Zum absoluten Höhepunkt entwickelten sich unsere Ostermärsche. Beim letzten bestand für mich die Herausforderung, mit meiner Diskotechnik 15.000 Menschen zu beschallen. Wir hatten Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet, internationale Presse, bis zur japanischen. Mich beeindruckte am meisten, dass wir so viele Engagierte mit unterschiedlichsten Motiven zusammenbrachten. Dabei waren Anwohner, die 40 Jahre lang russische Tiefflieger und Bombenabwürfe ertragen mussten, Leute, die 1947 unter vorgehaltener Kalaschnikow gezwungen wurden, ihr Land zu verkaufen, Bildungsbürger, Autonome, Pazifisten, Vertreter von Parteien und Kirchen – alle gewaltfrei und fantasievoll, für mich eine unbeschreibliche menschliche Bereicherung, die ich da erleben durfte.
Zurück zur Schule. Als in der Wendezeit in N. die ersten verordneten Dialogveranstaltungen stattfanden, auf denen Verantwortungsträger mit dem Volk reden sollten, klagte ein Vertreter des Schulamtes, dass es wegen der in den Westen gegangenen Lehrer kaum noch möglich wäre, den Unterricht abzusichern. Als ich an meine Bewerbung vom Sommer erinnerte und fragte, wann ich anfangen könne, meinte er: »Am besten vorgestern.« So habe ich am 1. Dezember 1989 wieder im Schuldienst begonnen. Das war die Zeit dramatischer Entwicklungen bei Jugendlichen, aber auch bei Eltern. Man musste genau beobachten, was da eigentlich passierte. Ich habe als ziemlich unbelasteter Lehrer Geschichte und Gesellschaftskunde, heute Politische Bildung, unterrichtet. Wegen Spannungen mit meinem Schulleiter wechselte ich von der Gesamtschule in eine Förderschule. Berufsbegleitend studierte ich Sonderpädagogik an der Potsdamer Uni, was mich noch einmal in eine völlig andere pädagogische Richtung brachte. Ich bin 17 Jahre an der Schule geblieben, überwarf mich dann doch mit der Schulleitung und dem Kollegium, weil ich wirklich von der Inklusion überzeugt bin. So ging ich an eine Regelschule zurück, brachte mich als Sonderpädagoge ein, um vor allem Kinder mit Schwierigkeiten zu fördern. Meine Aufgabe ist es, den Förderbedarf der Kinder zu diagnostizieren und zu versuchen, ihnen so zu helfen, dass sie in ihrer Regelschule bleiben können, auch wenn sie, mit dem altmodischen Begriff bezeichnet, ›lernbehindert‹ sind. Das ist eine Herausforderung. Aber nach meinen Erfahrungen wird durch das Ausgliedern in andere Schulformen ihr möglicher Lebensweg verbaut. Die Schüler verlieren ihren Bezug zu anderen, zur Realität, schmoren im eigenen Saft mit irgendwelchen scheinbar Gleichgesinnten. Besser ist gemeinsames Lernen. Und das sollte bereits im Kindergarten beginnen. Ich bin überzeugt, dass es gelingt, wenn an den Regelschulen mehr sonderpädagogische Kompetenz aufgebaut wird. Ich habe damit eine Reihe von Erfolgen erreicht. Einer der als lernbehindert Diagnostizierten hat sogar nicht nur einen Hauptschulabschluss, sondern einen Realschulabschluss geschafft.
Ich selbst bin Vater von mittlerweile zwei erwachsenen Kindern und bereits vierfacher Großvater. Das älteste Enkelkind ist elf Jahre alt, ein tolles Gefühl. Mit Stolz schaue ich auf die Entwicklung der beiden Töchter. Eine ist selbst Lehrerin geworden. Die andere hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie ist Konditorin und Konditormeisterin geworden und war danach ein Jahr in Australien. Beide haben gute, kreative Jobs und sind glücklich, beide sind gute Mütter, einfach toll. Eine Tochter hat sich von ihrem Mann getrennt und lebt nun in einer Partnerschaft mit dem neuen Mann sehr harmonisch, auch mit den Kindern. Neudeutsch sagt man Patchwork dazu, denn er hat eine eigene Tochter. Meine zweite Tochter ist mit ihrem Mann, den sie als Konditorin im Bundestag kennengelernt hatte, verheiratet und hat vor kurzem ihr zweites Kind bekommen.
Das Familienleben war in den vielen Jahren eine echte Herausforderung für uns alle. Wenn man wie ich als Ehrenamtlicher auf so vielen verschiedenen Hochzeiten tanzt, als Abgeordneter, bei der Freien Heide oder im Freizeitzentrum im Jugendclub, gelangt die Familie zuweilen ins Hintertreffen. Hinzukam, dass ich nach wie vor seit meiner eigenen Schulzeit bei allen möglichen Veranstaltungen, Familienfeiern und Dorffesten Musik auflegte und moderierte. Und das fast jedes Wochenende, bis heute. Inhaltlich, politisch, von unseren Zielen her haben meine Frau und ich uns allerdings immer wieder an der Sache orientiert und sind im Gleichklang gewesen, haben die anstehenden Aufgaben gemeinsam bewältigt. Ich weiß allerdings auch, dass ich das alles nur leisten konnte, weil mir letztlich die Familie den Rücken freigehalten hat. Wir haben unser Familienleben gemeinsam organisiert. Einige Lasten nahmen uns meine Mutter, die bei uns im Haus lebte, und meine Schwiegereltern ab. Trotzdem, denke ich, haben wir das gemeinsam ganz gut hinbekommen. Im Nachhinein muss man sagen, dass das mit einer großen Belastung für meine Frau verbunden war. Sie war als Buchhalterin berufstätig. Zeitweilig hat sie ihre Arbeitsstunden auf sechs Stunden reduziert, um alles zu schaffen.
Im Moment ist unsere Situation etwas schwierig. Wir haben uns vor vier Jahren getrennt, weil wir uns ziemlich auseinandergelebt hatten. Die Spannungen waren für mich zuweilen unerträglich. Ich bin zu Hause ausgezogen und lebte mit einer anderen Frau zusammen. Jetzt wohne ich in einer größeren Wohngemeinschaft auf einem ehemaligen Bauernhof. Das Verhältnis zu den Kindern ist durch die Trennung natürlich belastet. Aber nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir einen Modus gefunden, damit ganz gut umzugehen.
Unterschiede gibt es meiner Meinung nach nicht so sehr zwischen Ost- und Westmännern, eher zwischen Typen von Menschen und ihren Charakteren. In der DDR hatte es erst einmal mit der Sozialisation, mit der Erziehung zur Doppelzüngigkeit zu tun. In der Schule durfte nicht alles erzählt werden, was zu Hause passierte oder gesprochen wurde, dass man Westfernsehen schaute. Und dies hat etwas mit der Entmündigung in der DDR zu tun. Lebensentscheidungen wurden den Menschen abgenommen. Man fühlte sich wohl oder hatte ein gutes Leben, solange man nicht selbst aktiv werden wollte.