Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
Скачать книгу

      »So ist also die Sache«, meinte ehrfurchtsvoll der Kammerdiener.

      »So ist es; aber es gibt ein Amt, das noch würdiger ist . . .« Und gleich darauf:

      »Das eines Wasserklosettarbeiters . . .«

      »Pff! . . .«

      »Vor diesem weicht nicht nur der Wirkliche Geheime Rat, sondern selbst der Kaminkehrer aus . . .«

      Und — einen Schluck Kaffee. Wir bemerken aber: Apollon Apollonowitsch war ja selbst Wirklicher Geheimer Rat.

      »Ja, Apollon Apollonowitsch, auch das noch: Anna Petrowna erzählte einmal . . .«

      Bei den Worten »Anna Petrowna« brach der grauhaarige Kammerdiener ab.

      »Den grauen Mantel?«

      »Den grauen Mantel.«

      »Ich denke, auch die grauen Handschuhe?«

      »Nein, geben Sie mir die Wildlederhandschuhe . . .«

      »Geruhen Exzellenz einen Augenblick zu warten: die grauen Handschuhe haben wir ja im Schrank, Fach C, Nordwest.«

      Nur ein einziges Mal ging Apollon Apollonowitsch in die Kleinigkeiten des Lebens ein: er führte einmal eine Revision seines Inventars durch. Ordnungsmäßig war das Inventar registriert und eine Nomenklatur der großen und kleinen Fächer eingeführt; es entstanden Fächer mit Lettern: a, b, c, und die vier Seiten der Fächer bekamen die Bezeichnung der vier Weltgegenden.

      Wenn er eine Brille auf den Platz gelegt hat, notierte Apollon Apollonowitsch auf seiner Liste mit kleiner, perlenartiger Schrift: Brille—Fach b, NO, d. h. Nordost; eine Kopie dieser Liste bekam der Kammerdiener, der die Richtungen der kostbaren Toilettengegenstände auswendig gelernt hat; fehlerlos skandierte er nachts in schlaflosen Stunden diese Richtungen herunter.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem Tisch erhob sich eine kalte, langbeinige Bronze; des Lampenschirms rosig-violette Farbe schimmerte nicht: verloren hat das neunzehnte Jahrhundert das Geheimnis dieser Farbe; das Glas dunkelte ab von der Zeit, und ebenso die feine Zeichnung.

      Die goldenen Trumeaus zwischen den Fenstern verschlangen überall mit dem Grün ihrer Spiegelflächen den Salon; Perlmuttertischchen schimmerten neben jedem Trumeau.

      Sich mit der Hand auf die fein geschliffene Kristallklinke stützend, öffnete Apollon Apollonowitsch rasch die Tür; seine Schritte hallten auf dem glänzenden Parkett; überall an allen Ecken standen Haufen kleiner Nippsachen aus Porzellan; diese Nippsachen brachten sie mit aus Venedig, er und Anna Petrowna, vor — vor nun dreißig Jahren.

      Seine Augen glitten zum Klavier hinüber.

      Apollon Apollonowitsch erinnerte sich: eine weiße Petersburger Nacht; hinter den Fenstern ein breiter Fluß; der Mond stand oben, und es rauschte eine Roulade von Chopin: ja, er weiß es noch; Chopin (nicht Schumann) hatte Anna Petrowna gespielt . . .

      Apollon Apollonowitsch ließ sich in einen Empiresessel nieder, wo auf dem blaßblauen Atlas des Sitzes Kränzchen sich wanden, seine Hand griff nach dem chinesischen kleinen Tablett, auf dem ein Paket uneröffneter Briefe lag; sein kahler Kopf neigte sich über die Briefe. In Erwartung des Kammerdieners mit der Meldung: »Der Wagen wartet« vertiefte er sich in die Morgenpost.

      Die Kuverte wurden erbrochen, eins nach dem anderen.

      »Hm . . . So—o, so—o— so—o: schön . . .«

      Und eines der Kuverte wurde sorgfältig eingesteckt.

      »Hm . . . Bittgesuch . . .«

      »Bittgesuch, Bittgesuch . . .«

      Ein Umschlag aus massivem grauen Papier, versiegelt, mit Wappenzeichen, ohne Marke, mit Siegellackpetschaft.

      »Hm . . . Graf Dublwe . . . Was mag’s wohl sein? Bittet, im Bureau zu empfangen . . . Persönliche Angelegenheit . . .«

      »Hm . . . Aha! . . .«

      Graf Dublwe, das jetzige Oberhaupt des neunten Departements, war der Gegner des Senators.

      Weiter . . . Ein blaßrotes Miniaturkuvert; die Hand des Senators erbebte, Anna Petrownas Schrift; er besah sich die spanische Marke, brach aber das Kuvert nicht auf:

      »Hm . . . Geld? . . .«

      »Geld war ja abgeschickt?«

      »Es wird geschickt werden!! . . .«

      »Hm . . . notieren . . .«

      In der Meinung, einen Bleistift aus der Tasche gezogen zu haben, hielt er ein beinernes Nagelbürstchen in der Hand und wollte gerade die Notiz: »Zurücksenden« machen, als . . .

      »— ? . . .«

      »Der Wagen wartet . . .«

      Apollon Apollonowitsch hob den kahlen Kopf und schritt hinaus aus dem Zimmer.

      An den Wänden hingen Bilder, deren ölig schimmernde Leinwand nur mit Mühe Französinnen unterscheiden ließ, die wie Griechinnen aussahen, in engen Direktoire-Tuniken und riesenhohen Frisuren.

      Über dem Klavier hing eine verkleinerte Kopie des Bildes von David: »Distribution des aigles par Napoléon premier.«

      Kalt war die Pracht des Salons wegen des vollständigen Mangels an Teppichen; der Parkettboden glänzte; würde ihn die Sonne einen Augenblick bescheinen, die Augen würden von selbst sich geschlossen haben. Kalt war dieses Gastzimmers Gastfreundschaft.

      Senator Ableuchow aber hat diese Kälte zum Prinzip erhoben.

      Sie prägte sich: im Wirt, in den Bronzen, in den Dienern, selbst in der tigerähnlichen, dunkelfarbigen Bulldogge, die irgendwo in der Nähe der Küche lebte.

      Mit der Abreise Anna Petrownas verstummte der Salon; der Deckel des Klaviers klappte zu, keine Roulade erklang mehr.

      Ja, was Anna Petrowna betrifft — oder einfacher gesagt, was den Brief aus Spanien betrifft: kaum war Apollon Apollonowitsch hinausgeschritten, begannen zwei Lakaien miteinander zu plappern:

      »Er las den Brief nicht . . .«

      »I wo: fällt ihm nicht ein, ihn zu lesen . . .«

      »Wird er ihn zurückschicken?«

      »Wahrscheinlich ja.«

      »So ein Stein von einem Menschen, Gott sei mir gnädig.«

      »Ich will Ihnen was sagen: Sie sollten delikater in Ihren Ausdrücken sein.«

      Während Apollon Apollonowitsch ins Vorzimmer schritt, sah der grauhaarige Kammerdiener, ebenfalls hinschreitend, zu den würdigen Ohren empor und drückte in der Hand seine Tabakdose — ein Geschenk des Ministers.

      Apollon Apollonowitsch blieb auf der Treppe stehen und suchte nach einem Wort.

      »Mm . . . hören Sie . . .«

      »Exzellenz?«

      Apollon Apollonowitsch suchte nach einem passenden Wort.

      »Was im allgemeinen — ja — macht . . . macht . . .«

      »—? . . .«

      »Nikolai Apollonowitsch.«

      »Nichts weiter, Apollon Apollonowitsch, der junge Herr befinden sich wohl.«

      »Und sonst?«

      »Wie immer: Der junge Herr geruhen sich einzusperren, lesen Bücher.«

      »Auch Bücher?«

      »Dann promenieren der junge Herr durch die Zimmer.«