Petersburg. Andrei Bely. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrei Bely
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116255
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man manches.«

      Der Unbekannte wurde nachdenklich, dann füllte er sein Gläschen, trank es aus, um es von neuem zu füllen.

      »Und warum sollte ich auch nicht nach meinem Eigenen, Persönlichen suchen: Ich privatisiere auch so zwischen vier gelben Wänden.«

      »Sie waren ja deportiert gewesen?«

      »Ja, nach Jakutsk.«

      Hier entstand ein verlegenes Schweigen. Der Unbekannte mit dem schwarzen Schnurrbärtchen sah aus dem Fenster auf die Fläche der Newa. Schwänze von Rauch hingen über dem dunkelfarbigen Gewässer. Der Unbekannte nippte aus dem Gläschen, dann sah er die gelbe Flüssigkeit an: seine Hände zitterten.

      Nikolai Apollonowitsch sagte beinahe mit . . . Haß:

      »Den Massen aber sagen Sie wohl nichts davon?«

      »Natürlich schweig’ ich noch so lange.«

      »Nun, und nach der Rückkehr aus Jakutsk?«

      »Die Flucht aus Jakutsk war mir gut gelungen; ich wurde in einem Sauerkrautfaß herübertransportiert, und jetzt bin ich das, was ich bin: ein Arbeiter im Dunkeln. Glauben Sie ja nicht, ich arbeite im Namen sozialer Utopien oder im Namen eurer Eisenbahn — Gedankengänge. Eure Kategorien erscheinen mir wie Schienen und euer Leben wie ein rollender Eisenbahnwagen; ich war früher auch ein vollendeter Nietzscheaner. Wir alle sind ja Nietzscheaner: auch Sie, Herr Ingenieur Ihrer Eisenbahnlinie, sind es, nur werden Sie es nie zugeben. Nun also: für uns, Nietzscheaner, ist die agitatorisch und revolutionär gestimmte Masse die Klaviatur, über die die Finger des Pianisten frei laufen, eine Schwierigkeit nach der anderen überwindend; und während irgendein Gaffer im Parkett sich an den göttlichen Beethoventönen labt, liegt für den Spieler und für Beethoven die Sache nicht in den Tönen, sondern im Septakkord. Sie wissen ja, was Septakkord ist? So sind wir alle!«

      »Also Sportsmänner der Revolution!«

      »Was ist dabei? Ist denn der Sportsmann nicht Artist? Ich bin Sportsmann aus reiner Liebe zur Sache, und deshalb bin ich Artist.«

      Wieder entstand verlegenes Schweigen. Nikolai Apollonowitsch zupfte geärgert am Knopf seines Ruhebetts.

      »Alles ist aufgebaut auf Kontrasten! Und meine Tätigkeit für die Gesellschaft brachte mich in die traurigen Regionen des Eises. Hier gedachte man wohl meiner, man vergaß aber, daß ich dort allein war, in einer Leere; und während ich in dieser Leere versank, verlor ich alle Parteivorurteile, alle Kategorien, wie Sie sagen würden: seit Jakutsk habe ich nur eine einzige Kategorie. Und wissen Sie, welche?«

      »Welche denn?«

      »Die Kategorie des Eises . . .«

      »Wie meinen Sie dies?«

      Wohl vom Nachdenken oder vom Alkohol nahm hierbei das Gesicht Alexander Iwanowitschs einen seltsamen Ausdruck an. Seine Farbe, ja selbst sein Umfang veränderte sich kraß (es gibt Gesichter, die sich jäh verändern): er schien jetzt ganz berauscht.

      »Die Kategorie des Eises — das Eis der jakutischen Gegend; ich trage es immer im Herzen; das ist es, was mich von den anderen scheidet; ja, ja, ja; das Eis scheidet mich: erstens als Menschen, der unter fremdem Namen lebt, und dann hat mir dieses Eis jene besondere Eigenschaft verliehen, durch die ich mich, auch wenn ich unter Menschen bin, in die Un—ermeßlichkeiten versetzt fühle . . .«

      Nikolai Apollonowitsch empfand eine seltsame Kälte: sein an die Partei gegebenes Versprechen war ja noch nicht zurückgenommen; von den Worten des Unbekannten wehten so durchdringlich eisige Ebenen; wie sein Vater liebte Nikolai Apollonowitsch nicht die Weite.

      Inzwischen stand Alexander Iwanowitsch beim Fenster und lächelte:

      »Ein Programm für die Revolution hat unsereiner nicht nötig: das ist etwas für Theoretiker, Publizisten, Philosophen . . .«

      Plötzlich brach er ab und schwieg: aus dem schlackigen Nebel rollte ein Wagen heran, die Wagentür flog auf, und Apollon Apollonowitsch sprang rasch hervor und warf einen flüchtigen, ängstlichen Blick auf die Spiegelscheiben der Fenster. Auch Alexander Iwanowitsch empfand eine jähe Angst und führte die Hand vor die Augen.

      »Er . . .«

      »Was ist los?«

      »Nichts Besonderes: Ihr Vater ist mit dem Wagen gekommen.«

       Inhaltsverzeichnis

      Apollon Apollonowitsch liebte seine geräumige Wohnung nicht; ihre Möbel glänzten zu aufdringlich, so in alle Ewigkeit . . .

      Lauttönend, grell hallten die Schritte des Senators durch den Saal. Von der mit weißen Girlandenmustern verzierten Decke, aus dem Kreis der Stuckfrüchte, hing ein Lüster aus Bergkristall. Er wiegte sich, durchschimmernd, behangen von durchsichtigen Mullgeweben, und bebte in kristallenen Tränen.

      Die Quadrate des Parketts glänzten wie ein Spiegel. Die Wände: Schnee — und nicht Wände. Hochbeinige Stühle standen dort und goldene Rinnen liefen die weißen Beine entlang; zwischen den Stühlen mit cremefarbenen Plüschsitzen glänzte das Weiß der hohen Alabastertischchen, auf deren jedem sich ein Archimedes aus demselben Material erhob. Aber es war nicht nur Archimedes, es waren auch andere Griechen. Kalt blinkte von den Wänden das eingelegte ernst-eisige Spiegelglas; doch eine sorgliche Hand hängte auch dahin rundrahmige Bilder von blaßblauen Tönen, die an die Fresken von Pompeji erinnerten.

      Apollon Apollonowitsch warf im Vorübergehen einen flüchtigen Blick auf die Fresken und gedachte derjenigen Hand, die sie dahin gehängt; diese sorgliche Hand war die der Anna Petrowna: Apollon Apollonowitsch verzog verächtlich den Mund und schritt in der Richtung seines Arbeitszimmers weiter. Zwei Jahre waren es her, seit Anna Petrowna ihn, eines italienischen Sängers wegen, verlassen hatte. —

       Inhaltsverzeichnis

      Mit dem Erscheinen des Senators im Hause wurde der Unbekannte von Nervosität ergriffen; seine bis dahin glatt fließende Sprache wurde holprig: wahrscheinlich die Wirkung des Alkohols; überhaupt schien sein Gesundheitszustand bedenklich; die Gespräche, die er mit sich selbst und mit anderen führte, lösten in ihm ein sündhaftes Gefühl aus und wirkten quälend auf sein Rückenmark; er empfand einen sonderbaren, düsteren Ekel vor seinen interessierenden Gesprächen; dieser Ekel übertrug sich dann auf ihn selbst; diese äußerlich harmlosen Unterhaltungen schwächten ihn sehr; doch am unangenehmsten war der Umstand, daß, je mehr er sprach, um so unwiderstehlicher sich in ihm das Bedürfnis regte, noch weiterzusprechen; er konnte nicht mehr Einhalt tun und erschöpfte sich mehr und immer mehr; manchmal ging dies so weit, daß er dann vom Verfolgungswahn befallen ward; in Träumen setzten sich diese Anfälle fort: er hatte furchtbare Träume; der Albdruck kehrte oft dreimal in einer Nacht wieder.

      All das fiel Alexander Iwanowitsch ein, und er schüttelte die Achseln: als hätte die Rückkehr des Senators seine Seele wieder in Aufruhr gebracht; ein fremder Gedanke beunruhigte ihn. Zuweilen näherte er sich der Tür und horchte auf kaum vernehmbare, ferne Schritte: die Schritte des Senators, der sich in seinem Zimmer bewegte.

      »Nun hören Sie meinem Geschwätz weiter zu, Nikolai Apollonowitsch: in all den Worten über die Selbstbehauptung meiner Persönlichkeit liegt ja wiederum Krankhaftigkeit. Ich spreche mit Ihnen, debattiere — aber nicht mit Ihnen debattiere ich, sondern mit mir, nur mit mir selbst. Der Partner bedeutet für mich gar nichts: ich spreche ebenso mit Wänden, mit Laternenpfahlen, mit vollendeten Idioten. Ich höre nicht auf fremde Gedanken, das heißt ich höre nur davon das, was mich selbst, was das meine betrifft. Ich kämpfe, Nikolai Apollonowitsch: die Einsamkeit ist der Angreifer; ich sitze stunden-, tage-, wochenlang in meiner Mansarde und rauche. Dann beginnt