Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Hunter S. Thompson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hunter S. Thompson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783862871568
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wenigen Fällen hat es funktioniert.

      2. April 1958

      562 West 113th, Apartment 5E5

      New York City

      Liebe Sally,

      verwende bitte dieses Schreiben hier, ja? Wenn das nicht hilft, um die Bastarde abzuschrecken, dann weiß ich auch nicht. Ich glaube, ich sollte eine Kopie davon an die AMA [American Medical Association] schicken – als Dokument eines schizophrenen Menschen in Aktion. Es ist ein Riesending. Jeder, der versuchen würde, vom Verfasser eines Schreibens wie diesem Geld zu fordern, müss­te ganz schön plemplem sein.

      Sollten irgendwelche Gläubiger persönlich bei Dir auftauchen, sag ihnen, ich wäre vor ein paar Wochen nach Gainesville, Florida, abgereist, um mich dort für eine Stelle als Redakteur für religiöse Belange zu bewerben. Solange sie nicht herausfinden, dass ich in New York bin, ist alles bes­tens.

      Danke,

      Hunter

      »SCHULDENBRIEF«

      2. April 1958

      Sagen Sie Mal, mein lieber Mann, was soll das eigentlich? Gerade eben komme ich aus New Orleans zurück, und das Erste, was mir in die Hände fällt, ist ein Drohbrief von Ihren Leuten – irgend so ein wildes Gekläffe von wegen Knast und Gericht und Anwälten und so was: Wer, glauben Sie, dass ich bin – ein Goldesel? Ich bin vollauf damit beschäftigt, meine Trilogie von Short Stories unterzubringen, und Sie und Ihre Leute verfolgen mich auf Schritt und Tritt – und stöhnen und heulen herum wegen ein paar idiotischen Schulden! Wer sind Sie überhaupt? Ich habe von Ihren Leuten nie auch nur irgendwas gekauft. Und in welch einer heruntergekommenen Branche sind Sie beschäftigt, dass Sie es nötig haben, Menschen durch das ganze Land zu jagen? Ich bekomme alle zwei, drei Monate eine größere Ladung Post, und jedes Mal ist auch ein neuer Drohbrief von Ihnen darunter!

      Was soll das überhaupt werden, was Sie da veranstalten? Ist Ihnen nicht klar, dass ich mich auch so schon nicht auf meine Arbeit konzentrieren kann – bei einem Krieg von der Sorte, wie er gerade auf uns zukommt? Der atomare Fallout ist Gottes ZORN! Mit dem Ende der Welt vor Augen kann ich es mir gar nicht erlauben, auch noch einen Job anzunehmen. Und wenn ich mein Werk jetzt nicht publiziert kriege, wird es womöglich überhaupt nie mehr publiziert! Haben Sie noch nie davon gehört, dass man nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen kann? Sex nimmt überhand, und die Menschen haben schon damit begonnen, Gott zu vergessen – wie können Sie da noch Jagd auf mich machen? Wir schütten immerzu Whiskey in unsere Körper, wir trinken Gottes BLUT! Jeder Arbeitsplatz ist ein Ding der Unmöglichkeit – ununterbrochen mach ich mir Sorgen und bin schon halb verrückt … Was machen Sie mit all dem Geld? Ich will nichts von Ihrem verdammten Geld … wir alle haben unser Zuhause im Himmel … was soll der ganze Unfug?

      Sie haben ja gar keine Vorstellung von dem Druck, unter dem ich stehe: Ich bin nicht mehr der, der ich noch vor einem Jahr war. Sorge über mein Werk und über Geld und Jobs die ganze Zeit treiben mich in den Wahnsinn! Ich muss meine Sachen publiziert kriegen! Warum reden Sie nicht mal mit einigen der Verleger, die Sie kennen, und organisieren mir einen Vorschuss, damit ich einen Roman schreiben kann? Dann habe ich auch Geld … dann hab ich das Geld … Und keine Drohungen mehr! In New Orleans hab ich mir irgendwas eingefangen, und nicht Mal zum Arzt kann ich gehen! Jeder meint, das sei alles zum Totlachen, aber ich brauche unbedingt einen Job. Vielleicht werde ich sehr bald zum Assistenten des Redakteurs für religiöse Belange bei der Gainesville Sun … Ich bin dort nächste Woche, um zu sehen, was sich machen lässt. Den Wagen, der mir mal gehörte, hat sich jemand in New Orleans geschnappt. Mein Güte, was läuft da die ganze Zeit? Jeder ist auf Diebstahl und Trinken und Sex aus und nimmt noch denen, die nicht Mal irgendwas zu verkaufen haben, ihr Geld weg, und überall atomarer Fallout und Krieg im Anmarsch. Die ganze Welt spielt verrückt, und ich hab nicht Mal einen Job. Hören Sie endlich auf, mich zu bedrohen! Es geht mir nicht gut – auf meinem Bein haben sich Bläschen gebildet, und dann noch diese Infektion, die meinem Magen so zusetzt. Ich kann nicht einmal mehr denken, was ich noch zu sagen hätte … die Sorgen bringen mich um den Verstand.

      Ich habe versucht, in New Orleans eine Stelle zu bekommen, aber Sie haben mich fortgeschickt. Wenn diese Sache mit Gainesville klappt, werde ich Redakteur für religiöse Belange und veröffentliche bei denen mein erstes eigenes Buch. Dann werde ich auch einen Job haben, und es wird mir ganz ausgezeichnet gehen.

      Mit besten Empfehlungen,

      Hunter S. Thompson

      AN SUSAN HASELDEN:

       Schließlich zieht Thompson doch noch in seine eigene »Junggesellenbude« – ein kleines schwarz gestrichenes Kellerapartment in Greenwich Village. Seine freie Zeit verbringt er vor allem damit, sich in der Umgebung der Columbia University herumzutreiben.

      13. April 1958

      57, Perry Street

      New York City

      Liebe Susan,

      was soll das heißen, wenn Du schreibst, Du hättest uns »wahrscheinlich beide umgelegt«? Würde man meine Irrwege der letzten drei Jahre zusammenzählen, würde es vermutlich reichen, um von hier bis Cape Town zu kommen; ich würde nichts als einen Lendenschurz tragen, und es gäbe nicht den klitzekleinsten Ärger. Und was den Kongo angeht, weiß ich genau, dass ich einen kompletten Harem sicher durchs ganze Land geleiten könnte. Tatsächlich bin ich überzeugt, dass ich alles und jeden geleiten könnte; außer vielleicht einer Gruppe kichernder Jungfrauen.

      Mit Deinen Briefen – wie jungfräulich und kichernd sie auch daherkommen mögen – gelingt es Dir jedenfalls immer, mich ein wenig aufzuheitern. Und, seltsam genug, scheine ich gerade jetzt, wo die Dinge besser laufen als erwartet, das Bedürfnis nach einer Aufmunterung durch andere umso stärker zu spüren. Ich glaube, der Grund dafür ist die Erkenntnis, dass ich für einen relativ langen Zeitraum ein Bewohner New Yorks sein werde. Nicht dass ich mich für eine bestimmte Anzahl von Monaten dazu verpflichtet hätte; doch es erscheint mir notwendig, eine Weile hier zu bleiben. New York ist alles zugleich – Erziehung, Initiation, Stimulans. Die Stadt gibt einem eine Perspektive, die man, glaube ich, unmöglich irgendwo sonst auf der Welt bekommen kann. Aber Gott erbarme sich derer, die dann mit dieser Perspektive tatsächlich zu leben vermögen.

      Ganz im Ernst, dieser verdammte Ort ist wie aus einer frühen Erzählung von William Saroyan: die einsamen verwelkten kleinen Mauerblümchen aus Hattiesburg, Mississippi; frustrierte, Hymnen singende Mädchen aus China; wilde Mischlinge aus der ganzen gottverdammten Welt; das Mädchen von nebenan aus Dayton, Ohio; schüchterne Neo-Intellektuelle aus Parsons, Kansas (die mich ein bisschen an Dich erinnern); und wer alles sonst noch. Um jemanden zu zitieren: »Ich sehe jetzt alles mit neuen Augen!« Das Zentrum Manhattans ist ein Irrenhaus, Harlem die Hölle auf Erden, die Bronx, Queens und Brooklyn sind Gräber, und das gottverdammte Village reicht völlig, um jeden unerschrockenen Strandräuber vor Angst erstarren zu lassen. Hast Du bemerkt, dass die Sonne NIEMALS IN MEIN APARTMENT REINSCHEINT? Kannst Du Dir vorstellen, was das bedeutet – wie sich diese ständige Dunkelheit auf einen Menschen auswirkt? Kannst Du Dir vorstellen, dass ich Leute kenne, die in einer Bar LEBEN – und dorthin auch ihre Post bekommen? Es gibt Menschen hier, die so einsam sind, dass ich es selbst nicht aushalte, mit ihnen zu reden. Gott, was für ein tragisches Paradox.

      Ich bin jetzt auf eine Antwort gestoßen – natürlich eine sehr allgemeine, aber immerhin eine Antwort. Ich habe entweder großes Glück oder ich bin sehr verrückt, dass ich sie in jungen Jahren gefunden habe, wie auch immer, ich hab sie. Ich werde Dir das alles genauer erklären, wenn ich mehr Zeit habe.

      Dieses Apartment, nebenbei bemerkt, scheint direkt aus einem »Low Bohemia«-Film zu stammen. Ich hab es von einem arbeitslosen Liedermacher übernommen, der ohne Tageslicht schon halb verkümmert war. Der offizielle Mietvertrag läuft immer noch über einen Drogenabhängigen, der vor zweieinhalb Jahren aus der Stadt gezogen ist, und der jederzeit zurückkehren und wieder einziehen könnte – wer weiß, was dann los wäre. Vielleicht sollte ich mich besser auf den Weg machen und im Swimming Pool des Owl Creek wohnen. Geldsorgen – Schulden, wie üblich.