An Weihnachten bin ich hier also angekommen, und ich muss Dir ja nicht extra sagen, dass ich diesen bekloppten Ort in Pennsylvania nicht mehr ausgehalten habe – dort fing ich auch mit dem Trinken an. Meine Abreise aus Pennsylvania war denn auch ein wenig überhastet, nach einer wüsten Orgie mit der jungen Tochter von einem der Redakteure. Sie ist am gleichen Tag nach Chicago abgereist, an dem ich mich nach New York aufgemacht habe. Am Freitag vor Weihnachten waren wir noch die ganze Nacht zusammen unterwegs gewesen, haben den Wagen ihres Vaters auf einer einsamen Straße in ein Schlammloch gesteuert und beim Versuch, ihn mit einem Traktor wieder auf die Straße zu ziehen, die vordere Stoßstange heruntergerissen – um uns dann mit Ram’s Head Ale endgültig die Kante zu geben. Wie es immer so ist, brachte dieser kleine Skandal die Gefühle des ein oder anderen ganz schön in Wallung. Mir blieb gar keine Wahl, als mich sofort aus dem Staub zu machen; ich wollte vermeiden, von einem puritanischen Mob geteert und gefedert zu werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einen großen Teil der lokalen Bevölkerung mit ein paar spöttischen Artikeln über den bemitleidenswerten Zustand des Basketballsports an der Highschool von Pennsylvania verärgert, und das Techtelmechtel mit dieser jungen Lady wäre nur der letzte Vorwand für die Bastarde von Quäkern gewesen, den sie gebraucht hätten, um mich zu entmannen. […]
Da es ist einigermaßen schwierig ist, eine Karriere als Sportjournalist in Festanstellung bei der New York Times zu starten, sieht es so aus, dass ich fürs Erste gezwungen bin, woanders Arbeit zu finden. Bis September werde ich ein bisschen Geld zurücklegen müssen, und sollte ich keinen passenden und einigermaßen bezahlten Job in Manhattan finden, denke ich gerade ernsthaft darüber nach, auf einem Schiff anzuheuern. Allerdings bin ich momentan darauf aus, die lasterhaften Freuden von Metropolis auszukosten. Ich habe noch genug Geld für zwei verkommene Wochen, und erst dann werde ich mich ernsthaft ranhalten müssen, was einen Job angeht.
Da fällt mir ein, tu mir bitte den Gefallen und frag bei Col. Campbell nach, ob er den Brief an Vanderbilt bekommen hat. Ich hab von denen neulich einen Brief gekriegt, in dem es hieß, sie hätten nur ein Empfehlungsschreiben erhalten (von Wayne Bell). Wenn Campbell den Schrieb nicht sofort weiterschickt, wird nichts daraus. Und richte John Edenfield einen schönen Gruß von mir aus und frag ihn, ob er mich nicht in seinen heimatlichen Gefilden an irgendeinen Bekannten vermitteln könnte, der vielleicht eine gut bezahlte Stelle weiß. Ich werde dreifaches Glück brauchen, um all diese Strafzettel bezahlen zu können.
Im Moment bin ich auf der Suche nach einer jungen Frau, die sich damit anfreunden könnte, mit mir eine Wohnung zu teilen. Die Zukunftsaussichten sind, mal abgesehen von Geld, tatsächlich verlockend. Nur das Papier wird gerade knapp. Deshalb stecke ich es jetzt lieber in einen Umschlag und sage nur noch: mach’s gut …
Hunter
AN HENRY EICHELBURGER:
Eichelburger studiert im dritten Jahr Biologie und Zoologie an der Tulane University. Thompson knüpft mit seinem Brief an einen Abend an, den er mit »Ike« im French Quarter verbracht hat und von dem er nun hofft, im Nachhinein profitieren zu können. An jenem Abend prahlte Eichelburger mit Frauen, die er während eines Sommers in New York aufgerissen hatte.
9. Januar 1958
110 Morningside Drive, Apt. 53
New York, New York
Lieber Ike,
ich bin mir sicher, dass Dich dieser Brief in bester gesundheitlicher und finanzieller Verfassung erreicht und Du kurz davor bist, Deans Liste zu erklimmen. Anders kann ich es mir bei Dir kaum vorstellen, Du weißt schon ...
Im Ernst, bestimmt hast Du längst die Adresse des Absenders bemerkt und erleichtert aufgeatmet, da ich jetzt nicht mehr einfach so bei Dir zuhause vorbeikommen kann … Also, kommen wir gleich zur Sache.
Es handelt sich um eine ziemlich biologische Angelegenheit, und da solltest Du Dich ja bestens auskennen. Kurz gesagt: Ich bin für unbestimmte Zeit in New York und sexuell so ausgehungert, dass es zum Verzweifeln ist. Wenn ich mich recht entsinne, hast Du den ganzen Sommer hier in der Stadt verbracht, und zwar in einer Wohnung mit lauter umtriebigen jungen Frauen. Wo ist diese Wohnung? Ich muss es wissen. Und ich würde ebenso gerne wissen – so schnell, wie Du eben einen Brief aufgeben kannst: sämtliche Namen, Treffpunkte, Adressen usw., die einem jungen Lebemann weiterhelfen könnten, der auf dieser überbevölkerten Insel umherstreift. Komm schon, ich weiß genau, dass Du haufenweise ungenierte Frauen kennst, die ich auf meine eigene ganz spezielle Weise trösten könnte. Kein Mensch aus Fleisch und Blut steht hier den Sommer ohne ein Minimum an Körperkontakten durch. Und ja, ich meine es genau so, wie ich es sage: Solltest Du außerdem irgendwelche Trinker, Penner, Nutten etc. kennen – lass mich auf keinen Fall hängen. Ich bin hier angetreten, um mir meinen Weg zu Glück und Ruhm zu erschreiben – und dafür brauche ich vielfältiges Anschauungsmaterial. Ich erwarte Deine Kontakte mit der nächsten Post.
Der andere Grund, warum ich überhaupt hier bin, hat damit zu tun, dass ich nicht das Geld habe, um es woanders zu versuchen. Erst hatte ich genug, aber jetzt ist es futsch. Ich bin gezwungen zu arbeiten.
Den letzten Monat habe ich zusammen mit drei Jurastudenten verbracht, einer von ihnen war mit mir in Eglin. Ich wohne jetzt in der Nähe der Columbia, habe aber vor, in den nächsten zwei Wochen weiterzuziehen. Wenn Du einen guten Tipp hast, wo sich’s wohnen lässt, gib mir Bescheid. Am liebsten wär mir natürlich das Village, aber ich würde auch woanders hingehen, Hauptsache billig: die Idee ist, ein bisschen Geld auf die Seite zu legen, damit ich nächsten Herbst an die Uni kann … nicht, dass die Uni das höchste der Gefühle wäre, aber es gibt ein paar Dinge, die ich mir eher in einem akademischen Umfeld als in einer alkoholgetränkten Bohème-Szenerie aneigne. Wie es umgekehrt Dinge gibt, die ich niemals an einer Schule, sondern nur in einer Bohème-Szenerie lernen würde. Ich schätze, das weißt Du inzwischen.
Ab sofort bin ich also ohne Job. Innerhalb einer Woche muss ich was gefunden haben. Ich habe da beim Time Magazin etwas am Laufen, aber das ist noch völlig unsicher, und es könnte gut sein, dass ich Flugzeuge beladen muss oder etwas in der Richtung; wenn es nur Geld bringt. Wenn Du eine Idee hast, wo ich Arbeit bekommen könnte, gib mir schnellstens Bescheid. […]
Hunter
AN SALLY WILLIAMS:
Sally Williams zog von Eglin, wo sie mit ihrem Vater, einem Oberst lebte, nach Mobile, Alabama, um dort als Kosmeti kerin zu arbeiten. Thompson feiert hier das Leben als »Slacker«.
17. Januar 1958
110 Morningside Drive, Apt. 53
New York, New York
Mein verrücktes Huhn,
genau, ich bin’s wieder: wahrscheinlich sehr zu Deiner Überraschung, sofern Du zu den Menschen gehörst, denen ich zuletzt geschrieben habe. Denn offenbar erwecke ich nicht den Eindruck, einer von der Sorte zu sein, von dem man jemals wieder etwas hört … außer natürlich, wenn er zufällig Geld braucht.
Wie auch immer: Mir war gar nicht klar, dass ich so viele merkwürdige, zynische Bekannte habe. Jeder will mich zu einer Religion bekehren, mir Sympathie entgegenbringen, Hoffnung spenden, Geduld aufbringen, jede Art von idiotisch-priesterlicher Fürsorge, damit ich für die finsteren Zeiten der Arbeitslosigkeit gerüstet sei.
Arbeitslos, hol’s der Teufel: Ich finde es großartig. Es gefällt mir, den Tag zu verschlafen und nichts zu tun zu haben, außer zu lesen, zu schreiben und ins Bett zu gehen, wann immer mir danach ist. Es gefällt mir, morgens aufzuwachen und mich auf der Stelle wieder hinzulegen, wenn das Wetter mies ist. Kurzum, ich bin in einer Situation, die kaum besser sein könnte: allerdings unter der Voraussetzung, genug Geld für Essen und Miete zu haben.
Hab ich aber nicht … und deshalb muss ich arbeiten: Aber was soll’s? Soll ich heulen und um Vergebung bitten? Soll ich mich zu Tode schämen und meine Seele unendlichen Qualen aussetzen, die nur durch das