The Rolling Stones. Stanley Booth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanley Booth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854456353
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der Name L. B. Jones stand. Ich läutete, wartete und versuchte zu lächeln. Die Nacht war angebrochen und ich stand in einer Pfütze aus gelbem Licht unter der Verandalampe, während auf der finsteren Straße Autos vorbeisausten und einander die gleißend aufblitzenden Strahlenbündel ihrer Scheinwerfer entgegenknallten.

      Der kleine Mann, der die Tür öffnete, hatte sich lichtendes graues Haar und ein eher breites Gesicht, das im Kontrast zu seiner spitzen Nase stand und dessen blasse, faltige Haut gerötet war. Als ich zu sprechen begann, musste ich daran denken, dass er dieselbe Größe wie Brian hatte, dass ihre Skelette identisch sein müssten. Er hatte Brians Art, fast auf Zehenspitzen zu gehen und seine Hände neben den Hüften nach hinten zu halten – oder besser gesagt, Brian hatte seine Art gehabt. Er hatte die gleichen kurzen Arme und kleinen, starken Hände. Und er hatte Brians lustige Art, die Dinge mit einem offenen und einem zugekniffenen Auge zu besehen, ob­wohl die Augen von Mr. Jones hinter seiner Brille mit dem Rahmen aus vergoldetem Metall und grauem Plastik nicht derart intensiv von innen heraus zu leuchten schienen, wie das bei Brian der Fall gewesen war. Da stand er nun vor mir und guckte mich einäugig an, einen Fuß vorgescho­ben, die Hände unten bei seinen Hosentaschen fast zu Fäusten geballt.

      Ich stellte mich vor und Mr. Jones sagte, er freue sich, mich zu sehen. Er führte mich ins Wohnzimmer, wo ich mich auf der Couch niederließ und er sich auf einen mit hässlichen Blumen bedruckten Sessel vor ein aus­geschaltetes elektrisches Kaminfeuer setzte. Er erzählte mir, dass ich schon der vierte Amerikaner sei, der komme, um über Brian zu schreiben. „Da kommen irgendwelche Leute und haben Empfehlungsschreiben von Ver­lagen dabei, dann gehen sie wieder und man hört nichts mehr von ihnen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich denke, die wollen mich nur auf den Arm nehmen“, sagte er und blickte mich wieder mit einem Auge an.

      Ich wollte ihm antworten, kam aber gerade mal bis „Äh, ähm …“, als Brians Mutter hereinkam. Ich rappelte mich auf und begrüßte sie. Sie sah sanfter aus als Mr. Jones. Sie nannte ihn Lewis, er sie Louie, die Koseform für Louisa. Ihre Augen waren blau, hübsch blau. Ihre Haare waren eben­so flachsblond wie die von Brian – ein Farbton, der sich im Alter gut zu halten schien, wenn er die Chance zum Altern hatte.

      Wir setzten uns wieder. Mrs. Jones nahm in einem Sessel an der einen Seite des Zimmers Platz, ich an der anderen, und Mr. Jones, der den kal­ten Kamin anstarrte, saß in der Mitte. Ich versuchte zu erklären, woran ich arbeitete, aber das Zimmer nahm meine ganze Aufmerksamkeit ge­fangen. Es enthielt, außer uns und dem orangeroten Kater, typisch schwül­stige englische Möbel, einen alten Heathkit-Plattenspieler, ein noch älte­res Radio, einen Schwarzweißfernseher, einen blühenden Bonsai unter einer Glasglocke und die Statuette eines Indianers, die jedes Mitglied der Stones 1964 vom deutschen Teenie-Magazin „Bravo“ erhalten hatte. Auf dem Kaminsims stand eine kleine Gummipuppe mit knallroten Hosen und einer weißen Mähne aus Nylonhaar, die vulgärste aller Karikaturen, die es von Brian geben kann, die aber nichtsdestotrotz den Eindruck eines zu seinen Ehren aufgestellten Totems erweckte und das zentrale Objekt in diesem kleinen, grotesken Zimmer darstellte. Die orangefarbene Katze roll­te sich im Schoß von Mrs. Jones zusammen. Ich fragte sie nach dem Namen des Tieres und sie sagte: „Jinx.“

      „Es ist so schade“, sagte Brians Vater. „Brian hätte ein brillanter Jour­nalist sein können, in der Schule hat er immer besser Schach gespielt als alle anderen, so viel vergeudetes Talent.“ Er presste die Backenzähne auf­einander und zog eine Grimasse, als fände gerade eine furchtbare Ver­wandlung statt.

      Mrs. Jones fragte: „Hatten Sie heute Abend schon was zu essen, mein Lieber? Möchten Sie was?“

      Ich dachte an mein heutiges Abendessen, an versäumte Abendessen und an andere Dinge – und auch an manche Dinge, die ich nicht verpasst hatte. Alles aufgrund dessen, was ich in den Augen ihres Sohnes gesehen hatte. „Gut, danke, gern“, sagte ich. Dann fing ich an, Fragen zu stellen.

      Mr. und Mrs. Jones lernten einander in Südwales kennen, wo sie noch bei ihren Eltern gelebt hatten. Die Eltern von Mr. Jones waren Lehrer. Sein Vater sang in Gesellschaften von Opernfreunden und leitete den Kirchenchor. Der Vater von Mrs. Jones war über fünfzig Jahre lang Baumei­ster und Kirchenorganist in der Nähe von Cardiff. Ihre Mutter hatte, da stets kränkelnd, keinerlei Ausbildung genossen, war jetzt aber mit drei­undachtzig recht gut beisammen. Die Eltern von Mrs. Jones lebten noch, seine waren bereits tot.

      Mr. Jones studierte Maschinenbau an der Universität von Leeds, hei­ratete dann und begann für Rolls-Royce zu arbeiten. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde er nach Cheltenham versetzt, wo er seither mit Mrs. Jones lebte. Er arbeitete als Flugzeugingenieur, sie gab Klavierstunden.

      Brian erblickte am letzten Februartag des Jahres 1942 als erstes Kind das Licht der Welt. Das zweite Kind, eine Tochter, starb mit ungefähr zwei Jahren.

      „Wie ist sie gestorben?“ fragte ich so rücksichtsvoll wie möglich.

      „Sie ist gestorben und mehr sage ich dazu nicht“, antwortete Mr. Jones. Ich versuchte ein weiteres Mal zu erklären, warum ich solche Fragen stell­te, aber Mr. Jones war zu oft von gedruckten Lügen und Wahrheiten ver­letzt worden und nicht einmal annähernd bereit, einem Schreiberling zu vertrauen. Er erklärte mir, dass das jüngste Kind, Barbara, 1946 geboren wurde und jetzt Turnlehrerin sei und dass sie überhaupt nichts mit Brian zu tun haben wolle, und er bat mich, sie in Frieden zu lassen. Wieder mahl­te er mit seinen Zähnen. Aber er konnte sich trotzdem nicht davon ab­bringen, zu erzählen und Alben mit den Familienfotos hervorzuholen.

      Ein Foto zeigte Brian im Alter von ungefähr fünf Jahren, wie er mit einer grau getigerten Katze spielte.

      „Eines Tages, beide, Brian und die Katze, waren noch sehr jung, hat er erklärt, ihr Name sei Rolobur“, sagte Mrs. Jones. „‚Das ist Rolobur‘, hat er gesagt. Keine Ahnung, ob er etwas anderes sagen wollte und es nur als Rolobur herausgekommen ist. Einmal hat er sie blau bemalt.“

      „Die Katze?“

      „Ohne ihr wehtun zu wollen“, sagte Mrs. Jones. „Was er auch nicht getan hat. Er verwendete Lebensmittelfarben, die sich bald wieder aus­wuschen und die Katze lebte noch ungefähr sechzehn Jahre bei uns.“

      „Brian war ein eigenartiges Kind“, sagte seine Mutter.

      Sie gab ihm seine ersten Klavierstunden, als er sechs Jahre alt war, und er lernte das Instrument bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr. „Aber er war nicht gerade stark daran interessiert“, sagte sie. „Dann begann er, Kla­rinette zu spielen.“

      „Was seinem Asthma auch nicht gerade gutgetan hat“, sagte Mr. Jones. „Brian hatte den Krupp mit vier und das chronische Asthma blieb davon zurück. Er hatte fürchterliche Asthmaanfälle. Es war immer besonders arg, wenn er in den Ferien an den Strand ging und er hatte unten in Cotchford Anfälle, schlimme Anfälle, kurz vor seinem Tod.“

      Cotchford Farm war einmal das Zuhause von A. A. Milne; Pooh, der Bär, lebte in den Hefalump-Wäldern. Es schien irgendwie stimmig, dass Brian Eigentümer dieses Besitzes wurde, wo er so früh starb, weniger als ein Jahr nachdem er ihn erstanden hatte. Er war bis dahin schon durch vieles verletzt worden und Mr. Jones konnte nicht aufhören, diese Ereig­nisse zu rekapitulieren, um herauszufinden, wo die Dinge falsch gelaufen waren und wer oder was daran schuld hatte. „Ich war mit ihm dort unten in Cotchford, in so einer Art Rumpelkammer, kurz bevor er starb. Als ihm da ein Foto von Anita in die Hände fiel, stand er für einen Augenblick ein­fach nur da und starrte es an. Er sagte ‚Anita‘ – fast so, als würde er zu sich selbst sprechen, als hätte er vergessen, dass ich da war. Dann legte er das Foto beiseite und wir redeten weiter, was immer uns gerade beschäf­tigte. Der Verlust von Anita hat ihm schrecklich zugesetzt. Danach war für Brian nichts mehr so wie vorher. Dann die Drogenprozesse, all diese Schwierigkeiten. Ich wusste nicht, wie ich ihm helfen sollte. Wir waren ein­ander sehr nah, als er jung war, aber später hatten wir … nun ja … Mei­nungsverschiedenheiten.“

      So vielversprechend … ein Chorknabe … erster Klarinettist … und dann sagen die alten Freunde, na ja, ist wohl an der Zeit, dass du dich zur Ruhe setzt, oder? Er starrte ins kalte Feuer, biss die Zähne zusammen, re­dete dann weiter.

      „Brian lehnte jegliche Disziplin