Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
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      Eigentlich benahm sich Sofja Petrowna ihrem Gegenstand gegenüber in den letzten Monaten höchst provozierend: vor dem Grammophon, aus dem »Siegfrieds Tod« tönte, übte sie Körperplastik und hob dabei ihren rauschenden Seidenrock fast bis zum Knie; ferner: ihr Füßchen berührte unter dem Tische mehr als einmal Ableuchow. Nicht zu verwundern, daß dieser manchmal den Engel zu umarmen versuchte; dann entwand sich ihm der Engel und übergoß ihn mit Kälte. Bald darauf aber begann das Spiel von neuem. Einmal klatschte eine Ohrfeige durchs japanische Zimmer: —, Uu — Scheusal, Frosch . . . Uuu — roter Narr.

      Ruhig und kühl erwiderte Nikolai Apollonowitsch:

      »Bin ich ein roter Narr, so sind Sie — eine japanische Puppe . . .«

      Vor der Tür richtete er sich voll Würde empor, in diesem Augenblick bekam sein Gesicht den einmal gesehenen Ausdruck, und an diesen erinnert, erwachte ihre Liebe jäh wieder; als Nikolai Apollonowitsch verschwunden war, warf sie sich auf den Boden, biß und kratzte im Weinkrampf den Teppich; sprang dann plötzlich auf und streckte die Arme gegen die Tür:

      »Komm, kehre zurück — Gott!«

      Ihr zur Antwort schlug unten die Tür zu. Nikolai Apollonowitsch lief zu der großen Petersburger Brücke. Wir werden weiter sehen, daß er an dieser Brücke den wichtigen Beschluß gefaßt hatte, durch eine Tat sein eigenes Leben von sich zu werfen. Zu tief hatte ihn das Wort »roter Narr« getroffen.

      Nie wieder hat ihn Sofja Petrowna gesehen . . .

      Dafür kamen um so öfter Graf Awen, Baron Ommau-Ommergau, Werhefden und selbst Lipantschenko; sie lachte mit ihnen ohne Unterlaß; dann hielt sie im Lachen inne und fragte neckisch:

      »Nicht wahr, ich bin eine Puppe?«

      Sie antworteten mit einer »Fifka« nach der anderen und warfen Silbermünzen in die Sammelbüchse. Lipantschenko aber machte ihr zum Geschenk eine Puppe mit gelbem Gesicht.

      Als sie das vor ihrem Gatten Ssergeij Ssergeijewitsch aussprach, sagte er nichts und tat, als ginge er schlafen; in seinem Zimmer aber setzte er sich hin und schrieb an Nikolai Apollonowitsch einen kurzen Brief; in seinem Briefchen schrieb er Ableuchow, daß er, Ssergeij Ssergeijewitsch, sich erlaube, ihn um folgendes zu bitten: Er wolle sich aus prinzipiellen Gründen nicht in die Beziehungen Ableuchows zu seiner unendlich geliebten Gattin mischen, doch bitte er dringend (dringend war dreimal unterstrichen), ihrem Hause für immer fernzubleiben, da die Nerven seiner geliebten Gattin angegriffen seien. Sein Benehmen veränderte Ssergeij Ssergeijewitsch nicht im geringsten: er verwaltete — irgendwo — das Proviantamt.

      Ssergeij Ssergeijewitsch war groß von Gestalt, trug einen hellblonden Bart, besaß Nase, Mund, Ohren, Haare und wundervoll glänzende Augen: leider trug er eine dunkelblaue Brille, und niemand kannte die Farbe dieser Augen und auch nicht ihren herrlichen Ausdruck.

       Inhaltsverzeichnis

      In diesen frostreichen Oktobertagen befand sich Sofja Petrowna in ungewöhnlicher Aufregung; blieb sie allein in ihrem Treibhäuschen, dann runzelte sich ihr Stirnchen, und ihr Gesicht wurde purpurn; sie trat ans Fenster und wischte mit ihrem Taschentüchlein aus zartem Batist die schweißbedeckten Scheiben, das Glas begann zu quieken, und öffnete einen Augenblick auf den Kanal und auf einen vorübergehenden Herrn mit Zylinder — nichts weiter; als wäre sie in ihren Ahnungen getäuscht, begann Engel Peri ihr angefeuchtetes Taschentuch mit den Zähnchen zu beißen und zu zerren, dann lief sie hinaus, zog ihren schwarzen Plüschmantel an, setzte die Mütze aus ebensolchem Plüsch auf (Sofja Petrowna kleidete sich sehr bescheiden) und ging fort, um, die Nase in den Pelzmuff vergraben, zwischen der Moikastraße und dem Kai zu schlendern.

      Und einmal, während Lipantschenko da war, ergriff sie ihre Hutnadel und stach sich ins kleine Fingerchen.

      »Sehen Sie, es schmerzt nicht, und es kommt kein Blut: ich bin aus Wachs . . . eine Puppe.«

      Lipantschenko lachte und sagte:

      »Sie sind keine Puppe, Herzchen.«

      Erbost jagte ihn Engel Peri von sich. Er ergriff seine Ohrenklappenmütze und ging.

      Sie aber fuhr fort, ruhelos durchs Treibhäuschen zu wandern, runzelte das Stirnchen, errötete, wischte die Scheiben; es eröffnete sich der Ausblick auf den Kanal und auf eine vorüberfahrende Droschke — nichts weiter.

      Was aber weiter?

      Die Sache war so: vor einigen Tagen kehrte Sofja Petrowna von der Baronin R. R. nach Hause zurück. Bei der Baronin R. R. hatte es an diesem Abend »geklopft«; weißliche Funken waren über die Wand gelaufen, und einmal hatte der Tisch einen Sprung getan: sonst nichts; aber Sofja Petrownas Nerven waren äußerst gespannt, und die Treppe zu ihrer Wohnung war nicht beleuchtet (in Häusern mit billigen Wohnungen werden die Treppen bekanntlich nicht beleuchtet): und im Dunkel der Stiege sah Sofja Petrowna ganz deutlich einen noch schwärzeren Fleck, der sie wie eine schwarze Maske anstarrte. Sofja Petrowna zog mit aller Kraft an der Glocke. Als sich die Tür geöffnet und ein Lichtstrahl die Treppe beleuchtete, schrie das Dienstmädchen Mawruscha auf und schlug die Hände zusammen: Sofja Petrowna sah nichts, denn sie rannte in die Wohnung hinein: Mawruscha aber hatte gesehen: hinter dem Rücken der gnädigen Frau stand ein roter Atlasdomino mit schwarzer Maske, die von einem Fächer aus ebenso schwarzen Spitzen umrahmt war; der rote Domino streckte Mawruscha seinen blutigen Ärmel entgegen, aus dem eine Visitenkarte hervorlugte; und als die Tür vor dem ausgestreckten Arm zugeschlagen ward, erblickte auch Sofja Petrowna die Karte, die wahrscheinlich durch die Spalte hereinflog; was war aber auf der Karte? An Stelle eines Wappens — ein Schädel mit Knochen und darunter in modernem Schriftsatz die Worte: »Ich erwarte Sie auf dem Maskenball« — Ort, Datum und weiter die Unterschrift »Der rote Narr«.

      Den ganzen Abend war Sofja Petrowna in größter Erregung. Wer mochte sich als roter Domino verkleidet haben? Er natürlich, Nikolai Apollonowitsch: so hatte sie ihn ja einmal genannt . . . Der rote Narr war also gekommen. Wie war aber eine solche Handlungsweise einer wehrlosen Frau gegenüber zu nennen? War das nicht eine Gemeinheit?

      Gemeinheit, Gemeinheit, Gemeinheit.

      Wäre doch nur schon der Gatte gekommen, der Offizier. Er würde es dem Unverschämten gezeigt haben. Sofja Petrowna errötete, biß und zerrte ihr Taschentüchlein und begann zu schwitzen. Wär’ doch nur jemand gekommen.

      Es kam jedoch niemand.

      Aber vielleicht war er es nicht? Sofja Petrowna fühlte sich merklich beunruhigt: es tat ihr leid, den Gedanken fallen lassen zu müssen: der Narr sei — er; in diesen Gedanken flocht sich zugleich mit dem Zorn das süße, bekannte bange Empfinden; sie schien zu wünschen, er hätte sich als vollendeter Schuft entpuppt.

      Nein — nicht er; er ist doch kein Schuft, kein dummer Knabe! — Und ihr Herz stand still: nicht er.

      Unter ihren sozusagen Besuchern, die von Revolution — Evolution sprachen, befand sich einer, der Zeitungsreporter war und Neintelpfein hieß. Sofja Petrowna schätzte ihn hoch, und ihm eröffnete sie sich: er begleitete sie darauf zum Maskenball; dort gab es Harlekine, Italienerinnen, Spanierinnen und orientalische Frauen, die einander durch die schwarzen Masken in böser Weise zublinzelten. Gestützt auf Neintelpfeins Arm schritt Sofja Petrowna bescheiden in ihrem schwarzen Domino mit schwarzer Maske, jemand suchend, unstet durch die Säle.

      Da eben war es, wo Sofja Petrowna mit der nötigen Vorsicht, Neintelpfein von dem geheimnisvollen Vorfall erzählte. Der kleine Neintelpfein war Zeitungsreporter und bekam fünf Kopeken für die Zeile: von diesem Abend ging es an. Jeden Tag eine Notiz in der »Tagesschau«, »der rote Domino« und wieder »der rote Domino«!

      Man sprach über den Domino, debattierte und ereiferte sich unglaublich; die einen erblickten darin einen revolutionären Terror; die anderen schwiegen und zuckten die Achseln.