Roland Emmerich. Jo Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Müller
Издательство: Bookwire
Серия: Film-Literatur
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454786
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hätte es in einem Drehbuch gestanden, von Kritikern als einfach zu klischeehaft abgetan worden wäre: der legendäre „Anruf aus Hollywood“! Der einflussreiche US-Produzent Mario Kassar, der u.a. Silvester Stallones Rambo-Filme produziert hatte, war von Moon 44 so begeistert, dass er den inzwischen 34-jährigen Regisseur sofort engagieren wollte. Und so sollte Emmerich seinen deutschen Kollegen schon bald die ersten „picture postcards from L.A.“ schicken.

      Interview mit Roland Emmerich am Set von Moon 44:

      „Film ist eine einzige große Lüge“

      Welche Wirkung sollen Filmtricks bei Ihnen erzielen?

      RE: Mit Filmtricks muss man vorsichtig umgehen. Sind es zu viele Tricks in einem Film, wird das Ganze dadurch schnell unrealistisch. Kein Filmtrick ist so echt, dass er wirklich realistisch aussieht. Deswegen muss man darauf achten, dass die jeweiligen Einstellungen nur wenige Sekunden dauern. Manchmal benutzt man einfach auch Sounds und Ton-Effekte, um die Wirkung eines Spezialeffekts zu erhöhen. Das Wichtigste ist natürlich, dass Trickaufnahmen immer dazu dienen sollten, eine Geschichte zu erzählen, und nicht umgekehrt! Wenn man Effekte einfach nur hineinschneidet, um zu zeigen, wie viele Tricks man auf Lager hat, geht die Wirkung verloren. Die Zuschauer sollen nicht unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Trick, sie sollen nur der Geschichte folgen. Jedenfalls sollten sie nie sagen: „Oh, das war jetzt ein toller Trick.“

      Erinnern Sie sich noch an Science-Fiction-Filme oder Spezialeffekte, von denen Sie als Kind beeindruckt waren?

      RE: Zuerst einmal: Ich war ein extrem ängstliches Kind. Mich haben Filme mehr beeindruckt oder belastet als meine Brüder Wolfgang und Andreas. Manche Filme konnte ich im TV nur ertragen, indem ich bei bestimmten Situationen aus dem Zimmer rannte und erst später wieder zurückkam, um weiter zu gucken. Die ersten Filme, die ich gesehen habe, liefen im Fernsehen, weil ich damals noch nicht ins Kino durfte. Ich kann mich noch genau an Kampf der Welten entsinnen, denn ich hatte entsetzliche Angst. Meine Mutter lachte sich halb tot, weil ich alle zwei Minuten aus dem Zimmer rannte. Dann trieb ich mich eine Weile draußen auf dem Gang herum, um irgendwann mal wieder ins Fernsehzimmer zu rasen, bis wieder was Gruseliges passierte … Auf diese Weise hatte ich am Ende nur die Hälfte des Films gesehen.

      Was ist Ihrer Meinung nach der beeindruckendste Visual Effect der Kinogeschichte?

      RE: Die erste Szene von Blade Runner. Diese eine Einstellung schafft es, den Zuschauer sofort in die Zeit und die Geschichte reinzuziehen. Sie zeigt einen Flug über das Los Angeles der nahen Zukunft. Blade Runner spricht einen weniger wegen der Geschichte als vielmehr wegen der dichten Atmosphäre an.

      Ist das Medium Film vielleicht selbst so etwas wie ein einziger großer Spezialeffekt?

      RE: Film ist eine einzige große Lüge! Film besteht aus lauter kleinen Fetzen, die zusammengeklebt eine Geschichte ergeben. Auf der Leinwand sieht man zwei Menschen, die sich an einem einsamen Strand küssen. Würde die Kamera herumschwenken, sähe man 800 Leute herumstehen. Filme erzeugen eine Illusion. Alles am Kino ist im Grunde ein Spezial­effekt, weil die Kamera nicht wirklich das filmt, was das menschliche Auge sieht. Die meisten Nachtaufnahmen sind keine Nachtaufnahme, sondern eine von Lampen erleuchtete blaue Nacht. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine blaue Nacht gesehen!

      Sie haben zum vierten Mal aus einer Lagerhalle ein Studio gemacht. Wie funktioniert das?

      RE: Man errichtet einfach auf dem zur Verfügung stehenden Platz die Sets und macht die Halle dunkel. Beim modernen Studio-Film wird das Licht auch nicht mehr an die Decke gehängt, sondern die Szenerie wird so eingeleuchtet, als ob es Original-Schauplätze wären. Durch die lichtstarken Optiken und das lichtempfindliche Filmmaterial ist das Drehen mit geringerer Beleuchtung heutzutage kein Problem mehr. Deshalb kann man inzwischen problemlos in jeder Halle einen Film inszenieren. Ich will einfach mein Geld nicht für hohe Studio-Mieten ausgeben, sondern direkt in den Film investieren. Übrigens haben dieses System auch gar nicht wir erfunden. Wie so vieles im Filmgeschäft stammt die Idee von den Amerikanern. Die hatten nämlich irgendwann auch das Problem, dass ihre eigenen Studios zu teuer wurden, also zogen sie um in irgendwelche Lagerhallen außerhalb von Los Angeles. Das berühmteste Beispiel dafür ist wohl Unheimliche Begegnung der dritten Art. Weil es keine Studios in der benötigten Größe gab, inszenierte Spielberg den Film einfach in Flugzeughangars.

      Nach der Erfahrung von Das Arche Noah Prinzip, Joey, Hollywood Monster und Moon 44 – wie sieht der Alltag eines Regisseurs aus?

      RE: Der Alltag ist genau so, wie man ihn sich nicht vorstellt! Erstens bildet der eigentliche Dreh den kleinsten Teil der Arbeit eines Regisseurs. Nehmen wir mal an, ich drehe einen Spielfilm wie Moon 44. Das dauert von der Idee bis zum Kinostart in der Regel gut eineinhalb Jahre. Es beginnt damit, dass ich mir einen Stoff suchen muss. Wenn ein anderer ihn zu Papier bringt, diskutiere ich ständig mit ihm. Schreibe ich das Drehbuch selbst, sitze ich erst mal vier bis fünf Monate am Schreibtisch und überlege mir gleichzeitig, wer in dem Film mitspielen könnte. Ich muss mit Kameraleuten, Produzenten und vielen anderen aus der Filmbranche reden. Dann geht die Vorbereitungszeit los. Da wird jede Menge organisiert. Man sucht Schauspieler, Motive, spricht mit Film-Architekten und ist eigentlich in jeden Bereich involviert. Man muss sogar zur Kostümfrau sagen: „Mir gefallen diese roten Socken nicht, kannst du denn keine gelben nehmen?“ Dann erst kommen die Dreharbeiten und die sind vielleicht nur neun Wochen lang. In dieser Zeit ist alles sehr hektisch und man arbeitet vielleicht 18 bis 20 Stunden am Tag. Man ist der Erste, der zum Set kommt, und der Letzte, der geht. Wenn der Film abgedreht ist, folgt eine sehr intensive Phase der Nachbearbeitung. Und erst dann kann man zum ersten Mal wieder Atem holen.

      Lohnt es sich, Regisseur zu werden?

      RE: Ja, es lohnt sich. Man ist nämlich nicht nur mit einer Sache beschäftigt, sondern mischt in allen Bereichen mit. Man ist unglaublich eingespannt. Wer Stress mag und viel erleben will, der sollte Regisseur werden.

      Centropolis reloaded:

      In den USA

      Mit dem Familienunternehmen Centropolis begann Roland Emmerichs Filmkarriere und diesen familiären Ansatz wollte er in anderer Hinsicht auch in seinen amerikanischen Produktionen weiterhin pflegen. Für ihn war es stets wichtig, nicht nur willige Mitarbeiter zu finden, die ihm halfen, seine Kinoträume auf die Leinwand zu bannen, sondern engagierte Vertraute, auf die er sich verlassen kann, in beruflicher wie menschlicher Hinsicht. Seine Philosophie besagt, dass Filme nicht von einem Einzelnen, sondern immer von einem ganzen Team gestaltet werden und eine Produktion immer nur so gut sein kann wie das schwächste Crew-Mitglied. Deshalb muss der Kabelträger genauso gern mitarbeiten wie der Beleuchter, Kameramann oder Schauspieler. Nur durch gutes Teamwork lässt sich ein Film realisieren.

      Im Laufe seiner Kinokarriere begegnete Emmerich immer wieder Talenten, mit denen er sich auch anfreundete und die seither zu seinen ständigen Mitarbeitern gehören. Mit ihnen zusammen bildet er eine Art Film-Familie: Dazu gehören der inzwischen Oscar-gekrönte Tricktechniker Volker Engel, Production Designer Oliver Scholl, Kameramann Karl Walter Lindenlaub, Kamerafrau Anna Förster oder Schauspieler, Produzent und Drehbuchautor Dean Devlin. Seit Jahren arbeitet er mit ihnen immer wieder zusammen.

      Eines der wichtigsten Mitglieder seines inneren Zirkels dürfte aber seine Schwester Ute sein, die seine Arbeit von Anfang an begleitete. Bei seinen ersten filmischen Gehversuchen wirkte sie schon mit, allerdings nicht als Produzentin, sondern als Kleindarstellerin. Bei Joey kümmerte sie sich um das Casting und das Finanzielle, bei späteren Filmen wie Hollywood Monster oder Moon 44 war sie Produktionsleiterin. Sie begleitete ihren Bruder auch nach Amerika und arbeitete bei nahezu allen seinen Filmen als Executive Producer oder Co-Producer mit – sowohl bei den beiden Independence Day-Teilen als auch bei Stargate, Godzilla, Der Patriot, The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down.

      Vor ihrem Einstieg in die Filmbranche absolvierte Ute Emmerich in Stuttgart eine Lehre zur Industriekauffrau. Nachdem sie ihrem Bruder geholfen hatte, Joey zu realisieren, reiste sie in die USA, um ihr Englisch zu verbessern. Drei Monate lang lebte sie in Berkley, Kalifornien, bevor sie in der Filmstadt Los Angeles haltmachte. Dort übernahm sie einen Job bei dem berühmt-berüchtigten B-Picture-Regisseur