The Rolling Stones. Stanley Booth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanley Booth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854456353
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eines abends eine Gitarre über den Schädel ge­zogen, weil ihm das gestunken hat. Buck hat sich nicht stören las­sen. Spielt einfach weiter. Hört auf, geht von der Bühne runter, schnappt sich ’nen Drink. Und dann stirbt er. Buck Hobbs. Die haben ihn umgebracht. An so was alles denk’ ich. Ich möchte nicht weg von hier. Wir haben volles Haus. Also kämpfen. Daheim, wo ich geboren wurde, oben in Pleasant Hill, dort haben sie’s getan. Gleich in der Nähe von Pleasant Hill. Im Wäldchen.

      Mississippi Joe Callicott

      der 11-uhr-45-zug ab Paddington Station (3 Pfund 2 Shilling 5 Pence Retourgeld) rollte von den eintönigen Wohnblocks am Stadtrand von Lon­don gen Westen – hin zu den maigrünen Feldern rund um Reading und Didcot mit Bäumen, Hecken, rosa Schweinen, schwarzweiß gescheckten Rindern, Traktoren, strohgedeckten Scheunen und Häusern unter schwe­ren, weißen Wolken.

      Ich saß in Fahrtrichtung und versuchte die Biographie über Heming­way zu lesen, die mir William Burroughs empfohlen hatte, als wir über Brian Jones redeten und als mein Leben – genauso wie das von Brian ­auseinanderzufallen begann. Ich las, um herauszufinden, wie Hemingway es schaffte weiterzumachen, nachdem er Hadley verloren hatte. Zum er­sten Mal nach fast zehn Jahren war ich ein alleinstehender Mann, oder besser gesagt: Ich war allein. Das war 1970.

      Hinter Kemble, nach dem Umsteigen in Swindon, wurde die Land­schaft hügelig, Pferde grasten an den Abhängen in der Sonne. Auf der linken Seite der Geleise fiel das Land steil ab; die grünen Baumkronen unten im Tal erinnerten mich an die Vorberge im mittleren Georgia. Außer­halb von Stroud überquerten wir einen schnell zwischen jungen Weiden dahinfließenden Bach und ich sah eine Schar Enten aufflattern sowie Schulkinder auf einem schmalen Pfad, der unter einer kleinen Ziegelbrücke hindurchführte. Ein Junge winkte dem Zug mit einem Union Jack zu. Zwei Sitzreihen vor mir sagte eine Frau zu ihren Kindern, einem kleinen Jungen und einem Mädchen, sie sollten endlich aufhören, „Yellow Submarine“ zu singen.

      Nach Gloucester, wo das Land wieder flach ist, fährt der Zug in nörd­liche Richtung nach Cheltenham. Der offizielle Reiseführer nannte den Ort noch immer Cheltenham Spa, obwohl das „heilkräftige Mineral­wasser“, das die „Elite vieler Generationen“ angezogen hatte, schon seit einigen Jahren verunreinigt war. Aber ich kam nicht dorthin, um ein Bad zu nehmen.

      Vor der Bahnstation aus roten Ziegelsteinen parkten Taxis, aber da ich die Dinge immer auf die schwierige Art angehe, ließ ich sie mit anderen Reisenden wegfahren und zog lieber mit meiner schwarzen Reisetasche aus Nylon, die zu klein war, um Kleidung darin zu verstauen, mit meinem Tonbandgerät und dem Buch über Hemingway zu Fuß los. Das Buch trug ich, wie ein Wanderprediger seine Bibel, in der Hand. Es gibt in Cheltenham abgelegene Straßen, die wie jene in Queens, New York oder Bir­mingham, Alabama, aussehen, mit Wohnsilos aus der Zeit der Depres­sion und Häusern mit Rasenflächen, auf denen kein Gras wächst. Das Buch und die Tasche wurden mir schwer bis ich die Stadtmitte erreichte.

      Ich ging bis zu einer Seitenstraße, fand eine Telefonzelle und entschied mich anhand des Fotos im Telefonbuch für das Majestic Hotel am Park Place. Es sah aus wie das Hotel, in dem W. C. Fields absteigen würde, wenn er in der Stadt war. Außerdem lag es zwischen der Gegend, in der ich mich befand und der Hatherley Road, wo Brian Jones aufgewachsen war.

      Ich war weit genug gelaufen, um nun einer Taxifahrt etwas abgewin­nen zu können, wenn ich nicht so unvernünftig wäre. Aber ich war noch nicht bereit dafür. Ich wollte an den feinen Geschäften der Promenade und den ordentlichen Häusern unter den zurechtgestutzten Bäumen vorbeispazieren. Cheltenham wurde als netter Ort geplant, und es ist auch ein netter Ort – zumindest so lange, bis man beschließt, dass du selbst eigent­lich nicht so nett bist. Einige der nettesten Leute von Cheltenham hatten schon jahrelang nicht mit den Eltern von Brian Jones gesprochen, während andere erst aufhörten, mit ihnen zu reden, nachdem man Brian in geweihte Erde gebettet hatte, was sein letzter Frevel war. Wenn man genau hinhört, kann man die Heckenscheren von Cheltenham die Hecken zurechtstut­zen hören.

      Das Majestic Hotel ragte zwischen verfallenden Apartmenthäusern drohend wie ein verblasstes Gespenst auf. Der Portier saß in einer kleinen Glaszelle von der Art eines Kartenschalters und der Bartender lümmelte auf seinen Ellbogen in der leeren Cocktailbar herum und zerknitterte die Ärmel seines gestärkten weißen Jacketts. Der Aufzug roch, als wäre er seit den 20er Jahren geschlossen gewesen. Langsam brachte er mich in den dritten Stock zu meinem Einzelzimmer mit Waschbecken. Der Raum war, wie alle Einzelzimmer in Hotels, mit dem Flair von Einsamkeit und Tod und des einsamen Totschlagens der Nacht durchtränkt. Ich legte mich auf die lachsfarbene Bettdecke.

      Meine Füße ruhten sich zwar für ein paar Minuten aus, aber mein Be­wusstsein kam nicht zur Ruhe. Es gibt kein Buch, das gegen die Einsam­keit hilft, und keine Droge, die etwas gegen sie ausrichtet. Nachdem sie ihn verlassen hatte, muss Brian weiter an Anita Pallenberg gedacht haben – so wie auch ich, nachdem ich nun alleine war, weiterdachte. Anita glaub­te, ihr Sohn Marlon, den sie im vergangenen Jahr, nach Brians Tod, von Keith bekommen hatte, sei der wiedergeborene Brian. Er war es nicht, aber sie hörte nicht auf, an Brian zu denken. „Ich werde ihn wiedersehen. Wir versprachen, einander wieder zu treffen. Es ging um Leben und Tod“, sagte Anita. „Einer von uns musste gehen.“ Eine schwere Entscheidung. Ich schwang meine müden Füße vom Bett. Nachdenken führte zu nichts.

      Der Aufzug fuhr abwärts genauso langsam. Der Bartender lehnte noch immer am Tresen, weit und breit keine Kundschaft in Sicht.

      Ich setzte mich in den Imperial Gardens auf eine grüne Parkbank, um ein wenig Marihuana zu rauchen und das Ende des Mittwochnachmittags zu beobachten. Kellnerinnen räumten die roten, blauen und grünen Tische unter den orange und gelb gestreiften Tuborg-Sonnenschirmen ab, wo ein paar Leute noch immer zwischen den Blumen einen Imbiss zu sich nah­men. Die Inschrift auf der Sonnenuhr des Gartens besagte: „Ich zähle nur jede sonnige Stund’/Stürme und Regen tun andere kund.“ Nur ein Junge und ein Mädchen lagen jetzt noch unbeweglich im Gras, als wollten sie dort übernachten.

      Während ich meinen Blick über die Tulpen und Bäume und den leise summenden Verkehr des in Zwielicht getauchten Cheltenham gleiten ließ, dachte ich daran, wie Brian, kurz vor seinem Tod, bei einem Besuch bei ihm zu Hause gesagt hatte: „Wäre ich doch bloß nie von hier weggegan­gen!“ Ich zerlegte den Zigarettenstummel, zerriss das kurze Stück Papier und rollte es zu einem kleinen Kügelchen zusammen, das sich, ebenso wie das Rauchmaterial, im Wind verlieren würde. Dann ging ich über die Pro­menade und am dritten Militärmonument vorbei, das ich in dieser Stadt sah. Die anderen beiden waren für Afrika 1899 bis 1902 und den Ersten Weltkrieg gewesen. Die Tafel dieses Denkmals besagte: „Auf diesem Eh­renmahl stand ursprünglich eine bei Sewastopol erbeutete Kanone. Während des Krieges von 1939 bis 1945 wurde die Kanone der Regierung übergeben, um Eisen für die Rüstung zu liefern.“ Obwohl es kleiner war, erinnerte mich Cheltenham an Macon, Georgia, wo ich mit Militäruni­form und ein Gewehr tragend zur Highschool gegangen war. Macon war der letzte Ort gewesen, an dem ich mich bemüßigt gefühlt hatte, Zigaret­tenreste auf diese Art und Weise zu beseitigen. Nicht weil ich Marihuana geraucht hatte, sondern um die Umgebung sauber zu halten. Denn beides sind hübsche Städte mit vielen Bäumen.

      Es war 18 Uhr 44, und ich hatte gerade noch genug Zeit für ein Sand­wich. Die Straße hinunter gab es ein Cafe, das ebenso verlassen wie die Bar des Majestic aussah. Abgesehen von einer jungen Inderin hinter der Theke war niemand da. Sie war am Aufräumen, um zu schließen, aber sie fragte, ob ich etwas essen wolle.

      Ich kaufte ein wässriges Orangengetränk und ein Käsesandwich, weil man bei einem Käsesandwich nicht viel falsch machen kann. Eine Frau kam herein, nahm das Geld aus der Registrierkasse, ließ das Mädchen zur Hintertür hinaus und schloss ab. Als die junge Frau ging, fiel mir auf, dass sie der einzige dunkelhäutige Mensch war, den ich in dieser Stadt bisher gesehen hatte.

      Zurück im Hotel war ich dermaßen cool und entspannt, dass ich mein Tonbandgerät noch immer nicht ausgepackt hatte, als mich die Rezeption anrief, weil ein Taxi auf mich wartete. Ich legte schnell ein Band ein, ent­schloss mich dann aber, das Gerät zurückzulassen.

      Noch ehe ich meine Notizen durchsehen konnte, bog das Taxi in die Seitenfahrbahn ab, um mich aussteigen zu lassen. Die senffarbenen Doppelhaushälften sahen mit ihren