Please Kill Me. Gillian McCain. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gillian McCain
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454236
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      John Sinclair: Ich drehte mich um und sah, wie dieses Heer von Polizisten auf das Publikum losstürmte. Wir sind mit unserem Transporter quer über die Wiese gefahren und haben uns nicht um irgendwelche Wege gekümmert, weil wir einfach nur so schnell wie möglich zum Ausgang wollten.

      Dort stand der Wagen der Gruppe Up, die aus Ann Arbor angereist war, und wir sagten ihnen, dass sie so schnell wie möglich wieder umkehren müssten.

      Wir konnten zum Glück entkommen, hahaha. Wir sind schnurstracks nachhause gefahren. Aber danach gehörten wir irgendwie dazu.

      Aber trotzdem war ich immer froh, dass wir aus Chicago flüchten konnten und unsere Instrumente heil geblieben sind, weil wir ja schließlich weiterhin Musik machen mussten – wir hatten ja nicht vor, in den nächstbesten Flieger zu steigen, um im nächsten College für fünftausend Dollar eine Rede zu halten, sondern wir fuhren zurück nach Michigan, um für zweihundert Dollar in irgendwelchen Teenieclubs aufzutreten.

      Dennis Thompson: Chicago hätte eigentlich ein Ort der Solidarität sein sollen, verdammt noch mal. So was schimpft sich also Alternativkultur? Das kann ja wohl nicht sein. Wo waren denn all die anderen Bands?

      Außer uns hat sich dort niemand blicken lassen. Das war’s, was mich am meisten angekotzt hat. Mir war klar, dass die Revolution in diesem Augenblick vorüber war – ich schaute über meine Schulter, und keine Sau war da! Wir waren diejenigen, die an den Galgen geliefert werden würden. Ich sagte: „Das war’s denn wohl. Es gibt keine Revolution. Die existiert nicht. Das ist alles Blöd­sinn. Die Bewegung ist tot.“

      Danny Fields: Am ersten Herbstwochenende 1968 habe ich mich auf den Weg gemacht, um die Jungs von MC5 zu treffen. Sie haben mich am Flughafen abge­holt, und dann sind wir zu ihnen nachhause gefahren. Ich war einfach nur ver­blüfft. So etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt. John Sinclair, der Manager von MC5, sprühte vor Charme, Energie und Intellekt. Und dann sein Aussehen und seine Statur – er war einer der beeindruckendsten Menschen, die mir je begegnet sind. Und dann dieses Haus!

      Wayne Kramer: Kurz bevor die Krawalle in Chicago losgingen, sind wir 1967 wegen der Rassenunruhen in Detroit nach Ann Arbor umgezogen. Es war wirk­lich beängstigend. Ich lebte in einer Wohnung an der Ecke Second und Alexan­drine, und die ersten Morde passierten direkt in der Nachbarschaft. Die gingen allesamt auf das Konto der Polizei. Die Bullen sind einfach durchgedreht und haben eine Woche in der Gegend rumgeballert – und dabei vierzig oder fünf­zig Leute abgeknallt.

      Danach war die Scheiße ziemlich am Kochen. Ein paar unserer Freundin­nen wurden vergewaltigt, und uns wurden ein paarmal unsere Instrumente geklaut. Immer wenn wir in unseren Übungsraum gegangen sind, war die Tür bereits aufgebrochen, und es waren drei Gitarren weniger da. Also sind wir in zwei Studentenwohnheime in Ann Arbor gezogen.

      Danny Fields: In diesen Studentenwohnheimen ging es zu wie in einer Wikin­gerkommune. In jedem Haus gab es ungefähr einhundert Schlafzimmer, und jedes dieser Schlafzimmer war von seinen Bewohnern auf fast schon psyche­delische Art ausgestattet worden. Matratzen auf dem Fußboden, indische Tücher von den Decken, eben der typische Sechzigerjahre­Scheiß. Der Keller war gerammelt voll mit Druckerpressen, es gab Designstudios, Workshops und Dunkelkammern. Eine Menge Propagandaplakate wurde unten in der Drucke ­rei hergestellt. Und überall lagen rote Bücher herum. Mao­Bibeln, wohin das Auge sah. Ohne Mao­Bibel warst du nur ein halber Mensch. Es gab sie in allen Größen. und sie waren überall im Haus verstreut.

      Wayne Kramer: In diesem Haus floss die Selbstgerechtigkeit in Strömen. Und tatsächlich war „Gerechtigkeit“ ein Begriff, den alle bei allen Gelegenheiten in den Mund nahmen.„Das ist nicht gerecht, Mann … Nein, das ist wirklich nicht gerecht, Mann …“

      Uns kam dieses Wort total ätzend vor, und wir wollten uns da in nichts hin­einziehen lassen. Wir wollten etwas anderes, vor allem wollten wir nicht in aller Herrgottsfrühe aufstehen, und wir wollten auch keinen richtigen Job.

      Es war immer dasselbe. „Dies ist ätzend, das ist ätzend, dies ist komisch“ oder „Das macht aber überhaupt keinen Spaß“. Bei einer Burger­Kette wie Big Boy zu arbeiten machte überhaupt keinen Spaß, in einer Band zu spielen machte Spaß, zu Dragster­Rennen zu gehen machte Spaß, mit dem Auto durch die Gegend zu heizen und Bier zu trinken machte Spaß. Es spielte sich irgend­wie alles auf einer gefühlsmäßigen Ebene ab – das war die Ebene unserer Poli­tik –, wir wollten für unser Dasein andere Wege einschlagen.

      Unser politisches Programm bestand folglich aus Drogen, Rock ’n’ Roll und Sex im Freien. Das war unser ursprüngliches politisches Dreipunkteprogramm, das sich später auf ein Zehnpunkteprogramm ausweitete, als wir vorgaben, seriös zu sein. Dann riefen wir die White Panther Party ins Leben, was ursprünglich der MC5­Fanklub war. Ursprünglich nannte der sich The MC5’s Social and Ath­letic Club. Dann hörten wir von den Black Panthers und dass die Revolution dem Untergang geweiht war, deshalb dachten wir: „Oh, dann sollten wir das in White Panthers umbenennen.“ Also waren wir fortan die White Panthers.

      Danny Fields: Auf der einen Seite existierte eine Politik aus Revolution und Gleichheit und Freiheit, auf der anderen Seite gab es die Frauen, die den Mund nicht aufmachten und lange Kleider trugen und den ganzen Tag am Herd stan­den, um Riesenfleischmahlzeiten zuzubereiten, die dann den Männern gebracht und serviert wurden – die sie dann allein aßen.

      Männer und Frauen aßen nie zusammen an einem Tisch. Die Männer aßen entweder vor oder nach einem Gig. Wenn sie nachhause kamen, schlugen sie mit der Faust auf den Tisch wie die Höhlenmenschen. Und die Frauen ver­hielten sich ruhig. Man erwartete auch keinen Protest von ihnen. Man erwar­tete von den Frauen, dass sie ihre Männer stillschweigend bedienten.

      Kathy Asheton: John Sinclair war ein Schwein. Er hat MC5 buchstäblich in Beschlag genommen und sie für seinen politischen Müll missbraucht. Sie sind wirklich in diesen ganzen Bruder­und­Schwester­Scheiß hineingezogen wor­den, was zwar gut war für irgendwelche Liveauftritte, aber ansonsten …

      Ich konnte das nie ernst nehmen. Meine Brüder und Iggy ebenso wenig, und es hat sich sehr bald gezeigt, dass sich zwischen den Stooges und den MC5 eine Kluft gebildet hatte. MC5 waren zwar immer noch eine gute Band, aber sie waren längst nicht mehr so witzig wie früher. Sie waren regelrecht chauvinis­tisch geworden. Ich hatte mit diesem Leben als Dienstmagd definitiv nichts am Hut, aber das war genau das, wovon sich alle so angezogen fühlten. Ich habe um all diese Mädchen vom Trans­Love einen riesengroßen Bogen gemacht. Diese Mädchen waren alle dermaßen unterwürfig, dass einem das Kotzen kommen konnte. Bei mir hingegen war das Partyfieber ausgebrochen, und ich habe mich immer aufgebrezelt für die Nacht, während diese Mädchen auf ihren Knien rumrutschten und die Fußböden schrubbten. Meiner Meinung nach waren sie ziemlich krank im Kopf, dass sie so etwas mit sich machen ließen.

      Wayne Kramer: Wir waren sexistische Bastarde. Wir waren nicht die Spur poli­tisch korrekt. Wir haben nur ständig die entsprechende Rhetorik angewendet und behauptet, dass wir revolutionär, modern und anders wären, aber in Wirk­lichkeit ging es uns nur darum, dass die Jungs die Mädchen ficken konnten und dass die sich hinterher nicht beklagten.

      Und falls sich die Mädchen hinterher doch beklagten, wurden sie als bour­geoise und konterrevolutionäre Hexen abgestempelt. Wir haben uns wirklich wie die Arschlöcher aufgeführt.Wir haben es mit der freien Liebe ausprobiert,und als das nicht funktioniert hat, haben wir wieder den traditionellen Weg eingeschla­gen:„Nein, Liebling, ich habe unterwegs mit niemandem gevögelt. Und übrigens, ich muss zu einem Arzt für Geschlechtskrankheiten.“ Was das anging, war ich in unserer Band der Vizeweltmeister. Ich glaube, ich habe mir neunmal einen Trip­per eingefangen. Aber Dennis hat mich geschlagen – er hatte zwölfmal einen.

      Danny Fields: Klar, ich dachte, diese Männerbündnisse wären sexy. Das war eine Welt, die ich vorher nicht kannte. Sicher, es gab da diesen Mythos, der durch den Beatles­Film Help entstanden war, wo man dachte, sie würden alle zusammen in diesen miteinander verbundenen Häusern wohnen. Bei unserer Band war es aber tatsächlich der Fall!

      Also dachte ich, das wäre total verwegen. Ich dachte nur, sie wären die ero­tischsten Typen, die mir je begegnet sind. Ich dachte