c) Kreationismus im deutschen Sprachraum
Im Vergleich zu den USA hat der christliche Fundamentalismus in Deutschland nur wenige Anhänger, was sich nicht zuletzt der beinahe flächendeckenden Präsenz eines problemorientierten und reflexionsfreundlichen Religionsunterrichts verdankt, der den Schülern zu einem selbstständigen Umgang mit der eigenen religiösen Tradition sowie zur Kenntnis anderer Religionen und Weltanschauungen verhilft.
1) Kreationistisches Gedankengut gewinnt in evangelikal-biblizistischen Kreisen Einfluss, seit 1979 die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e. V. gegründet wurde, ein durch Spenden finanziertes „Glaubenswerk“, dessen Mitglieder meist Junge-Erde-Kreationisten sind und das zahlreiche Materialien für Schüler herausgibt. Zu diesen gehört auch das als Schulbuch für die gymnasiale Oberstufe gedachte evolutionskritische Buch von Reinhard Junker (Geschäftsführer dieser Studiengemeinschaft) und Siegfried Scherer (Ernährungswissenschaftler an der TU München) „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch“ (Gießen 1998, 62006), das ID-Argumente bietet, das jedoch in keinem Bundesland für die Verwendung an Schulen zugelassen ist.
Interessanterweise hat Scherer sich jüngst im Internet zurückhaltender geäußert: Er halte die ID-Theorie nicht für eine wissenschaftliche Theorie, sondern für eine Motivation zu weiterer naturwissenschaftlicher Forschung, da Kernprobleme der Evolutionstheorie bisher nicht gelöst seien. Da scheint sich etwas zu bewegen.
2) Im katholischen Raum konnten kreationistische Gedanken bislang kaum Fuß fassen. Doch haben Äußerungen des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in einem Zeitungsartikel „Finding Design in Nature“ in der New York Times vom 7. Juli 2005 (sowie in anschließenden Interviews) großes Aufsehen erregt und zugleich erheblich irritiert, weil er sich dabei auf die Seite der ID-Vertreter begab und dabei auch noch so tat, als spreche er für „die katholische Kirche“. Auch wenn Schönborn in weiten Kreisen der katholischen Kirche Protest und Ablehnung erfuhr, war die Wirkung dieses Artikels für das Ansehen der katholischen Kirche in den Augen vieler Naturwissenschaftler verheerend. Anstoß erregen und Widerspruch erfahren muss zumal die folgende Behauptung Schönborns:
„Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht. Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft.“
Hier muss man zurückfragen: Wie kann die Kirche bzw. irgendein hoher Kirchenbeamter darüber befinden, ob eine naturwissenschaftliche Theorie „wahr“ (besser: richtig) oder falsch ist? Die Frage der Richtigkeit und Geltung der Evolutionstheorie kann doch nur im rationalen Diskurs mit Argumenten der Vernunft entschieden werden, nicht aber autoritativ durch einen kirchlichen Würdenträger. Und ob es „in der Biologie eine überwältigende Evidenz für einen Plan“ geben kann, ist in höchstem Maße fraglich.
Mittlerweile hat Kardinal Schönborn seine Vorstellungen über „Ziel oder Zufall?“ ausführlicher dargelegt (Schönborn 2007; Schönborn 2008). Dabei zeigt er sich nicht nur über den Stand der evolutionsbiologischen Erkenntnisse schlecht informiert, sondern erliegt auch Kurzschlüssen wie dem, die Evolutionstheorie sei eine besonders angreifbare und zweifelhafte Theorie. Darauf werden wir (in I. 3 und in V. 2. c) zurückkommen. Eine wichtige Frage wird sein, ob ungerichteter Zufall und Zielgerichtetheit sich ausschließende Alternativen sein müssen („Ziel oder Zufall“) oder ob sie auch ineinander liegen und zusammenspielen können (Zielgerichtetheit in Zufallsereignissen).
Anders als Schönborn (in seinem Zeitungsartikel) hat übrigens dessen Lehrer Joseph Ratzinger schon 1969 das ureigene Recht der Naturwissenschaft und ihres methodischen Naturalismus anerkannt. Er hat geschrieben, „dass die Fragestellung des Evolutionsgedankens enger ist als diejenige des Schöpfungsglaubens. Keinesfalls kann also die Evolutionslehre den Schöpfungsglauben in sich einbauen. In diesem Sinn kann sie mit Recht die Idee der Schöpfung als für sich unbrauchbar bezeichnen: innerhalb des positiven Materials, auf dessen Bearbeitung sie von ihrer Methode her festgelegt ist, kann er (gemeint ist: der Schöpfungsgedanke) nicht vorkommen. Gleichzeitig muss sie die Frage offen lassen, ob nicht die weitere Problemstellung des Glaubens an sich berechtigt und möglich sei. Sie kann diese von einem bestimmten Wissenschaftsbegriff her allenfalls als außerwissenschaftlich ansehen, darf aber kein grundsätzliches Frageverbot erlassen, dass etwa der Mensch sich nicht der Frage des Seins als solchem zuwenden dürfe. Im Gegenteil: Solche Letztfragen werden für den Menschen, der selbst im Angesicht des Letzten existiert und nicht auf das wissenschaftlich Belegbare reduziert werden kann, immer unerlässlich sein.“ Und Ratzinger hat dann hinzugefügt, dass „der Schöpfungsgedanke als das Weitere seinerseits in seinem Raum den Evolutionsgedanken annehmen“ kann (Ratzinger 1969, 235 f).
2. Zur Antwort von Evolutionsbiologen und zur Offensive atheistischer Fanatiker
Der erwähnte Territorial-Anspruch der Kreationisten auf eine alternative und die allein richtige naturwissenschaftliche Naturerklärung empört und provoziert Naturwissenschaftler mit Recht. Zumal unter Biologen hat sich erheblicher, zum Teil erregter Widerstand formiert.
a) Sachliche Klarstellungen durch Evolutionsbiologen
Sachliche Klarstellungen zur Unwissenschaftlichkeit des Kreationismus stammen von bekannten Altmeistern der Evolutionstheorie: von Ernst Mayr († 2008), der übrigens sein Leben lang mit einem strahlenden Lächeln und in völliger Zufriedenheit seinen Zuhörern verkündete, dass sie nichts als ein Zufall seien; von Stephen Jay Gould († 2002), der, obwohl selbst Atheist, das darwinistische Evolutionsmodell so verstand, dass es sowohl mit Atheismus als auch mit religiösen Überzeugungen vereinbar ist (Gould 1992; Gould 2002). Und der dritte große Altmeister, mit Ernst Mayr zusammen Begründer der Synthese von Evolutionstheorie und Genetik, Theodosius Dobzhansky, hat schon 1973 in seinem bemerkenswerten Beitrag „Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution“ geschrieben: „Es ist falsch, wenn man Schöpfung und Evolution als sich gegenseitig ausschließende Alternativen versteht.“ Dobzhansky hat den Kreationisten ihre Selbstbezeichnung streitig gemacht und erklärt: „Ich bin Kreationist und Evolutionist. Die Evolution ist die Methode Gottes, oder der Natur, zur Schöpfung. Kreation ist kein Ereignis, das sich 4004 v. Chr. abgespielt hat. Es ist ein Prozess, der vor gut 10 Milliarden Jahren begann und immer noch fortdauert.“ (Dobzhansky 1973, 127)
In Deutschland tut sich in der Aufklärungsarbeit besonders die 2002 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin“ hervor. Ihrer Homepage zufolge will sie in Veröffentlichungen und Informationsmaterial „klar gegen evolutionskritische Lehren Position beziehen“ und Argumentationshilfen anbieten, „weshalb Schöpfungslehren keine wissenschaftlichen Alternativen zur Evolutionstheorie sein können“. Dagegen ist aus der Sicht eines vernünftigen christlichen Schöpfungsglaubens nichts einzuwenden.
b) Die Offensive szientistisch-naturalistischer Fundamentalisten
Vereinzelte lautstarke Biologen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, wie Richard Dawkins oder Ulrich Kutschera, gehen indes so weit, dass sie einem (letztlich wissenschaftsfeindlichen) religiösen Fundamentalismus einen (religionsfeindlichen) szientistischnaturalistischen Fundamentalismus entgegensetzen, der selbst Züge eines dogmatisch fixierten und unreflektierten Glaubens hat. Sie treten aggressiv auf mit dem Anspruch, man müsse Atheist sein, wenn man die Evolution und die Biologie ernst nehme (wobei nachzufragen ist, wie sie sich den Gott denken, den sie ablehnen; in der Karikatur, die sie zeichnen, würde kein einigermaßen gebildeter Christ Gott und den Schöpfungsglauben erkennen).
1) Der als Biologe und Genetiker anerkannte Richard Dawkins hatte sich schon in seinem Buch Das egoistische Gen bei seiner soziobiologischen Erklärung von Moral in Widersprüche verwickelt, indem er den Menschen als genetisch