Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
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href="#ulink_792b34ad-0b34-5310-9a92-13d26449c2b4">Inhaltsverzeichnis

      Der feuchte Herbst lagerte über Petersburg, und traurig glomm der septemberliche Tag.

      Wie ein grünlicher Schwarm zogen Wolkenflocken dahin, und verdichtet zum gelblichen Rauch, fielen sie auf die Dächer wie eine Drohung nieder.

      Über den Himmel einen Trauerbogen spannend, erhob sich ein dunkler Rußstreifen von den Rauchfängen der Dampfer, der seinen Schwanz in die Newa versenkte.

      Und die Newa dröhnte, stieß durch die Pfeife des kleinen Dampfers gellende Schreie aus, ihre stählernen Wasserschuppen zerbrachen an den steinernen Pfeilern; und ihre Zungen leckten den Granit; mit ihren kalten Newawinden überfiel sie und zerrte an Mützen, Schirmen, Mänteln. Und überall in der Luft lagerte die fahlgraue Fäulnis; von dort aber, wo auf dem Felsen3) der nasse Reiter steht, blinkte das gelbe, grünüberzogene Kupfer zur Newa, in die fahlgraue Fäulnis hinüber.

      Auf diesem düsteren Fond des schwänzigen, überhängenden Rußes der feuchten Kaisteine, die Augen auf das bazillenerfüllte, trübe Newawasser gerichtet, zeichnete sich deutlich die Silhouette Nikolai Apollonowitschs im grauen Studentenmantel und seitlich sitzender Studentenmütze ab. Langsam bewegte sich Nikolai Apollonowitsch gegen die graue, dunkle Brücke.

      Vor der großen schwarzen Brücke blieb er stehen.

      Ein unangenehmes Lächeln erleuchtete für einen Augenblick sein Gesicht und erlosch gleich wieder; die Erinnerung an eine unglückliche Liebe hatte ihn erfaßt, und er wurde von ihr wie vom Aufbrausen eines kalt-kalten Windes bedrängt; Nikolai Apollonowitsch erinnerte sich einer nebligen Nacht; in dieser Nacht hatte er sich übers Brückengeländer gebeugt; er hatte sich umgewandt und gesehen, daß niemand ihm zusah; er hatte den Fuß hochgehoben, und sein glatt-blanker Gummischuh hatte sich übers Geländer geschwungen und — so war er — mit hochgehobenem Fuß stehengeblieben; es sollte scheinen, daß daraus weitere Folgen sich ergeben müßten; doch . . . Nikolai Apollonowitsch war mit hochgehobenem Fuß stehengeblieben.

      Einige Augenblicke später hatte er seinen Fuß wieder zurückgezogen.

      Damals eben reifte in ihm der unüberlegte Plan: einer leichtsinnigen Partei ein furchtbares Versprechen zu geben.

      Dieser unglücklichen Tat jetzt gedenkend, lächelte Nikolai Apollonowitsch in unangenehmster Weise. So bog er auf den Newskij-Prospekt ein; es begann zu dämmern; in den Auslagen blinkten bald da, bald dort Lichter auf.

      »Ein schöner Mann«, hörte Nikolai Apollonowitsch immer wieder sagen.

      »Eine antike Maske . . .«

      »Apollo vom Belvedere.«

      »Ein schöner Mann . . .«

      So sprachen die ihm begegnenden Damen wohl von ihm.

      »Dieses blasse Gesicht . . .«

      »Dieses marmorne Profil . . .«

      »Göttlich . . .«

      Die ihm Begegnenden sagten es zueinander. Wäre Nikolai Apollonowitsch aber mit einer der Damen ins Gespräch gekommen, sie würde für sich gedacht haben:

      »Scheusal . . .«

      Dort, vor einer Einfahrt, wo zwei melancholische Löwen spöttisch die Tatzen auf die grauen Granitplatten legten, dort, an diesem Platz, blieb Nikolai Apollonowitsch stehen und sah verwundert in den Rücken eines vor ihm schreitenden Offiziers. Er holte diesen ein:

      »Ssergeij Ssergeijewitsch!«

      Der Offizier wandte sich um und sah mit einem Schatten des Ärgers durch die blauen Brillengläser, wie, sich ihm nähernd, die kleine Figur im Studentenmantel von der Einfahrt herkam, wo zwei melancholische Löwen mit glatten Granitmähnen spöttisch die Tatzen übereinander gelegt haben. Für einen kurzen Augenblick wurde das Gesicht des Offiziers von einem Gedanken erleuchtet; das leichte Beben der Lippen ließ vermuten, daß er erregt war; als schwankte er: erkennen oder nicht.

      »Ah, guten Abend! Wohin?«

      »Ich gehe zur Pantelemonstraße«, log Nikolai Apollonowitsch, um mit dem Offizier durch die Moika zu gehen.

      »Gehen wir zusammen, bitte.«

      »Wohin gehen Sie?« log wieder Nikolai Apollonowitsch, um mit dem Offizier durch die Moika zu gehen.

      »Ich — nach Hause.«

      »Dann haben wir denselben Weg.«

      Beide schienen das Berühren einer schweren Vergangenheit vermeiden zu wollen, und sie leiteten sogleich das Gespräch auf anderes über: sie sprachen vom Wetter, dann davon, daß die Unruhe der letzten Tage ungünstig auf die philosophischen Arbeiten Nikolai Apollonowitsch’ gewirkt, von den Schwindeleien, die der Offizier in der Proviantierungskommission (er versorgte dort irgendein Amt) aufgedeckt haben wollte.

      So unterhielten sie sich während des ganzen Weges.

      Und nun kam die Moikastraße.

      »Adieu, also . . . Sie gehen ja weiter?«

      Das Herz Nikolai Apollonowitschs begann eifrig zu pochen; etwas wollte er sagen; und doch, nein: er sagte es nicht; einsam stand er nun vor der zugeschlagenen Tür; ihn packte die Erinnerung an eine verunglückte Liebe, vielmehr — an einen sinnlichen Trieb — und blau pulsierten die Äderchen an den Schläfen; er sann jetzt über seine Rache; er sann über die boshafte Verhöhnung seiner Gefühle von seiten der, die hinter diesem Vestibül wohnte; schon seit nahezu einem Monat sann er über seine Rache; doch — jetzt kein Wort mehr davon!

      Nikolai Apollonowitsch sah nicht den Newskij-Prospekt, noch immer stand das graue Haus vor seinen Augen; Fenster, hinter den Fenstern Schatten; hinter den Fenstern vielleicht lustige Stimmen: die des gelben Kürassiers, Baron Ommau-Ommergau; die des blauen Kürassiers, Graf Awen; und ihre — ihre Stimme . . . Da sitzt Ssergeij Ssergeijewitsch, der Offizier, und wirft vielleicht unter den Witzen dazwischen:

      »Und ich bin jetzt mit Nikolai Apollonowitsch gegangen.«

       Inhaltsverzeichnis

      Hier, im Arbeitszimmer des hohen Verwaltungsamtes, wuchs Apollon Apollonowitsch zu einem wahrhaften Zentrum heran: in eine Serie von Staatsämtern, Abteilungen und grünen Tischen. Hier war er, der Kraft aussendende Punkt, der Kreuzungspunkt der Kräfte, und der Impuls unzähliger, reich gegliederter Manipulationen. Hier war Apollon Apollonowitsch eine Kraft im Newtonschen Sinne; Kraft im Newtonschen Sinne aber ist, wie Sie sicher wissen, eine okkulte Kraft.

      Hier war er die letzte Instanz.

      Apollon Apollonowitsch war heute besonders genau: bei Entgegennahmen der Berichte winkte er kein einziges Mal mit dem nackten Schädel; Apollon Apollonowitsch fürchtete Schwäche zu zeigen: bei Erfüllung der amtlichen Pflichten! . . . Schwer fiel es ihm heute, sich zur logischen Klarheit zu erheben: weiß Gott wieso — doch Apollon Apollonowitsch kam zu dem Schlusse, daß sein eigener Sohn Nikolai — ein ausgemachter Schuft sei . . .

      Im Begriff, vor die Schar wartender Bittsteller zu treten, lächelte Apollon Apollonowitsch; dieses Lächeln aber kaum aus Schüchternheit: was mochte nur seiner hinter der Tür harren . . .

      Apollon Apollonowitsch verbrachte sein Dasein zwischen zwei Schreibtischen, zwischen dem seines eigenen Arbeitszimmers und dem des Verwaltungsamtes. Ein dritter beliebter Ort war für ihn sein Wagen.

      Und nun war er — schüchtern.

      Schon ging die Tür auf; der Sekretär, ein junger Mann mit einem etwas liberal über die Bruststärke hängenden Orden, flog der hohen Persönlichkeit entgegen, und dabei knisterte ehrfurchtsvoll der überstärkte Rand seiner schneeweißen Manschette. Auf seine schüchterne Frage brüllte ihn Apollon