Dawkins’ jüngstes Buch Der Gotteswahn (2007) dokumentiert nun vollends, dass sein Autor „eine Verwandlung durchgemacht“ hat von einem leidenschaftlich um Objektivität bemühten Wissenschaftler zu einem „antireligiösen Propagandisten, der die Fakten außer Acht lässt“: So schreibt sein Oxforder Kollege, der Molekularbiologe und Theologe, Alister McGrath (der selbst überzeugter Atheist war, ehe er Christ und Theologe wurde) in seinem Buch Der Atheismuswahn (2007; 32008, 62), das eine kompetente, ruhig und sachlich argumentierende Antwort auf Dawkins bietet.
Der Gotteswahn ist eine eifernde Generalattacke gegen alle Religion, speziell gegen Bibel und christlichen Glauben, die, wie McGrath nachweist, geschickt mit Tatsachenverdrehungen und z. T. aberwitzigen Falschdarstellungen arbeitet, was bei einem Zielpublikum, das wenig über Religion weiß, durchaus funktioniert. Dawkins geht es nur darum, Konvertiten für den Atheismus zu gewinnen. Für dieses Ziel ist er bereit, die Standards wissenschaftlicher Sorgfalt über Bord zu werfen.4 Statt Quellen oder kompetente Darstellungen zu befragen, setzt er alles daran, die Religion im schlechtest-möglichen Licht erscheinen zu lassen: nämlich als kindisch, dumm, gewalttätig, kriminell (als ob es, wenn Religion verschwinde, keine Gewalttätigkeit mehr gäbe, oder als ob es sie im Atheismus unter Stalin, Hitler, Pol Pot nie gegeben habe). Er versteigt sich gar dazu, in drastischen Worten die staatliche Autorität aufzurufen, religiöse Erziehung ebenso als Straftat zu behandeln wie körperliche Kindesmisshandlung (in einer Dawkins-Gesellschaft fänden sich viele religiöse Menschen im Gefängnis wieder); religionsfeindliche Erziehung hingegen soll offenbar kein Kindesmissbrauch sein. Dawkins vertritt einen totalitären Atheismus, der in der Welt nur das duldet, was er erlaubt hat. Wahre Naturwissenschaftler müssten grundsätzlich Atheisten sein; wenn sie hingegen religiöse Überzeugungen bekennen (oder solche – wie der Atheist Gould – für mit Naturwissenschaft gleichermaßen vereinbar erklären), könnten sie das nicht ernst meinen. Wenn andererseits der Papst oder irgendein Christ die Evolution anerkenne, sei er „ein Heuchler, der es mit der Wissenschaft nicht ehrlich meine“ (so Dawkins, zit. nach McGrath 40 und 62).
Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Kreationisten, die sich in ihrer Behauptung der Unvereinbarkeit von Evolutionstheorie und religiösem Glauben bestätigt sehen. In einem veröffentlichten Brief an Dawkins bedankt sich denn auch der amerikanische Kreationist William Demski: Dawkins sei eines der größten Geschenke Gottes an die Intelligent-Design-Bewegung. Viele Darwinisten distanzieren sich. McGrath bemerkt: „Einer der größten Schäden, die Dawkins den Naturwissenschaften zugefügt hat, besteht darin, sie als schonungslos und unerbittlich atheistisch hinzustellen. Das ist völlig falsch. Dennoch hat Dawkins’ Kreuzzug dazu geführt, dass ein großer Teil des konservativen Protestantismus Nordamerikas diese verfremdete Auffassung übernimmt“ und der Wissenschaft feindlich gesonnen ist (59). McGrath fügt hinzu: „Vielleicht ist es an der Zeit, dass die gesamte Fachwelt gegen den Missbrauch ihrer Ideen im Dienste eines atheistischen Fundamentalismus protestiert.“ (63)
2) In Deutschland betreibt der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, von dem eine weit verbreitete Einführung in die Evolutionsbiologie stammt (Kutschera 2001), in seinem Buch Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design (2004) seine persönliche Abrechnung mit dem Kreationismus. Aber zugleich macht er daraus eine vehemente Kampagne gegen den christlichen Glauben überhaupt, dessen Inhalte er (aus evangelikalen Kinderbibeln und kreationistischen Elaboraten entnimmt und) durchweg verzerrt darstellt. Für ihn „ist offensichtlich, dass der biblische Schöpfungsglaube nur eine Form des Kreationismus darstellt“ (Kutschera 2004, 115; vgl. 110 f; 116 f; 192 u. ö.). Mit Recht erwartet Kutschera, dass man sich über die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie bei seriösen Naturwissenschaftlern informiert; er selbst aber macht sich nicht die geringste Mühe, auch nur einen seriösen Bibelwissenschaftler oder einen anerkannten heutigen Theologen zu befragen, wie denn die biblischen Aussagen und der Schöpfungsglaube zu verstehen seien. Dabei hätte ihm ein Wort von Carl Friedrich von Weizsäcker, das er (256 f) zitiert, zu denken geben können: „Die Bibel kann man entweder Ernst nehmen oder wörtlich.“ Wiederum mit Recht besteht Kutschera gegen die Kreationisten darauf, dass die Wissensebene und die Glaubensebene zu unterscheiden sind und nicht vermischt werden dürfen (51; 165, 180, 200 f; 294); er selbst aber unterlässt es nicht, Naturwissenschaft und Glaube zu vermischen. So kritisiert er z. B. an der Bibel: „Beschreibungen molekularer Prozesse und Strukturen sind in den niedergeschriebenen ,Worten des christlichen Gottes‘ nicht zu finden“ (286); und er bemängelt, dass die Anerkennung der Evolution durch die katholische Kirche „keineswegs eine Übernahme der nüchtern-rationalen Denkweise des Naturwissenschaftlers mit sich gebracht hat“ (294), sie vielmehr immer noch „einen von Gott initiierten und begleiteten Evolutionsprozess postuliert“ (117).5 Hier wird der naturwissenschaftliche Erklärungsanspruch in völlig unberechtigter Weise zur alleinigen und Totaldeutung der Wirklichkeit ausgeweitet.6
Kutscheras Streit-Buch gipfelt in folgendem Schlussabschnitt (297): „Diese Betrachtungen zeigen, dass der konsequent verfolgte (fundamentalistische) christliche Glaube mit dem evolutionären (naturalistischen) Denken unvereinbar ist. Obwohl manche Evolutionsbiologen, wie z. B. der große Theoretiker T. Dobzhansky, liberale Christen waren, ist die Mehrheit der Naturforscher ungläubig: Nahezu 95 % der bedeutenden Biowissenschaftler der USA sind reine Verstandesmenschen (Atheisten), für die eine mystisch-magische supranaturalistische ,Glaubenswelt‘ entbehrlich ist.“
Nun, abgesehen von manchem, was hier zu korrigieren wäre: Wer „Wissenschaft“ und „Verstand“ derart kurzschlüssig gleichsetzt mit seiner eigenen Weltsicht „Atheismus“, begeht den gleichen methodischen Fehler, den er den Kreationisten und ID-Vertretern vorwirft. Neodarwinisten wie Dawkins und Kutschera behaupten mit einer überheblichen Sicherheit einen Atheismus, der sich aus empirisch-naturwissenschaftlicher Forschung ebenso wenig ergibt wie die spiegelbildlich umgekehrte Sicherheit der ID-Vertreter.
Ein wenig allerdings scheint Kutschera sich neuerdings zu bewegen, wenn er (2007b, 362) schreibt: „... wir Evolutionsforscher (können) lediglich die wissenschaftlichen Fakten präsentieren. Wo moderne Christen dann ihre ,Glaubenswelt‘ unterbringen, ist ... nicht unser Problem.“7
Gewiss, Naturwissenschaftler sind nicht auf eine Auseinandersetzung mit umfassenden (philosophischen und religiösen) Deutungsmodellen angewiesen, solange sie bei ihrer eigentümlichen Aufgabe bleiben: der empirischen Forschung. Wenn sie sich aber in kulturelle Debatten hineinbegeben, bei denen es – über die naturwissenschaftliche Arbeits- und Erkenntnisebene hinaus – um ein umfassendes Verstehen der Welt, des Lebens, des Menschen geht, dann muss man von ihnen schon erwarten, dass sie sich mit den vorhandenen großen und respektablen Wirklichkeitsdeutungen ernsthaft auseinandersetzen. Hier aber demonstrieren manche von ihnen eine bodenlose Desinformiertheit und eine durch nichts begründete Arroganz.
Kurz muss hier auch die Giordano-Bruno-Stiftung zur „Förderung des evolutionären Humanismus“ erwähnt werden, in deren Beirat namhafte Atheisten wie Hans Albert, Norbert Hoerster, Bernulf Kanitscheider, Wolf Singer, Eckart Volandt, Ulrich Kutschera oder Franz Wuketits sitzen. Vorstandssprecher