Ich versuchte mir anschließend einzureden, daß mein im rechten Mundwinkel wuchernder Herpes simplex nur auf diese Bande zurückzuführen sei – und nicht auf den etwa 35jährigen Mann, der später zustieg und sich wie ein Lachsack benahm. Eine Viertelstunde hält man das ja aus, dann ist aber ein Abteilwechsel dringendst zu empfehlen, dahin vielleicht, wo man auf unförmig ausgebildete Großfamilien mit vielen sogenannten Kindern trifft, die die absonderlichen Farben ihrer Kleidung gewiß nicht einmal zu benennen wüßten.
Angekommen, fehlte niemand außer ein uns versprochener Redakteur, so daß wir uns mit gutartigen Witzchen auf seine Kosten behelfen mußten. Vor dem Chinesenlokal verwendeten einige Angestellte (die Köche?) in der blauen Stunde auffällig viel Zeit darauf, mit den dort flanierenden Katzen zu kommunizieren. Mehr durfte aber nicht vorfallen, da ich nach erfolgreich überstandener Nacht meines Gastgebers Waschbecken aus der Verankerung löste und in einer sehr bedenkenswerten Körperhaltung vor dem Zerschellen zu retten wußte. Das reicht.
Während der Rückfahrt zerrte mich eine doch nicht mehr sehr junge Dame in ein Gespräch über die Klimakatastrophe, daß sie die Herkunft von Hühnereiern am Geschmack erkennen könne und daß der Krause schließlich einer aus dem Osten sei. Dies überstanden, schreckte mich nur noch gelegentlich das DB-Team mit der über Lautsprecher durchgegebenen Information aus dem Schlummer, daß ausgerechnet dieser Waggon auf dem und dem Bahnhof nicht am Bahnsteig zum Halten komme. Und solcher Tinnef.
Nein, als angenehm kann man das wahrlich nicht bezeichnen.
Kowalski 11/1992
PROBLEMFRONT
Michael Rudolf
In den spärlich bemessenen Stunden der Muße gedenken wir alle gern der schönen Kindheit, damals, als alles noch irgendwie in Ordnung war, nur heute eben haut aber auch gar nichts mehr hin. Helfer haben sich darauf spezialisiert, in der Kindheit sogenannter Patienten herumzuwühlen, um unerklärlichem Hautpilz, Progenie, Nudismus oder Stuhlverhalten auf die Schliche zu kommen.
Das haben wir natürlich nicht nötig, wenn es an die Bewältigung von Sachverhalten an unserer Problemfront geht, und seien sie auch noch so unwichtig.
Natürlich war auch meine Kindheit schön, wie bei jedem anderen Kind auch, aber es hatte ja alles just dann ein Ende, als wir die ersten Zigaretten in Brand setzten. Intensiveres Forschen vergegenwärtigte mir jedoch einige Sachverhalte, die uns stutzig machen müssen. Beispielsweise weiß mein Oheim zu berichten, daß ich, während er schlief, seine aus der Bettdecke herausragenden Füße ausschließlich mit der Nase untersucht habe. Auf Parkplätzen soll ich in Wartestellung an den Auspüffen abfahrender Automobile ausgeharrt haben, auch delektierte ich mich zu Silvester unter Ausrufen der Verzückung am Gestank pyrotechnischer Erzeugnisse, niemals aber an deren Krach, streunte ich gern um die Tankstellen unserer Stadt, um ungehemmt Benzin inhalieren zu können. Und selbst heutzutage macht mir das Zubereiten von Speisen am heimischen Herd mehr aufgrund der Koch- und Bratendüfte Laune – und nicht in erster Linie wegen des Endergebnisses, welches dann noch gegessen werden muß.
Ich meine aber, daß sich damit sehr wohl gar nichts erklären läßt, obwohl meine immer mehr ausufernde Narkolepsie schreiend Erklärung heischt und ich meine Sozialisierbarkeit fürderhin stark anzweifle. Ach, weiß der Ullmann warum! Führe ich insgeheim gewonnene Erkenntnisse logisch weiter, so kann es nur unter der Decke sich sammelnder körpereigener Geruch sein, der mich zwischen die Bettfedern nagelt. Natürlich ist das sehr bedenklich. Der Schritt zur Analfixation ist so weit nicht mehr. Und was ist das nächste? Sexuelle Abirrungen? Burmesisches Latschenfieber? Bergmann-Pohl?
Ich bleibe dran.
Kowalski 1/1993
WOZU?
Michael Rudolf
Gestern wurde ich unverhoffterweise mit einer Sache bekannt, die gemeinhin das Leben genannt wird. Sicher war das gleich ein bißchen viel auf einmal, aber daß für die Tatsache, einfach dazusein, ein Extrawort appliziert wird … Da steckt doch mehr dahinter?!
Und richtig:
Damit das Leben sich seiner sublimen Handhabung nicht widersetzt, muß der daran Interessierte bestimmte zerkleinerte Brocken, Breie und dünnere Brühen zu sich nehmen, die auf wundersame, nicht aber in jedem Falle wünschenswerte Weise den Körper wieder verlassen.
Vorher müssen kleine runde Metallplättchen und rechteckige Papierfetzen gegen totgemachte Tiere und Pflanzen eingetauscht werden. Aus denen werden dann diese Brocken, Breie und Brühen gewerkelt. Der Tausch klappt im übrigen nicht mit jederlei Metallplättchen. Auch selbstgemachte Papierstückchen: Fehlanzeige.
Eine ganz bestimmte farblose Brühe nimmt der Lebende zum Einreiben. Waschen wird das genannt, und es soll erfrischen. Wie zu erfahren ist, empfiehlt sich dieser Vorgang täglich.
Um mich außerhalb der Wohnung bewegen zu können, soll ich mich in Tuche verschiedenster Art hüllen; die anderen machten das auch. Zudem, wird mir versichert, bräuchte ich dann nicht zu frieren. Doch soll es andere Gegenden geben, wo es riesig heiß sei und die Lebenden trotzdem angezogen herumliefen. Davon werde ich ganz unklug im Kopf.
Um andere, die auch leben, nicht zu molestieren, muß der Lebende bestimmte Körperöffnungen ständig geschlossen halten. Nur unter dieser Bedingung erklären sich diese bereit, eine Sache zu praktizieren, die Zusammenleben heißt. Oberstes Ziel dieses Zusammenlebens aber ist, so wird mir weiterhin verraten, möglichst vielem Nachwuchs auch das Leben zu ermöglichen. Am Körper sind dazu merkwürdige Apparaturen zum wechselseitigen Ein- und Abfüllen von bestimmten, für das wechselseitige Ein- und Abfüllen vorgesehenen Flüssigkeiten angebracht. Ergebnis ist ein kleiner Mensch, der nicht mal laufen oder sprechen kann, selbst das Stehen und sogar das Sitzen muß ihm mühsam beigebracht werden, daß man darüber desperat werden möchte.
Wenn es die Leute (das sind die anderen, die auch leben) juckt, schlagen sie nach Verabredung mit Knütteln aufeinander ein. Bei manchen dieser Stöcke kommt sogar Feuer vorn raus. Haben sie solche nicht zur Hand, so machen sie sich die Motion unter Ausrufen der Geringschätzung und Schadenfreude mit Armen und Beinen. Da kommt jedoch kein Feuer vorn raus. Ach über solch entsetzliche Spektakel.
Kluge Leute behaupten unbeirrt, für einen rechten Simpel sei das Leben ohne Gifte durchaus zu ertragen, nur weiß keiner, wozu es eigentlich gut sein soll.
Kowalski 5/1993
MICHI – NIMM DIES!
F. W. Bernstein
Wurzel Burston – Diesen Mann kenne ich nicht. Michael Rudolf: Shut Up And Play Your Guitar!
– 444 Rockgitarristen von Ritchie Blackmore bis Frank Zappa
Ein großer Kenner ist er, der Michi Rudolf, und ein noch größerer Benenner. Pilze, Biere und Rockgitarristen kennt und nennt er alle. (Bis auf s. o.!)
Michi – Du hast sie uns vorgestellt in voluminösen Bänden; und hast fürs Bier etwa eine eigene treffende und treffliche Sprache erschaffen, die mehr sagt und singt als die haltlose Lyrik der Weinkenner.
Mit Deinen eigenen Spezereien will ich Dich salben. Was Du übers Köstritzer Schwarzbier schreibst, gilt auch für Deine Texte: »[…] dürfen Sie getrost im Stehen trinken, da verneigt sich’s leichter vor formvollendeter Braukunst.«
»Malzig, rezent, optimal gehopft« klingt mir auch Deine Schreibkunst; und grad weil ich nix weiß über Bier, Pilze und Rockgitarristen, zieh’ ich im Stehen tief den Hut. Michi!
Michi kann seinen