Problemzone Ostmann?. Ellen Händler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Händler
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783838275406
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mal gelernt habe und was ich eigentlich nie wieder machen wollte. So führe ich seitdem einen Wildzuchtbetrieb hier ganz in der Nähe, der mich sehr befriedigt.

      Wir haben vier Kinder, zwei aus erster Ehe. Nachdem die beiden Töchter nach Westberlin verschwunden waren und die Grenze 1989 geöffnet wurde, gab es für mich eigentlich nichts Wichtigeres, als diese Kinder wiederzusehen. Alles andere hat mich wenig interessiert. Nach kurzem Streit unter Androhung von Rechtsmitteln klappte das. Eine Tochter war inzwischen dreizehn Jahre alt. Als sie sieben war, hatte ich meine Frau verlassen, als sie dreizehn war, haben wir uns wiedergefunden. Die andere war inzwischen sieben Jahre alt. Wir konnten das nachholen, was wir in den sechs Jahren versäumt hatten. Heute ist es ein wunderbares Verhältnis, auch mit und zu meinen beiden Söhnen aus der zweiten Ehe. Drei haben ihren Weg gemacht. Einer der Söhne ist mit 34 Jahren in die Firma meiner Frau eingestiegen und wird sie in fünf bis sechs Jahren selbst weiterführen. Mein zweiter Sohn sucht noch seinen eigenen Weg.

      Ich erwähnte bereits, dass ich ein ziemlich sozialer Mensch mit einem starken Faible für Gerechtigkeit bin. Das betrifft nicht nur das Zwischenmenschliche. Meine Frau, ich und unsere Kinder haben an einigen Orten in der Welt Freundschaften entwickelt, die auch damit zu tun haben, dass wir helfen. Wenn wir zum Beispiel in den Urlaub fahren – wir reisen seit vielen Jahren nach Kenia oder Südafrika –, bauen wir jedes Mal in dem Dorf unserer Freunde ein Haus. Das ist nicht teuer. Es kostet 1.000 Euro. Ich bin nicht bereit, 1.000 Euro an irgendwelche obskuren christlichen Organisationen zu spenden, weil ich nicht möchte, dass sich das christliche Missionieren verfestigt oder dass sie sich davon ihr Auto finanzieren. Wir spenden direkt. Da weiß ich, dass die Spende glücklich macht.

      Ich habe eine sehr selbstständige Frau. Wir leben zusammen in einer tiefen Einigkeit und Verbundenheit. Wir haben aber nie die Absicht gehabt, uns gegenseitig zu kontrollieren. Wenn ich morgen sagen würde, dass ich für drei Wochen in die Antarktis fahre, ist das keine Frage der Diskussion, sondern dann habe ich mich bestenfalls mit ihr abzustimmen, dass wir nicht zur gleichen Zeit fahren, damit einer den Hund versorgt. Man muss in einer Beziehung in politischen Dingen übereinstimmen. Man kann zu vielem unterschiedliche Meinungen haben. Wenn man sie kultiviert vorträgt, ist das okay: Aber im unmittelbaren Familienbereich gebe ich mir alle Mühe, die Ideen und Gedanken, die mich prägen, weiterzugeben. Mit meiner Frau bin ich mir darüber einig. Sie führt eine große Firma und hat zum Beispiel – und das sagt schon vieles ,– als in Brandenburg am 8. Mai 2020 noch kein Feiertag war, ihren 36 Angestellten einen bezahlten Feiertag gewährt. Sie hängt zwar nicht die rote Fahne raus, aber in den großen politischen Zusammenhängen denken wir gleich. Ich bin der Überzeugung, dass es ein besseres Gesellschaftsmodell geben muss als den ausufernden Kapitalismus, weil die Lebensgrundlagen durch Maßlosigkeit und ständiges Wachstum von Menschen selbst zerstört werden. Ein auf sozialen Ausgleich orientiertes weltweites System muss sich etablieren.

      Ost: Abitur mit Beruf Maurer, Oberbauleiter West: Baudezernent, Oberbürgermeister

      »Meine Kugel ist tausendmal schneller

      als ihr rennen könnt.«

      Eines meiner frühesten Kindheitserlebnisse ist der 17. Juni 1953. Mein Großvater wurde in unserem Haus verhaftet. Ich war damals drei Jahre alt und habe das hautnah miterlebt. Mein Großvater und auch mein Vater waren selbstständige Unternehmer. Sie besaßen einen kleinen Betrieb mit 20 Angestellten. In den 1950er Jahren wurden bestimmte Unternehmer in der DDR kriminalisiert. Zum Glück erfolgte in unserem Fall ein Freispruch und keine entschädigungslose Enteignung. Der Betrieb existierte bis 1972. Es war ein Treibstoffhandel mit Heizöl und Benzin. Dazu gehörten zwei Tankstellen und der Vertrieb. 1972 führte kein Weg daran vorbei, der Betrieb musste an Volkseigentum* verkauft werden, weil zwei Landkreise an der Versorgung mit Benzin und Heizöl hingen. Bereits vorher hatte der Staat immer mehr versucht, Einfluss durch überhöhte Steuern, durch die Beschränkungen des Materialflusses, durch Probleme beim Erwerb von Autos zu nehmen. Dieser Betrieb hat natürlich meine und meines Bruders Kindheit und Jugend geprägt. Immer stand im Vordergrund, wie und ob man ihn aufrechterhalten kann. Und da war es selbstverständlich, dass zu Weihnachten, als Kesselwagen vor der Tür standen, sie entleert werden mussten, mein Bruder und ich die Tankwagen befüllen und ausfuhren. Der Betrieb wurde also 1972 verstaatlicht. Mein Vater übernahm die Betriebsleitung und blieb dies bis in sein Rentenalter. Im Jahr 1990 konnte er den Betrieb zurückkaufen und wurde mit 70 Jahren ›Jungunternehmer‹. Unser Betrieb wird noch heute durch meinen Bruder geführt. Diese Entwicklung zeigt exemplarisch die Widersprüche in der DDR.

      Da nie klar war, ob der Betrieb privat bleibt, hatte mein Vater frühzeitig darauf gedrängt, dass wir drei Kinder ordentliche Berufe erlernen und studieren, um unabhängig von der Firma zu sein. Da ist es nur verständlich, dass ich kritisch zur DDR aufwuchs. Das führte zu Konflikten in der Erweiterten Oberschule. Um einen Schulverweis bin ich gerade so herumgekommen. In der 12. Klasse bin ich politisch angeeckt und bekam folgenden Satz vom Lehrer zu hören: »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Du hast noch nichts geleistet, der Steinbruch wäre für dich eine gute Arbeitsstelle.« Meine guten schulischen Leistungen haben mir aber ermöglicht, einen Studienplatz an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar zu bekommen. In dieser Zeit erlernte man neben dem Abitur einen Beruf. Als Maurer wurde ich damit Angehöriger der Arbeiterklasse. Das war wieder so ein Widerspruch in der DDR, wer gehört zur Intelligenz, wer zur Arbeiterklasse? Ich dachte immer, ein Arztsohn wäre Intelligenz, der Nachfahre des Arbeiters sollte als Angehöriger der Arbeiterklasse vorrangig studieren können. Was waren wir nun?

      Nach dem Studium arbeitete ich als Bauleiter und als Oberbauleiter. Vielen Arbeitern fehlte der Stolz und das Engagement für die Arbeit. Das sagten sie auch. Das machte mich traurig. In der Bundesrepublik hörte man später: »Ich arbeite beim Bosch«, oder: »Ich fertige tolle optische Geräte«. Dieses Bewusstsein fehlte in der DDR. Die Kollegen durfte man nicht so sehr zur Arbeit anhalten, musste ihnen ihre Freiräume lassen. Diese Arbeitseinstellung wurde von oben geduldet. Andererseits war alles bei der Planerfüllung sehr bürokratisch. Im ersten Quartal musste genau ein Viertel produziert oder gebaut werden. Dass das widersinnig ist, weiß jeder. Da wurden im Herbst Bauleistungen angespart und im Frühjahr abgerechnet. Diese Widersprüche, diese Kluft von Anspruch der Politik, der Regierung und auch der Presse zur Wirklichkeit machten meine Frau und mich immer unzufriedener. Die täglichen Widersprüche wurden einfach totgeschwiegen. Es durfte darüber nicht gesprochen werden.

      So entschieden wir noch im August 1989, einen Ausreiseantrag zu stellen. Denn mein Eindruck war: In der DDR läuft es wie in der Sowjetunion, jeder wusste über das Spionieren Bescheid, und die Wirklichkeit war anders als das, was propagiert wurde. Weil es vielen so ging, gab es letztlich die friedliche Revolution. Den Ausreiseantrag haben wir zurückgezogen. Wir wurden aber noch vom Rat des Kreises* vorgeladen und man teilte uns mit, dass wir jetzt ausreisen könnten. Das wollten wir nun nicht mehr und erklärten, dass wir hierblieben. Wir hatten den Eindruck, dass sich nun etwas veränderte, an dem wir mitwirken wollten. Die DDR war ja unsere Heimat, wir waren jung, wir haben auch viel Schönes erlebt.

      Meine erste Frau habe ich während des Studiums kennengelernt. Wir haben 1974 geheiratet, nutzten die sozialpolitischen Maßnahmen wie den Ehekredit und hofften dadurch auf eine Wohnung. Meine erste Ehe hat leider nicht gehalten. Insgesamt habe ich drei Kinder gezeugt. Mit meiner ersten Frau zwei und mit meiner zweiten Frau eines. Seit 1985 bin ich das zweite Mal verheiratet. Meine Frau hat zwei Kinder mit in die Ehe gebracht. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir alle guten Kontakt untereinander haben. Das betrifft sowohl meinen Kontakt zu den Kindern als auch aller Kinder untereinander. Als Vater und Opa lade ich alle Kinder möglichst zweimal im Jahr zu einem Treffen ein. Tradition ist unsere gemeinsame Wintersportwoche in Südtirol. Leider passt es manchmal nicht, dass alle Kinder und Enkel mitfahren können. Und im Herbst lade ich immer zu einer Kindertour ein. Wir sind gemeinsam auf dem Rennsteig gewandert, mit der alten Bahn durch den Thüringer Wald nach Neuhaus gefahren oder auf dem Mauerradweg um Berlin geradelt. Alle Kinder sind inzwischen verheiratet und leben verstreut in Ostdeutschland. Nur einer wohnt in Hannover. Ich habe fünf Enkelkinder. Mein ältestes Enkelkind hätte eigentlich jetzt Jugendweihe* gehabt, die fiel aber wegen Corona