The Rolling Stones. Stanley Booth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanley Booth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854456353
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wie ein neues Geschlecht von Mittelklassezigeunern aus­zusehen.

      Kurz vor elf Uhr dreißig tauchten drei Kamerateams vom Fernsehen auf. Ihre Kleidung ging mehr in Richtung Anzug und Krawatte. Mit einem dieser Teams kam Rona Barrett, der fleischgewordene Fernsehtratsch Hollywoods, eine kleine Frau, deren riesige blondierte Frisur unter einer dicken Lackschicht aus Haarspray erstarrt war. Sie ließ sich auf einem Klappsessel nieder, eine kultivierte Perle unter all dem Wildleder und Jeansstoff.

      Am Mittag stolperten die Stones einer nach dem anderen wie betrun­kene Indianer in den Raum und platzierten sich am Konferenztisch. Blitz­lichter ploppten, Fernsehkameras surrten. Die Stones saßen da und kratz­ten sich an den Köpfen.

      Bei den Stones, neben Keith, saß ein weiterer junger Engländer, der eine burgunderfarbene Lederjacke und dunkle Gläser trug und dunkle fet­tige Locken wie ein Pirat hatte. Das war Sam Cutler, ein Neuzugang zur Entourage der Stones, dessen Funktion völlig unklar war – solange man nicht wusste, dass er alles bei sich tragen musste, womit Keith nicht er­wischt werden wollte.

      Schließlich hörte das Blitzlichtgewitter auf und für die Dauer eines langen Moments gab es keinerlei Fragen, wusste keiner, was er fragen soll­te. Die pure Konfrontation war genug: Vor drei Jahren, als die Stones zum letzten Mal eine Tour durch die Staaten unternommen hatten, waren die meisten der jetzt hier versammelten Leute Teenager gewesen, die in ver­dunkelten Arenen ihre Bewunderung für die Stones herausschrieen. Und diese Stones waren in der Zwischenzeit eingebuchtet worden, hatten Frauen getauscht und sich gerüchteweise aufgelöst, waren gestorben – und saßen jetzt dennoch hier am Tisch, die Ellbogen brav aufgestützt.

      Die jüngeren Reporter, von denen die meisten im Falle einer Razzia wahrscheinlich wegen des Besitzes von Dope hochgegangen wären, sahen nicht so aus wie alle anderen, die den Stones bei ihren bisherigen Presse­konferenzen in den Staaten begegnet waren. Aber auch diese Generation bestand zum Großteil aus ganz normalen Langweilern, die andere Leute – Berühmtheiten – brauchten, die ihr Leben ersatzweise für sie lebten. Und glücklicherweise gibt es immer ein paar solcher Berühmtheiten. Sie sind die Stars, und damals gab es keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die derart beliebt und verhasst war wie Mick Jagger. Schon der Name: ein Name, scharf wie ein Dosenöffner. Jagger, der Dosenöffner. Jagger saß lächelnd da. Er trug limonenfarbene Hosen und ein Seidenhemd mit grü­nen und weißen Tupfern und offenem Kragen. Ein großer Tierzahn hing an einer Kette unter seinem starken, aber wie ein Silberhalsband wohlge­formten Schlüsselbein.

      Falls man hier die gleichen Fragen stellen wollte wie die meisten, die man mich über die Stones gefragt hatte, dann würden sie kurz und direkt ausfallen: Bist du schwul? Welche Drogen nimmst du? Hast du Brian um­gebracht? Aber die ersten Fragen, die Jagger beantwortete, brachten nur ans Tageslicht, dass das neue Stones-Album, „Let It Bleed“, in ungefähr drei Wochen veröffentlicht werden sollte und dass die Stones keine konkreten Pläne für ein eigenes Plattenlabel hatten. „Das ist sinnlos, solange man nicht eine Armada von Lieferwagen anheuert und die Platten zum halben Preis verkauft“, sagte Mick.

      Es sah so aus, als würde das Treffen freundschaftlich und langweilig verlaufen, ohne den üblichen Konflikt, der einst für alle Begegnungen der Stones mit der Presse charakteristisch gewesen war. Das große Zusam­mengehörigkeitsgefühl, das diese Journalisten drei Jahre früher mit den Stones verbunden hätte, wenn sie im Fernsehen eine Pressekonferenz verfolgt hätten, fehlte daher. Das veranlasste einen Reporter, nach einer Entgeg­nung auf das Statement in Ralph Gleasons Kolumne vom Vortag zu fragen, wonach „die Eintrittspreise zu den Konzerten überhöht wären, und es sich eine Menge Leute, die sie gerne sehen würden, nicht leisten könnten“.

      Ohne sich anscheinend auch nur im geringsten vom Geschwätz eines Jazzjournalisten mittleren Alters beeindrucken zu lassen, sagte Mick groß­zügig: „Vielleicht können wir für diese Leute etwas arrangieren.“

      „Ein Gratiskonzert?“ fragte jemand, aber Mick antwortete, das wisse er nicht und überging die Angelegenheit mit aristokratischer Leichtigkeit: „Wir können den Preis der Tickets nicht bestimmen. Ich weiß nicht, wie viele Leute sich das leisten können. Ich habe keine Ahnung.“

      Ein anderer fragte, ob das US State Department den Stones Schwie­rigkeiten mache und beispielsweise verlange, dass sie Anti-Drogen-Statements unterschrieben, bevor sie das Land betreten dürften. Mick sagte: „Natürlich nicht, wir haben nie irgendwas Unrechtes getan.“ In das fol­gende Gelächter und den Applaus hinein fragte Rona Barrett: „Betrach­ten Sie sich als eine Anti-Establishment-Gruppe oder nehmen Sie uns nur auf den Arm?“

      „Wir nehmen Sie nur auf den Arm“, antwortete Mick.

      „Wir hau’n Sie übers Ohr“, murmelte Keith, während seine Reptilienlider herabsanken.

      Rona ließ nicht locker: „Wie hat es Ihnen gefallen, gestern Abend im Yamato zu essen?“

      „Sie war unter dem Tisch“, erläuterte Keith, wodurch sie sich aber nicht abblocken ließ.

      Mick erzählte einem Fragesteller, dass die Stones hofften, Ike und Tina Turner, Terry Reid, B. B. King und Chuck Berry als Vorprogramm für die Tour engagieren zu können und wieder tauchte die Frage nach einem Gratiskonzert auf. Diese jungen Reporter schienen sogar noch vehemen­ter als Ralph Gleason in seiner Kolumne darauf zu dringen, dass die Stones eine Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber hätten, die schließlich neuerdings weitgehend nach dem Image der Stones geformt war. Aber damit hatten die Stones in all ihrer Unabhängigkeit anscheinend noch nie geliebäugelt und wieder umging Mick das Thema: „Wenn wir das Ge­fühl haben, wir müssten etwas in dieser Richtung tun, dann werden wir es auch tun. Ich lasse diesbezüglich alle Möglichkeiten offen und bitte das zur Kenntnis zu nehmen. Aber ich lege mich nicht fest.“

      „Und wie geht es Marianne Faithfull?“ fragte Rona Barrett Mick. Hätte man es nicht besser gewusst, man hätte annehmen können, sie sei die ein­zige Reporterin, die sich für das Privatleben der Stones interessierte.

      Drei Tage nach dem Tod von Brian Jones hatte Marianne Faithfull, Jaggers „ständige Begleiterin“ während der vergangenen zwei Jahre, die sich gerade mit Mick in Australien aufhielt, um in einem Film mitzuwir­ken, in den Spiegel geblickt und nicht ihr eigenes Gesicht gesehen, son­dern das von Brian. Dann nahm sie eine Überdosis Schlaftabletten. Nur Glück und sofortige medizinische Behandlung retteten ihr Leben. Nach­dem sie sich in Australien und der Schweiz erholt hatte, war sie in Micks Haus in London zurückgekehrt, wo sie sich nun vernachlässigt fühlte.

      „Es geht ihr gut“, sagte Mick zu Rona. „Und wie geht’s Ihnen?“

      Rona ließ sich nicht entmutigen und wollte wissen, ob Mick irgend­welche Pläne habe, für ein öffentliches Amt zu kandidieren: „Ich fühle mich nicht sehr messianisch“, sagte er lachend.

      Weitere Fragen über Festivals und Gratiskonzerte wurden gestellt. Das Thema ließ sich einfach nicht beiseite schieben. Die Popfestivals, diese ge­waltigen Zurschaustellungen von Drogen, Sex und Musik, hatten die öf­fentliche Meinung in diesem Jahr entweder in empörte Aufregung oder in Begeisterung versetzt, in jedem Fall aber stark beschäftigt. Das große Spek­takel des vergangenen Jahres war die Polizeibrutalität in Chicago während des Konvents der Demokraten gewesen; im Jahr davor hatten die Mas­senmedien den unter jungen Menschen weitverbreiteten Gebrauch von psychedelischen Drogen entdeckt. Heuer hatte es an Orten wie Woodstock, Hyde Park, Atlanta, Denver, Isle of Wight oder Dallas riesige Mu­sikfestivals gegeben, wo die Leute nichts zahlten, auch wenn Karten ei­gentlich verkauft wurden, wo sie nackt herumliefen, öffentlich Drogen konsumierten und Sex hatten – und das alles fast ohne Verhaftungen, weil es außer einem Krieg keine Möglichkeit gegeben hätte, Hunderttausende von Menschen festzunehmen. Es sah so aus, als wären die Kinder des Zweiten Weltkriegs zu einer Macht herangewachsen, der die traditionelle Gesellschaft möglicherweise keinen Einhalt mehr gebieten konnte. Es soll­te, so sagte Keith über die Festivals, „zehnmal mehr davon geben“. „Aber“, wollte jemand noch immer wissen, „was ist jetzt mit den Preisen der Tickets für die Rolling-Stones-Konzerte?“

      Mick, Keith und Sam Cutler begannen gleichzeitig zu sprechen, hörten gemeinsam auf und Sam sagte: „Dürfte