Im März 1909 tritt nach allerlei Komödien und Possen, nach viel Schmieren- und Klamauktheater, Marut in einem Theaterstück auf, das vom Thema her sehr wohl kritisch, desillusionierend, entlarvend sein könnte. Es heißt Heines Leiden. Es schildert den Aufenthalt des jungen Heine in Hamburg. Ein junger Mann, der seine ersten Gedichte geschrieben hat, soll partout Kaufmann werden, im Kontor des reichen Onkels Salomo. Und er hat auch noch das Unglück, sich in seine schnippische Cousine zu verlieben. Heine wird später über diese Situation den knapp-ironischen Vers schreiben:
»Es ist die alte Geschichte
doch ist sie ewig neu und
wem sie just passieret,
dem bricht das Herz dabei.«
Marut spielt den jungen Heine. Und was schreibt der Crimmitschauer Anzeiger? – Mit Wohlwollen?
»Wir freuen uns, Ret Marut einmal in einer größeren Rolle gesehen zu haben, die uns sein Spiel besser würdigen ließ. Er ist in unseren Berichten des öfteren vielleicht sehr knapp weggekommen. Um so mehr ist es uns ein Bedürfnis, heute durch rückhaltlose Anerkennung seiner gestrigen Leistung Versäumtes nachzuholen. Über Heine liegt der Zauber der Jugend, des Werdenden, des Großes Versprechenden; die Begeisterung für die Kunst, der eigenartige Reiz des in heißer stürmischer Liebe entbrannten Jünglings, dessen Herz zugleich innige Dankbarkeit gegen den Onkel erfüllt, der ihm viel Gutes erwiesen; oft aber erfüllte ihn tiefe schmerzliche Bitterkeit, dass er den Erwartungen aller derer, die ihn lieben, nicht entsprechen kann. Alles dies wusste Ret Marut in überraschend lebenswahrer Weise zur Darstellung zu bringen. Vornehm in Miene, Wort und Haltung, packend in seiner Leidenschaftlichkeit war sein Heine eine durchaus sympathische Persönlichkeit, der man die wärmste Anteilnahme nicht versagen konnte ...«.
Da hat man die Kunstgesinnung der Kleinbürger, die auch den jungen Brecht so aufreizte.
In Crimmitschau verliebt sich Ret Marut in die Schauspielerin Elfriede Zielke, die häufig, wie aus den Theaterkritiken zu ersehen, in denselben Stücken wie er aufgetreten ist. 1910 geht Marut mit ihr vorübergehend nach Berlin. Vielleicht um seine Ausbildung als Schauspieler zu vervollständigen, vielleicht aber auch, um den Versuch zu unternehmen, als freier Schriftsteller zu leben, denn schon zu dieser Zeit hat er kleine Satiren, Kurzgeschichten, bösartige Parabeln verfasst.
Elfriede Zielke erzählt er den ersten jener zahllosen von ihm erfundenen Lebensromane. Er will auf einem Schiff geboren worden sein. Die Geburtsurkunde liege in San Francisco bzw. habe sich dort befunden. Das Erdbeben oder der sich anschließende große Brand in der Stadt im Jahre 1906 hätte das Dokument leider vernichtet. (Auffällig, dass die Jahreszahl 1906 in etwa mit Ottos neuem Leben als Ret Marut übereinstimmt.)
Seine Mutter, sie soll eine Irin gewesen sein, hat angeblich, als er zwölf Jahre alt war, Selbstmord begangen. Danach sei er von einer Gouvernante erzogen worden, und als Tänzer in der ganzen Welt herumgekommen.
Rudolf Recknagel weist in seinem Buch über B. Traven darauf hin, dass dieser Lebenslauf ganz offensichtlich aus der Handlung eines Romans von Hermann Bang mit dem Titel Die Vaterlandslosen abgeleitet worden ist.
Geboren wurde er auf der Insel der Vaterlandslosen, das ist die Donauinsel Adah-Kaleh unweit des Eisernen Tores. Seine Mutter, eine Dänin, starb aus Schwermut und Sehnsucht nach ihrer Heimat. Die Erziehung Joans erfolgt durch eine Gouvernante. Der Vater weilt meist in London. Joan bleibt bis zu seinem Lebensende heimatlos und einsam.«
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Ret Marut Kollegen erzählt, sein Vater sei rumänischer Abstammung.
Als das Gespräch aufs Heiraten kommt, erklärt Marut seiner Freundin, die inzwischen ein Kind von ihm erwartet, sie müsse ihn nach England begleiten. Nur dort seien die nötigen Papiere zu beschaffen.
Am 20. März 1912 kommt das Kind Elfriede Zielkes und Ret Maruts zur Welt: eine Tochter, die den Namen Irene erhält.
Marut hat inzwischen eine Tour mit einer Wanderbühne durch Pommern, Ost- und Westpreußen, die Provinz Posen und Schlesien hinter sich und ist am Stadttheater in Danzig engagiert. Auch Elfriede spielt bald wieder. Im August 1913 treffen sie sich noch einmal zu einem vierzehntägigen Urlaub in Tangermünde, wo Elfriede ein Engagement hat.
Ende 1914 kommt es zwischen ihnen endgültig zum Bruch, und zwar unter bühnenreifen Umständen.
Elfriede Zielke hat einen Verehrer, den sie offenbar in der Erwartung, Ret Marut werde sie doch noch heiraten, mehrfach abgewiesen hat. Nun – der Erste Weltkrieg ist inzwischen ausgebrochen – hat sich jener Herr Garding hinter die Mutter seiner Angebeteten gesteckt, die ihre Tochter gern unter der Haube sähe. Herr Garding ist zum Militär einberufen worden. Über die Mutter gelingt es ihm, von Elfriede die Zustimmung zur Eheschließung zu erpressen, »weil er sonst im Krieg den Freitod suchen würde«.
Seit Mai 1912 hat Marut ein Engagement am Schauspielhaus Düsseldorf. Er erhält ein Monatsgehalt von 170 Mark brutto, spielt meist Nebenrollen. Ohne zusätzliches Entgelt arbeitet er auch noch an der Theaterzeitschrift Masken mit. Im Sommer 1914 spielt er am Künstlertheater in München, das aber nach Kriegsausbruch schließt. Marut tingelt in Solingen, Köln, Metz und Straßburg. Am 30. Juni wird ein mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus bestehender Vertrag für die nächste Saison nicht erneuert. Er will gleich Urlaub nehmen. Als die Leitung des Theaters das ablehnt, kündigt er mit einem Brief, der einen einzigen geheimnisvoll klingenden Satz enthält:
Ich stehe vor dem Abschluss sehr weitgehender Verpflichtungen, die meine absolute Objektivität und völlige Parteilosigkeit dem Schauspielhaus gegenüber bedingen.
In Düsseldorf hat er die Schauspielschülerin Irene Mermet (Bühnenname: Irena Alda) kennengelernt. Das Mädchen ist 1893 in Köln geboren. Sie ist die Adoptivtochter des Kaufmanns Fritz Mermet, hat 1913/14 der frei-sozialistischen Siedlungsgemeinde (Volkslandbund) angehört. Sie hat dann für kurze Zeit eine Schauspielschule besucht, die sie mit 450 Mark Schulden verlässt. Mit ihr zusammen reist Marut nach München, um dort einen Kleinverlag für anarchistisch-pazifistische Schriften zu eröffnen, der Irene Mermets Namen trägt, während er ab September 1917 damit beginnt, die Zeitschrift Der Ziegelbrenner herauszugeben. Schon die Notiz im Impressum verrät etwas von der rabiat-anarchistischen Nonkonformität dieses Blattes. Sie ist zugleich auch ein bissiger Tadel über gewisse damals wie heute übliche Unarten im Pressewesen:
Der Ziegelbrenner
bringt in seinen, in zwangloser Folge erscheinenden Heften
Aufsätze über:
Politik, Handelspolitik, Volkswirtschaft, Staatsphilosophie, Soziologie;
ferner:
schöngeistige Beiträge, Buchbesprechungen, Theaterberichte und Randbemerkungen zu Streit- und Tagesfragen.
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