Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
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junge Herr promenieren . . . im Schlafrock . . .«

      »Lesen, promenieren . . . So. Weiter?«

      »Gestern erwarteten der junge Herr . . .«

      »Erwarteten — wen?«

      »Den Kostümeur . . .«

      »Was für einen Kostümeur?«

      »Den Kostümeur.«

      »Hm — hm . . . Wozu denn eigentlich?«

      »Ich denke mir, der junge Herr wollten zu einem Ball . . .«

      »Aha — so . . . zu einem Ball . . .« Apollon Apollonowitsch rieb sich an der Nasenwurzel: ein Lächeln erhellte sein Gesicht, es wurde plötzlich greisenhaft.

      Apollon Apollonowitsch nahm seinen Zylinder und schritt durch die geöffnete Tür.

       Inhaltsverzeichnis

      Reif lag auf den Straßen, Trottoiren und Dächern. Reif bedeckte die Passanten; beschenkte sie mit Grippe; zugleich mit dem feinen Regenstaub kroch Influenza und Grippe hinter die aufgeschlagenen Kragen der Gymnasiasten, Studenten, Staatsbeamten, Offiziere und der gewöhnlichen Subjekte; und das Subjekt (der Bürger sozusagen) sah sich geängstigt um; er sah in die graue, abgeschlissene Straße; er zirkulierte durch die Endlosigkeit der Straßen, überwand, ohne Murren, diese Endlosigkeit, im endlosen Fluß ebensolcher Subjekte wie er, unter dem Rennen, Rasseln, Klappern der Droschken, fern von sich die melodischen Stimmen der Automobilrouladen und des anwachsenden Geräusches (das dann allmählich wieder verhallte) der gelbroten Trambahnen, unter ununterbrochenem Rufen der Zeitungsverkäufer.

      An diesem düsteren Petersburger Morgen flogen die schweren Flügeltüren des prunkvollen gelben Hauses auf: das gelbe Haus blickte mit all seinen Fenstern auf die Newa. Ein Lakai mit rasiertem Gesicht, mit Goldtressen an den Reversen, sprang aus dem Entresol hervor, um dem Kutscher ein Zeichen zu geben. Die grauen, scheckigen Pferde zogen an und rollten zum Vestibül den Wagen heran, der ein altes Adelswappen trug: ein Einhorn, einen Ritter durchbohrend.

      Als Apollon Apollonowitsch Ableuchow in grauem Mantel und Zylinder mit steinernem, einem Briefbeschwerer ähnlichem Gesicht, im Gehen den schwarzen Wildlederhandschuh anziehend, rasch im Vestibül erschien und noch rascher die Wagenstufe betrat, wurde der Gesichtsausdruck eines gerade vorübergehenden braven Polizisten im Nu noch dümmer, und er streckte sich starr in Positur.

      Apollon Apollonowitsch Ableuchow warf einen flüchtigen, verlorenen Blick auf den Polizisten, auf den Wagen, den Kutscher, auf die große schwarze Brücke, auf den Newaspiegel, hinter dem sich neblige, vielschlotige Fernen zeichneten und von wo her ängstlich die Wassiljewski-Insel hervorblickte.

      Der graue Lakai schlug eilig die Wagentür zu. Der Wagen rannte in den Nebel hinein: der zufällig vorübergehende Polizist, erschüttert von allem Gesehenen, blickte lange, lange über die Schulter in den schmutziggrauen Nebel dem fortgerasten Wagen nach; dann seufzte er und ging weiter; bald verschwanden im Nebel auch die Schultern des Polizisten wie alle Schultern, Rücken, alle grauen Gesichter und alle schwarzen, nassen Regenschirme in diesem Nebel verschwanden. In dieselbe Richtung warf auch der würdige Lakai einen Blick; er blickte dann nach rechts, nach links, auf die Brücke, zuletzt auf die weite Fläche der Newa . . .

       Inhaltsverzeichnis

      »He, he . . .«

      So schrie der Kutscher . . .

      Und die Räder spritzten auf alle Seiten Straßenkot.

      Der Wagen raste auf den Newskij-Prospekt. Apollon Apollonowitsch Ableuchow wiegte sich auf dem Atlaspolster des Sitzes; von dem Dreck der Straße war er durch vier perpendikuläre Wände getrennt; war auch von den vorbeiflutenden Menschenmengen getrennt, von den trübselig nassen, roten Umschlägen der Gassenblättchen, die an der Straßenkreuzung dort verkauft wurden.

      Die Regelmäßigkeit und Symmetrie beruhigten die Nerven des Senators, die durch Unebenheiten des häuslichen Lebens und dem hilflosen Kreisen unseres Staatsrades erregt waren.

      Harmonische Einfachheit war das Kennzeichen seines Geschmacks.

      Am meisten liebte er die geradlinige Straße; diese Straße mahnte ihn an den Fluß der Zeit, zwischen zwei Punkten des Lebens.

      Nasse, glitschrige Straßen: Häuser in Kubusform als regelmäßige fünfstöckige Reihen; von der Linie des Lebens unterscheiden sich dieselben nur in einer Beziehung: diese Reihen hatten weder Ende noch Anfang. Begeisterung erfüllte jedesmal die Seele des Senators, wenn sein lackierter Kubus wie ein Pfeil die Linie des Newskij durchschnitt. Dort hinter den Fensterscheiben liefen die Nummern der Häuser vorbei, eine Zirkulation ging dort vor sich; dort schimmerten an klaren Tagen von weit, weit her blendend: die goldene Spitze1), die Wolken, der rote Strahl des Sonnenuntergangs; und dort sah man an nebligen Tagen — nichts, niemand.

      Weiter aber waren die Linien der Newa, der Inseln.

      Apollon Apollonowitsch liebte diese Inseln nicht: die Bevölkerung dort waren Fabrikarbeiter, roh; ein vieltausendköpfiger Menschenschwarm wälzte sich dort morgens zu den vielschlotigen Fabriken; er wußte, jetzt zirkulierte dort der Browning. Und noch an etwas anderes dachte Apollon Apollonowitsch: Die Bewohner der Inseln zählen zu der Bevölkerung des Russischen Reiches; auch dort ist die allgemeine Volkszählung durchgeführt: auch sie haben numerierte Häuser, Polizeireviere, Staatsinstitute; der Insulaner ist: Advokat, Schriftsteller, Arbeiter, Polizeibeamter; er hält sich für einen Bürger Petersburgs, doch ist er Bürger des Chaos, er bedroht des Reiches Residenz aus herannahender Wolke . . . Apollon Apollonowitsch wollte nicht weiter denken: voll Unruhe sind diese Inseln — niederstampfen, niederstampfen! Durch das Eisen einer riesigen Brücke an den Boden festschmieden und in alle Richtungen durch Straßenpfeile durchbohren . . . Und so verträumt blickend in die Endlosigkeit der Nebel, wuchs der Staatsmann aus dem schwarzen Kubus seines Wagens heraus, dehnte sich auf alle Seiten und reckte sich in die Höhe empor; er wünschte, sein Wagen möge vorwärts rasen, daß die Straßen ihm entgegen flögen — eine Straße nach der anderen; daß die ganze sphärische Oberfläche des Planeten wie durch Schlangenringe durch schwarzgraue Häuserkuben eingefaßt würde; daß die ganze von Straßen zusammengedrängte Erde im kosmischen Linienlauf die Endlosigkeit wie ein geradliniges Gesetz durchschnitt; daß ein Parallelstraßennetz, durchkreuzt von einem anderen Parallelstraßennetz, sich mit den Flächen der Quadrate und Kuben in die Himmelsabgründe bohrt: für jeden Stadteinwohner je ein Quadrat; daß . . . daß . . .

      Am meisten beruhigte ihn nach der Linie, die Figur des Quadrates.

      Er pflegte oft lange sich gedankenloser Betrachtung hinzugeben von: Pyramiden, Dreiecken, Parallelepipeden, Kuben, Trapezen. Unruhe ergriff ihn nur beim Anblick des abgebrochenen Kegels.

      Die Zickzacklinie aber, die konnte er nicht ausstehen.

      In seinem Wagen genoß Apollon Apollonowitsch durch lange Augenblicke gedankenlos die viereckigen Wände, im Zentrum eines vollendeten, mit Atlas überspannten Kubus sitzend: Apollon Apollonowitsch war zur Einzelhaft geschaffen; nur die Liebe zur Staatsplanimetrie hatte ihn in die Vieleckigkeit eines verantwortlichen Postens hineingezogen.

      Die nasse, schlüpfrige Straße wurde in geraden, neunziggradigem Winkel von einer anderen nassen Straße durchquert; im Kreuzungspunkt der Linien stand ein Polizist . . .

      Und ebensolche Häuser erhoben sich dort, und ebenso grau zogen dort Menschenströme hin und ebenso grüngelb stand dort ein Nebel. Konzentriert liefen dort Gesichter vorbei; die Trottoirs flüsterten, scharrten, wurden mit den Gummischuhen gerieben; feierlich zog die Bürgernase vorbei. In Mengen zogen Nasen vorbei: Adlernasen, Entennasen, Hühnernasen,