Ein derartiges – längst überwunden geglaubtes – buchstäblich-wörtliches Verständnis der biblischen Schöpfungstexte, das (wie in II. 2 gezeigt wird) an ihrem ursprünglichen Sinn vorbeigeht, scheint heute wieder manche Menschen zu faszinieren. Verunsichert durch die gesellschaftlichen Umbrüche und die rasante Veränderung der Lebensverhältnisse, suchen sie nach Sicherheit und Halt an etwas, das sich nicht verändert, und finden es im Wortlaut der Bibel, an dem sie nicht deuteln lassen. Die Anhänger einer solchen buchstäblichen Auslegung der Bibel sind dann durchweg Gegner der Evolutionslehre. Nach ihrer Auffassung kann nur entweder die Bibel oder die Wissenschaft richtig sein: die (buchstäblich zu nehmende) Bibel oder Darwin, nicht die (anders zu verstehende) Bibel und Darwin.
Umfragen aus dem Jahr 2005 zufolge stand damals in den USA fast die Hälfte der Bevölkerung einem Junge-Erde-Kreationismus nahe und lehnte die Evolution offen ab; in den letzten Jahren sinkt diese Zahl zwar (aber auch die Zahl derjenigen, welche die Evolution akzeptieren), dafür steigt der Anteil der Menschen, die unsicher sind, stark an – eine Folge der verwirrenden öffentlichen Debatte. In den meisten westeuropäischen Ländern und in Japan akzeptieren mindestens 70 % der Erwachsenen die Evolution, in den USA lediglich 40 %, nur in der Türkei (dem einzigen an solchen Umfragen beteiligten islamischen Land) sind es noch weniger, nämlich unter 30 % der Erwachsenen. In den deutschsprachigen Ländern meinen noch immer etwa 20 % der Bevölkerung (eher wenig Gebildete), dass der Mensch erst vor wenigen Jahrtausenden durch einen Schöpfungsakt entstanden sei.
Und weil zum einen die Bibelwissenschaft und Universitätstheologie hierzulande medial kaum noch die Öffentlichkeit erreicht, zum andern in den beiden Volkskirchen aus Scheu vor der notwendigen Konfrontation mit sich als bibeltreu gerierenden Gruppen in den eigenen Reihen eine klare Positionierung häufig unterbleibt, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die beiden Kirchen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel wortwörtlich nehmen und sie als angeblich historische Tatsachenberichte von der Entstehung der Welt, des Lebens und des Menschen verstehen, also eigentlich nicht mehr ernst zu nehmen sind.
b) „Creation Science“ und „Intelligent Design“
Die Renaissance des Kreationismus begann nach dem Ersten Weltkrieg in den USA. Seit 1921 treten dort Kreationisten militant gegen die Evolutionstheorie auf und fordern ein Verbot der Evolutionslehre in den Schulen. In einigen Staaten wurden solche Anti-Evolutionsgesetze tatsächlich erlassen (Oklahoma 1923, Tennessee 1925, Mississippi 1926, Arkansas 1928), und in der Folgezeit nahm die Zahl der offiziell genehmigten Schulbücher zu, in denen die Evolutionstheorie nicht erwähnt oder abgelehnt wurde.
Dann aber führte der Schock des Sputnik-Erfolgs der UdSSR von 1957 in der Öffentlichkeit der USA zu einer Änderung der antiwissenschaftlichen Haltung und in intellektuellen Kreisen zu gesteigerter Antipathie gegen den Kreationismus. 1968 erklärte der Supreme Court in einem Prozess gegen das Anti-Evolutionsgesetz von Arkansas (unter Bezug auf die Verfassung der USA, welche die strikte Trennung von Staat und Kirche garantiert) religiöse Lehrinhalte im schulischen Biologieunterricht für verfassungswidrig. Seitdem entwickeln die Kreationisten eine neue Strategie: Sie betonen nun das Unzureichende evolutionärer Erklärungen und beanspruchen für ihre alternative Auffassung, die sie jetzt creation science (Schöpfungswissenschaft) nennen, eine gleichberechtigte wissenschaftliche Position sowie Gleichbehandlung in Stundenplan und Lehrbüchern. Angeregt vom 1972 gegründeten einflussreichen Institute for Creation Research wurden in 27 Bundesstaaten entsprechende Gesetzesentwürfe eingebracht, in zwei Staaten (Arkansas und Louisiana) erlangten sie sogar Gesetzeskraft, wurden aber 1982 und 1987 in Gerichtsverfahren wieder wegen Unterlaufens der Trennung von Staat und Kirche für Unrecht erklärt.
Diese juristischen Niederlagen führten zu einem erneuten Strategiewechsel seitens der Kreationisten. Seit etwa 1992 vertreten sie die Lehre vom Intelligent Design (abgekürzt: ID): Man könne in der Natur mit empirisch-naturwissenschaftlichen Mitteln Signale von Design (Absicht, Plan) feststellen, welche dazu zwingen, einen Designer (Planer) anzunehmen. Wohlgemerkt: Der springende Punkt dieser Lehre ist, die Naturwissenschaft selbst müsse einen intelligenten Designer annehmen. Die Lebewesen seien bis in ihre molekularen Bestandteile hinein irreduzibel komplex und könnten nicht per Zufall entstanden sein; die Entstehung unseres Kosmos und der Vielfalt der Arten könne nicht durch einen ungerichteten Evolutionsprozess, sondern nur durch eine intelligente Ursache erklärt werden.
Der amerikanische Biochemiker und ID-Vertreter Michael Behe bringt etwa das Beispiel einer Mausefalle, bei der keiner der fünf Teile (Holzbrett, Feder, Haltebügel, Schlagbügel, Köderhalter) fehlen dürfe, damit sie ihren Zweck erfüllt, eine stufenweise Entwicklung zur funktionsfähigen Falle sei damit ausgeschlossen. Entsprechend erfülle auch die wie ein Propeller rotierende Bakteriengeißel, mit der das Bakterium sich fortbewegen kann und deren Motor – für ein so primitives Lebewesen – ganz erstaunlich komplex (und raffiniert konstruiert) ist, ihren Zweck nur in der kompletten Zusammenstellung all ihrer Teile, sie könne darum nicht stufenweise entstanden, sondern müsse das Ergebnis einer intelligenten Planung sein (Behe 1996).3
„Where there is design, there must be a designer“: So wird mit dem alten Design-Argument etwa des englischen Physikotheologen William Paley (1745 – 1805) gesagt. Paley brachte in seinem Buch Natural Theology (1802), zu Darwins Studienzeit Pflichtlektüre, das berühmte Beispiel: Wenn man am Strand eine Uhr liegen sehe, müsse man zwangsläufig auf die Existenz eines Uhrmachers schließen (eine Uhr sei zu komplex, um durch Zufall entstanden zu sein); entsprechend ließen die äußerst komplex koordinierten Strukturen von Lebewesen auf die Existenz eines planvoll vorgehenden Schöpfer-Gottes schließen.
So weit gehen die heutigen Vertreter der Intelligent-Design-Theorie freilich nicht. Sie schließen nur auf einen intelligenten Designer (Planer, Entwerfer), „Gott“ wird nicht erwähnt. Auch der Bezug zur Bibel wird vordergründig aufgegeben; bibelbezogene Gedankengänge treten in den Hintergrund, ohne aber die Funktion als Leitideen zu verlieren.
Die ID-Theoretiker betonen, dass sie die Evolutionstheorie aus naturwissenschaftlichen Gründen kritisieren. Es gebe Phänomene in der Natur, die sich nicht mit Verweis auf zufällige, ungerichtete Mutationen und natürliche Selektion erklären lassen. Charles Darwin hatte ja selbst im sechsten Kapitel („Schwierigkeiten der Theorie“) seines Werkes On the Origin of Species formuliert: „Wenn gezeigt werden könnte, dass irgendein komplexes (zusammengesetztes) Organ existiert, das auf keine Weise durch zahlreiche, aufeinander folgende geringfügige Modifizierungen entstanden sein kann, dann würde meine Theorie ganz und gar zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden.“ (Darwin 1859/2008, 224)
Die ID-Theoretiker wollen den empirischen Gegenbeweis antreten. So versuchen sie Schwachstellen des Darwinismus aufzuspüren und kritisieren gängige evolutionsbiologische Erklärungen komplexer organismischer Phänomene. Dabei gehen sie mit folgender Strategie vor: 1. Nachweis hoch komplexer Zweckmäßigkeit in Zellen, Organen oder Organismen (sign detecting); 2. Ausschluss aller in Frage kommenden bekannten Ursachen wie Zufall, stufenweise Entstehung usw. (argumentum ad ignorantiam); 3. Weil zweckmäßiges Design immer einen Designer/Hersteller voraussetzt, muss es einen solchen auch in der Natur geben (Analogieschluss vom Artefakt auf die Natur).
Aber ist dieser Analogieschluss zwingend? Er nimmt ja den fundamentalen Unterschied zwischen Technik und Natur nicht