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„Nein, die Zeit arbeitet für Morygor. Denn wenn der Schattenbringer erst mal dafür sorgt, dass kein Sonnenstrahl mehr die Welt erwärmt, werden alle, die sich dem Herrn der Frostfeste vielleicht noch entgegenstellen könnten, elendig erfrieren.“

      Beliak ging auf diese unheilvollen Zukunftsvisionen nicht ein. „Eine Weile werden wir jedenfalls hier bleiben“, entschied er. „Die Frostkrieger werden ihre Kraft aufbrauchen, dann ziehen sie unverrichteter Dinge ab. Genau so wird es kommen.“

      Gorian lächelte matt. „Ich kann deinen Optimismus nicht teilen“, bekannte er.

      „Das ist schade“, meinte Beliak, den Blick hinauf zur Sonne mit ihrem dunklen Fleck gerichtet. „Wer gegen jemanden kämpft, der den Lauf der Gestirne beeinflussen kann, braucht nämlich Optimismus.“

      ––––––––

      Die nächsten Stunden brachte Beliak damit zu, Vorräte zu sammeln und sie in den Tempel zu tragen. In erster Linie handelte es sich dabei um Beeren und ein paar kopfgroße Fladen an ungebackenem, frisch aus der Rinde gequollenem Baumbrot. Aber er schleppte auch Feuerholz herbei und Wasser, das er in Kürbissen transportierte, die in der Nähe wuchsen und die er mit seiner Axt halbiert und ausgehöhlt hatte.

      Er machte auf Gorian den Eindruck, als würde er sich mit dem Überleben in der Wildnis bestens auskennen. Und während er die Vorräte, das Wasser und das Feuerholz herbeischaffte, pfiff er vergnügt immerzu dieselben dissonanten Tonfolgen vor sich hin. Bei der Melodie handelte es sich um eines der berüchtigten Lieder der Adhe, wie er Gorian erklärte. Gorian kannte diese Lieder natürlich. Seit die ersten Adhe auf Nhorichs Hof eine Anstellung gefunden hatten, waren dort ihre schrägen Weisen zu hören gewesen, und Gorian hatte sich immer gefragt, wie es sein konnte, dass sich Wesen mit so großen und offenkundig auch guten Ohren wie die Adhe durch das völlige Fehlen jeglichen Sinns für Harmonie und Rhythmus auszeichneten.

      Gorian nutzte die Zeit, sich etwas in der Umgebung umzusehen. Tatsächlich wirkten viele Bäume, die in unmittelbarer Nähe der Lichtung wuchsen, sehr eigenartig. Sie sahen stark verwachsen aus, und so manches dieser Gewächse gehörte keiner Baumart an, die Gorian bekannt war. Offenbar gediehen einige Arten im Bereich des unsichtbaren Tempels, die von dessen magischer Aura auf irgendeine Weise in ihrem Wachstum begünstigt wurden.

      Schließlich konnte er der Versuchung nicht länger widerstehen, auch jene Stelle aufzusuchen, wo sein Vater offenbar die Überreste des Gargoyle vergraben hatte. Fast war es, als würden seine Schritte wie automatisch zu jenem Baum gelenkt, den man durch die Öffnung in der Tempelwand sehen konnte. Er ging in die Knie, blickte zurück zum Tempel und sah das Bauwerk aus nahezu der gleichen Perspektive wie in seinem Traum.

      „Du wirst die Macht des Mondes brauchen, um mich zu befreien!“, meldete sich Ar-Dons Stimme wieder in seinen Gedanken. „Ansonsten wäre es sehr schwer und würde vielleicht deine Kräfte übersteigen.“ Als Gorian darauf nichts erwiderte und auch nichts unternahm, sondern einfach nur unschlüssig dastand, wurde der Gargoyle drängender, fast wütend: „Du brauchst meine Hilfe ebenso wie ich die deine! Du Narr, sieh endlich ein, dass es kein Gefallen ist, den ich von dir fordere, sondern dass ich dir ein Geschäft vorschlage, bei dem wir beide einen guten Schnitt machen!“

      „Schweig!“, murmelte Gorian, denn er wusste inzwischen, dass es keinen Sinn hatte, diese Gedankenstimme einfach nur zu ignorieren. Das schien sie letztlich nur noch anzustacheln. Und die Beharrlichkeit dieses Wesens war kaum zu übertreffen.

      Aber war das verwunderlich? Schließlich befand sich in jener Kreatur, zu der Ar-Don geworden war, auch der Geist Meister Domrichs, und der hatte in Morygors Kerker ein geradezu übermenschliches Durchhaltevermögen bewiesen. Zumindest diese Eigenschaft des Schwertmeisters war wohl auf den Gargoyle übergegangen, woran offensichtlich auch der Umstand nichts geändert hatte, dass Morygor Ar-Don anschließend auf das ihm gefällige Maß zurechtgestutzt hatte.

      „Nur gemeinsam können wir überleben, Gorian!“, fuhr die Gedankenstimme einfach fort. „Du denkst wohl, du wärst der Einzige, der sich von Morygors Grausamkeit fürchten muss. Mag sein, dass er in erster Linie hinter dir her ist, aber glaubst du, mir gegenüber würde er mehr Gnade walten lassen als dir, fiele ich ihm in die Hände? Der Herr der Frostfeste bestraft alle, die seine Befehle nicht zu seiner vollsten Zufriedenheit ausführen. Ich habe gefehlt, und die Rache des Frostherrn wäre mir gewiss.“

      „Selbst für Morygor dürfte es sehr schwierig sein, dich endgültig zu töten“, äußerte Gorian laut.

      „Morygor tut seinen Dienern, die in seinen Augen versagt haben, und Verrätern an seiner Sache weitaus Schlimmeres an – wobei beide Vergehen für ihn dasselbe ist.“

      Gorian fühlte plötzlich einen ungeheuer starken Drang in sich, dem er sich nicht zu widersetzen vermochte. Ein Drang, der sich zusammensetzte aus eigener Neugier und etwas, das nicht aus ihm selbst kam. Er trat vor, ganz nahe an den knorrigen Baum heran, bog ein paar Sträucher zur Seite, die zwischen seinen Wurzeln wuchsen, und entdeckte einen Stein, der wie ein verkleinertes Ebenbild des Quaders im Tempel wirkte. Selbst das Zeichen, das auf dem Altar beim Einfall des Mondlichts zu sehen war, fehlte nicht: Das Siebenerkreuz war in den Stein graviert!

      Jetzt liegt es also in meiner Hand, dachte Gorian.

      „Endlich begreifst du es, du Narr! Aber es kommt auch auf den richtigen Moment an. Ohne das Mondlicht geht es nicht, also warte!“

      „Nein“, dachte Gorian, und dies sehr intensiv und auf eine Weise, von der er annahm, dass der Gargoyle es auf jeden Fall erfasste. „Du behauptest, mein Diener sein zu wollen, aber in Wahrheit schwebt dir doch genau das Gegenteil vor. Ich werde mich nicht von dir beeinflussen lassen!“

      „Wir werden sehen“, wisperte die Gedankenstimme. „Wir werden sehen...“

      In diesem Augenblick vernahm Gorian den durchdringenden Schrei eines Adh...

      ––––––––

      Gorian fand Beliak am entgegengesetzten Ende der Lichtung, wo dicht beim Waldrand hohes Gras wuchs.

      „Was ist los?“

      Beliak starrte auf einen etwa zwei Schritte durchmessenden Bereich, der völlig frei von Gras war, obwohl der Untergrund dort aus dunkler, ja, pechschwarzer Erde zu bestehen schien, aus der es eigentlich nur so sprießen musste. Allerdings fiel Gorian der scharfe, unangenehm stechende Geruch auf, der von dieser angeblichen Erde ausging.

      „Das ist kein Mutterboden“, erklärte Beliak, „sondern die Hinterlassenschaft eines Langzahnlöwen. Und ich wäre beinahe hineingetreten!“ Der Adh schüttelte sich. „Die Biester sind selten geworden, aber ausgerechnet diesen Ort scheint sich einer von ihnen zum Revier erkoren zu haben.“ Beliak seufzte. „Ist natürlich ein zusätzlicher Schutz, wenn man irgendwas verbergen will ...“

      „Ist das frisch?“, fragte Gorian.

      „Was weiß ich. Mir selbst ist nie eines dieser Monster begegnet, den Göttern der Adhe sei Dank. Wusstest du, dass im Zeitalter der Alten Götter einige Menschenvölker diese Bestien abgerichtet haben, Adhe zu jagen?“

      „Nein, wusste ich nicht“, gestand Gorian.

      „Sie können nämlich ins Untererdreich eindringen und dort sehr viel länger existieren als die meisten anderen Wesen, von uns Adhen mal