Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
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       Inhaltsverzeichnis

      Apollon Apollonowitsch Ableuchow war von höchst würdiger Abstammung: er hatte Adam zum Vorfahren gehabt. Das war aber die Hauptsache nicht: viel wichtiger war, daß sein edelst geborener Ahne Sem gewesen war, also der eigentliche Ahnherr der semitischen, chetitischen und farbigen Völker.

      Hier wollen wir aber zu den Vorfahren weniger ferner Epochen einen Übergang tun.

      Diese Vorfahren lebten im kirgiskaijsakischen Hordenstaat, und von da aus trat Mirsa Ab-Lai, Ururgroßvater des Senators, der in der christlichen Taufe den Vornamen Andreij und den Rufnamen Uchow bekommen hatte, zur Regierungszeit Anna Joannownas ruhmvoll in den russischen Dienst ein. So berichtet über dieses Hervorgehen aus den Tiefen einer mongolischen Rasse des Russischen Reiches Wappenkalender. Dann wurde der Kürze wegen Ab-Lai-Uchow in Ableuchow verwandelt.

      Dieser Ururgroßvater wurde, der Überlieferung nach, zum Urquell des ganzen Geschlechts.

      Ein mit Goldtressen geschmückter, grauer Lakai staubte mit einem Federbusch den Schreibtisch ab; in der offenen Tür zeigte sich die Papiermütze des Kochs.

      »Er ist schon auf, was?«

      »Reibt sich mit Eau de Cologne ab, wird gleich zum Kaffee erscheinen.«

      »Morgens sagte der Briefbote, für den gnädigen Herrn sei ein Briefchen aus Hispanien gekommen: mit hispanischer Marke.«

      »Ich mache Sie aufmerksam: Sie sollten Ihre Nase weniger in die Briefsachen stecken.«

      »Anna Petrowna ist also . . .«

      »Na ja: also . . .«

      »Aber ich — ich meine es nur so . . . Was bin ich: nichts . . .«

      Des Kochs Kopf verschwand im Nu: Apollon Apollonowitsch Ableuchow schritt in sein Arbeitszimmer herein.

      Ein auf dem Tisch liegender Bleistift fesselte die Aufmerksamkeit Apollon Apollonowitschs. Er faßte einen Beschluß: dem Ende des Bleistiftes eine spitze Form zu geben. Rasch näherte er sich dem Schreibtisch und griff nach . . . einem Briefbeschwerer, den er lange in tiefer Nachdenklichkeit in der Hand drehte, ehe er bemerkte, daß er einen Briefbeschwerer und nicht einen Bleistift in der Hand hielt.

      Die Zerstreutheit kam daher, daß ein tiefer Gedanke ihn im selben Augenblick erleuchtete; und sogleich, zur ganz ungeeigneten Zeit (Apollon Apollonowitsch mußte eilig ins Amt), entwickelte sich der Gedanke zu einem fortlaufenden Gedankengang. In dem Tagebuch, das im Jahr seines Todes zu erscheinen hatte, war eine neue Seite dazugekommen.

      Nachdem er den Gedankengang eilig aufgeschrieben, dachte Apollon Apollonowitsch: »Jetzt ist es Zeit in den Dienst.« Und er schritt weiter in das Speisezimmer, um seinen Kaffee zu sich zu nehmen.

      Vorerst begann er mit peinlicher Beharrlichkeit den alten Kammerdiener auszuforschen:

      »Ist Nikolai Apollonowitsch schon auf?«

      »Nein, der junge Herr sind noch nicht aufgestanden.«

      »Ä — ä . . . sagen Sie: wann eigentlich . . . sagen Sie, wann pflegt Nikolai Apollonowitsch sozusagen . . .«

      »Ja, der junge Herr stehen ein wenig spät auf . . .«

      »Na, wie denn, ein wenig spät?«

      Und sogleich, ohne auf eine Antwort zu warten, schritt er, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, weiter, um seinen Kaffee zu trinken.

      Es war genau halb zehn.

      Um zehn fuhr er, der Alte, ins Regierungsamt. Nikolai Apollonowitsch aber, der Jüngling, erhob sich aus dem Bett — zwei Stunden später. Jeden Morgen erkundigte sich der Senator nach der Aufstehzeit des Jüngeren. Und jeden Morgen faltete er unzufrieden das Gesicht.

      Nikolai Apollonowitsch war des Senators Sohn.

      Kurz, er war das Haupt eines Regierungsamtes . . .

      Apollon Apollonowitsch Ableuchow zeichnete sich durch ruhmvolle Taten aus; mehr als ein Stern ist auf seine goldbestickte Brust niedergefallen: der Stern des Stanislaus und der Anna sogar: sogar der Stern des Weißen Adlers.

      Und vor kurzem erglänzten an dem Wohnsitz patriotischer Gefühle die Strahlen des Diamantzeichens, nämlich: das Ordenszeichen — des Alexander Newski.

      Wie war nun die gesellschaftliche Stellung der aus dem Nichts hier ins Leben gerufenen Persönlichkeit?

      Ganz Rußland kannte Ableuchow wegen der ungemeinen Länge der von ihm gehaltenen Reden; diese Reden glänzten und spritzten geräuschlos Gifte auf die feindliche Partei; das Resultat dessen war, daß die Anträge dieser feindlichen Partei an den Stellen, auf die es ankam, abgelehnt zu werden pflegten. Mit der Einsetzung Ableuchows auf den verantwortlichen Posten hörte die Tätigkeit des neunten Departements auf. Gegen dieses Departement führte Ableuchow einen zähen Kampf auf dem Wege des Papiers oder, wo es anging, durch Reden. Die Reden des Senators durchflogen Kreise und Gouvernements, von denen manche ihrer Ausdehnung nach dem Deutschen Reich nicht nachstanden.

      Apollon Apollonowitsch war das Haupt eines Regierungsamtes.

      Eines Regierungsamtes, das Ihnen wohl bekannt ist.

      Wollte man die saftlose, gänzlich unansehnliche, kleine Gestalt meines Helden mit der unermeßlichen Größe der von ihm betriebenen Mechanismen vergleichen — man würde wohl für lange Zeit in naives Staunen verfallen; und in der Tat: es staunten ausnahmslos alle über den Wettersturz geistiger Kräfte, der aus diesem Schädel — ganz Rußland und allen Departements, mit Ausnahme eines einzigen, zum Trotz — hervorgebrochen war; und nun ruhte das Haupt jenes einzigen Departements, dem Willen des Schicksals gehorchend, seit zwei Jahren unter des Grabes Stein.

      Mein Senator war gerade achtundsechzig alt geworden; und sein Gesicht, das blasse, erinnerte bald an den grauen Briefbeschwerer (in feierlichen Augenblicken), bald an Papiermaché (in Mußestunden); die steinernen Senatoraugen, umgeben von schwarz-grünem Graben, schienen in Momenten der Müdigkeit noch blauer und riesenhafter.

      Unsererseits fügen wir hinzu: Apollon Apollonowitsch regte sich beim Anblick seiner vollständig grünen, auf dem blutroten Fond des brennenden Rußland ungeheuer vergrößerten Ohren keinesfalls auf. So war er nämlich vor kurzem abgebildet: auf dem Titelblatt einer humoristischen Gassenrevue, eines der »judaischen« Blättchen, deren blutrote Umschläge in jenen Tagen sich auf den menschenwimmelnden Straßen mit erstaunlicher Raschheit vermehrten . . .

       Inhaltsverzeichnis

      Im eichenen Speisezimmer erklang das Keuchen der Uhr; der graue Kuckuck stieß, sich verneigend und zischend, seinen Ruf aus; auf das Zeichen des altertümlichen Kuckucks nahm Apollon Apollonowitsch vor der Porzellantasse Platz und brach knusperige Stückchen vom Weißbrot ab. Beim Kaffee dachte Apollon Apollonowitsch an die früheren Jahre zurück; und — sogar, ja sogar — leicht zu scherzen pflegte er beim Kaffee:

      »Wer ist der Würdigste unter allen Menschen, Ssemjonytsch?«

      »Ich denke mir, Apollon Apollonowitsch, der Würdigste unter allen wird der Geheime Wirkliche Rat sein.«

      Apollon Apollonowitsch lächelte nur mit den Lippen.

      »Sie denken nicht richtig: Der Würdigste unter allen ist der Kaminkehrer . . .«

      Der Kammerdiener kannte bereits den Scherz, doch die Ehrfurcht gebot Schweigen darüber.

      »Warum, gnädiger Herr, wenn ich fragen darf, dem Kaminkehrer diese Ehre?«

      »Vor dem Wirklichen Geheimen Rat weicht man aus, Ssemjonytsch?«

      »Ich denke — so ist’s, Exzellenz