wo die Renaissance begann. Dort schockierte Niccolò Machiavelli, wirkungsvoller Vertreter des Renaissancedenkens, die Welt mit einer politischen Philosophie, die in ihrer moralischen Haltung durch und durch pragmatisch war. image

image

      WAS SIND REICHE OHNE GERECHTIGKEIT – WENN NICHT GROSSE RÄUBERBANDEN?

      AUGUSTINUS VON HIPPO (354–430)

       IM KONTEXT

      IDEENLEHRE

       Christentum

      SCHWERPUNKT

       Gerechte Herrschaft

      FRÜHER

      4. Jh. v. Chr. In Der Staat und Nomoi betont Platon die Bedeutung der Gerechtigkeit im idealen Staat.

      1. Jh. v. Chr. Cicero ist gegen den Umsturz und die Einführung eines römischen Kaisers.

      306 n. Chr. Konstantin I. wird der erste christliche Kaiser des Römischen Reiches.

      SPÄTER

      13. Jh. Thomas von Aquin definiert mit den Argumenten des Augustinus einen gerechten Krieg.

      14. Jh. Ibn Khaldun sagt, es sei Aufgabe der Regierung, Ungerechtigkeit zu verhüten.

      um 1600 Francisco Suárez und die Schule von Salamanca begründen eine Philosophie des Naturrechts.

      Das Christentum wurde 380 n. Chr. zur offiziellen Religion im Römischen Reich. Macht und Einfluss der Kirche wuchsen und ihre Beziehung zum Staat wurde zu einem umstrittenen Thema. Einer der ersten politischen Philosophen, die sich mit diesem Verhältnis beschäftigten, war Augustinus von Hippo, der zum Christentum konvertierte. Er versuchte, die klassische Philosophie in die Religion zu integrieren, und war stark von den platonischen Schriften beeinflusst, die auch die Grundlage seines politischen Denkens bildeten.

      Als römischer Bürger glaubte Augustinus an einen Staat, der dem Gesetz unterworfen ist, aber als Gelehrter stimmte er Aristoteles und Platon zu: Das Ziel eines Staates liegt darin, dem Volk ein gutes und tugendhaftes Leben zu ermöglichen. Für einen Christen bedeutet das, nach den göttlichen Gesetzen zu leben, die von der Kirche erlassen werden. Dabei glaubte Augustinus, dass in der Praxis die große Mehrheit der Menschen in einem Zustand der Sünde lebte. Er unterschied zwischen zwei Reichen: der civitas Dei (dem Gottesstaat) und der civitas terrena (dem irdischen Staat). Den Einfluss der Kirche auf den Staat sah Augustinus als unumgänglich an, damit die Gesetze eines Landes unter Beachtung der göttlichen Gesetze gestaltet werden. Und gerechte Gesetze machten für ihn den wesentlichen Unterschied zwischen Staat und Räuberbande aus. Räuber und Piraten verbünden sich unter einem Führer, um ihre Nachbarn zu berauben. Sie halten sich an Regeln, aber die sind nicht gerecht. Außerdem wies Augustinus darauf hin, dass selbst in einer sündigen civitas terrena die Autorität des Staates mithilfe von Gesetzen für Ordnung sorgen könne – und Ordnung sei doch etwas, das wir uns alle wünschen.

      »Ohne Gerechtigkeit kann eine Gesellschaft von Menschen … unmöglich fortbestehen.«

       Augustinus

image

       Gerechter Krieg

      Augustinus legte großen Wert auf die Gerechtigkeit, die in der christlichen Lehre wurzelt, und das galt auch für den Krieg. Er glaubte, aller Krieg sei schlecht, gestand jedoch zu, dass ein Krieg für eine gerechte Sache als letztes Mittel möglich sei – um beispielsweise den Staat gegen Angriffe zu verteidigen oder den Frieden wiederherzustellen. Mit dem Konflikt zwischen weltlichem und göttlichem Recht und dem Versuch, beides zusammenzubringen, begann der Machtkampf zwischen Kirche und Staat, der sich durch das gesamte Mittelalter zieht. image

image

      Augustinus umriss seine Vision eines Staates nach christlichen Prinzipien in Vom Gottesstaat (De civitate Dei). Es ging um das Verhältnis zwischen Römischem Reich und göttlichem Recht.

       Augustinus von Hippo

image

      Aurelius Augustinus wurde in Thegaste (heute Algerien) geboren. Sein Vater war Heide, seine Mutter Christin. Er studierte lateinische Literatur in Madaurus und Rhetorik in Karthago, wo er auf die persische Religion der Manichäer stieß.

      Angeregt durch die Werke Ciceros begann Augustinus sich für Philosophie zu interessieren. Bis 373 lehrte er in Thegaste und Karthago. Danach lebte er in Rom und Mailand. Der dortige Bischof Ambrosius forderte ihn dazu auf, die platonische Philosophie zu erkunden. 378 wurde Augustinus getauft und 391 in Thegaste zum Priester geweiht. Schließlich ließ er sich in Hippo (heute Algerien) nieder und gründete eine religiöse Gemeinschaft, deren Bischof er 396 wurde. Neben seinen autobiographischen Confessiones schrieb er eine Reihe theologischer und philosophischer Werke. Er starb während einer Belagerung von Hippo durch die Vandalen im Jahr 430.