Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Hunter S. Thompson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hunter S. Thompson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783862871568
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1959

      »Ich lebte dort seit etwa einem Jahr, als der Keller allmählich absackte. Die Regengüsse des Frühlings und der schmelzende Schnee drückten zu sehr gegen die dreckigen steinigen Wände, die wie fauliges Fluss­ufer bei Flut dahinbröckelten; langsam, aber sicher stürzten sie in den sumpfigen Morast, der mit jedem Tag vier, fünf Zentimeter tiefer wurde. Der Vermieter war zu träge, um den Schaden selbst zu beheben und lehnte es fast drei Wochen lang ab, tätig zu werden. Erst als der Schlamm den Heißwasserboiler unter sich zu begraben drohte, fand selbst der alte Dreckskerl, dass es höchste Zeit ist zu handeln.«

      Hunter S. Thompson

       The Almost Working Artist

      (unveröffentlichte Short Story)

      AN VIRGINIA THOMPSON:

      Nachdem Time ihn wegen Gehorsamsverweigerung gefeuert hat, bekommt Thompson endlich den Job, den er sich immer gewünscht hat. Er wird Reporter beim Middletown Daily Record in Upstate New York. Da er unbedingt mobil sein will, schreibt er seiner Mutter und versucht sie zu überreden, ihm Geld zu leihen – für einen schwarzen Jaguar von 1951, der 550 Dollar kosten soll.

      31. Januar 1959

      Middletown, New York

      Liebe Mom,

      tut mir leid, dass ich nicht geschrieben habe, aber ich hatte einen triftigen Grund, den Du sicher verstehen wirst, wenn Du diesen Brief gelesen hast. Ich habe es glaub ich schon kurz in meinem Telegramm erklärt, hier kommt nun die ganze Geschichte.

      Ich war seit einigen Tagen wieder zuhause, machte mir Gedanken über meine Jobsituation, redete mit allen möglichen Leuten darüber, und dann rief mich jemand vom Arbeitsamt an und meinte, er habe für mich eine interessante Stelle bei einer Zeitung in Middletown, New York. Ich zögerte zuerst, hatte aber gerade so wenig Geld, dass ich beschloss, mir die Sache genau anzusehen.

      Offen gesagt stellte sich heraus, dass es eine der besten Angebote war, die jemand in meinem Alter im Journalismus zur Zeit kriegen kann – oder vielleicht sollte ich sagen: in dem Alter, das im Bewerbungsbogen vorgeschrieben ist. Der Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit – zu den erschreckenden praktischen Erwägungen, die sich daraus er­geben, komme ich noch – liegt in meiner »Vorgehensweise«; oder anders gesagt: wie ich versucht habe, an die Stelle heranzukommen. Ich bewarb mich also vor dem Hintergrund, dass ich 1) einen Universitätsabschluss habe, 2) 23 Jahre alt bin und 3) über umfangreiche Erfahrungen als Reporter verfüge. Natürlich ist nichts davon wahr, und ich machte mich darauf gefasst, jeden Moment »enttarnt« zu werden; dann wäre ich nur noch irgendein Dahergelaufener gewesen, der unberechenbar und unerwünscht ist. Und das ist der Grund, warum ich nicht geschrieben habe. Dir davon zu erzählen, was für einen großartigen Job ich jetzt habe, um kurz darauf schreiben zu müssen, dass ich gefeuert wurde, das kam definitiv nicht in Frage. Ich habe fast niemandem davon erzählt. Ich habe es nicht einmal zugelassen, mich selbst auch nur das kleinste bisschen darüber zu freuen, aus Angst vor dem plötzlichen Absturz, der sich jederzeit würde ergeben können. So war die ganze Sache also ein monströses Pokerspiel, das irgendwie funktioniert hat. Hier die Kurzfassung:

      Als ich von meinem ersten Interview zurückkam, ging ich runter, um mich mit Lou Miller vom World-Telegram zu unterhalten. Du kennst den Brief, den ich daraufhin geschrieben habe. Er enthält die letzten optimistischen Gedanken und Worte, die ich von mir gegeben habe, seit ich in Middletown angekommen war, um die zweiwöchige Probezeit zu beginnen. Na gut, am Donnerstag sagten sie mir dann, meine Arbeit sei »erstklassig«, und sie würden mich dabehalten wollen – allerdings unter der Voraussetzung, dass ich ein Auto hätte, und zwar besser heute als morgen.

      Ehe ich darauf zurückkomme, lass mich Dir erklären, um was für ein Unternehmen es sich hier handelt. Middletown Record ist eine innovative Zeitung, die erst seit zweieinhalb Jahren existiert. Es ist die landesweit einzige Zeitung, die im Offsetverfahren gedruckt und bei der mit Fotosatz gearbeitet wird. Das Blatt boomt und wurde bereits in Time, Editor & Publisher und einer Menge anderer Branchenblätter porträtiert. Ein Einziger in der Nachrichtenredaktion ist über 35, die meisten sind zwischen 23 und 30. Das Verbreitungsgebiet umfasst drei Bezirke, die Zeitung verfügt über drei Büros. Die meisten der Reporter legen im Durchschnitt täglich etwa 120 Kilometer zurück, und alle sind gleichermaßen Autoren wie Fotografen. Ich habe ihnen na­türlich gesagt, dass auch ich ein erfahrener Fotograf bin, und wundersamerweise kam ich anderntags mit einem Foto an, das so gut war, um es auf die Seite eins zu schaffen (liegt bei). Ich werde mir eine eigene Kamera zulegen müssen, aber das soll uns jetzt nicht weiter aufhalten.

      Jedenfalls sind die Leute, mit denen ich hier arbeite, alle jung, verdammt klug, kommen aus allen Ecken des Landes und sind allesamt am Durchstarten. Der Record ist eine der bes­ten kleinen Zeitungen des Landes; es ist eine der besten Chancen, die sich gerade bieten. Die gesamte Situation erscheint mir großartig, und auch wenn ich wegen meiner ge­tricksten Bewerbung ein wenig unentspannt bin, müsste es schon mit dem Teufel zugehen, um hier wieder rauszufliegen. Denn nach Ablauf der Probezeit wird der Record wohl kaum noch meinen biographischen Hintergrund überprüfen.

      So, wie die Dinge also gerade stehen, habe ich einen phantastischen Job, bekomme siebzig Dollar die Woche und sitze noch dazu in den Startlöchern für eine Stelle als Reporter bei World-Telegram. Meine Lage war ehrlich gesagt noch nie so gut, seit ich Sportredakteur beim Command Courier gewesen bin.

      Und jetzt geht’s ans Eingemachte.

      Wie gesagt brauche ich ein eigenes Auto, wenn ich die Stelle nicht innerhalb von zehn Tagen wieder los sein will. Normalerweise wäre das auch gar kein Problem. Ich könnte mir von der Bank einen Kredit geben lassen und mich nach einem guten zuverlässigen Wagen für um die 500 Dollar umschauen. Folgendes aber würde passieren, wenn ich zur Bank ginge: 1) einen Fragebogen ausfüllen – was würde ich bei der Frage angeben, wie alt ich bin? Sage ich, dass ich 21 bin, dann drück mir die Daumen – noch dazu in einer Kleinstadt wie Middletown –, dass nicht irgendeine Bemerkung über »diesen ungewöhnlich jungen Reporter« die Runde bis zum Management des Record macht. Das wäre das Ende des Lieds. Bleibe ich dagegen konsequent und gebe 23 an, setze ich mich dem Verdacht aus, »einen Kredit unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erschleichen«, eine Anklage, die ich lieber nicht riskieren möchte. Die Bank wird sicher Dokumente zur Identifikation verlangen, und wenn nicht, wird dies an anderer Stelle passieren, und inzwischen habe ich gelernt, zwischen annehmbaren und unannehmbaren Risiken zu unterscheiden.

      Hier kommt nun also, nachdem ich etwa vierzig Stunden immer wieder darüber nachgedacht habe, der Plan, den ich Dir vorschlagen möchte. Ich habe einen Wagen ausfindig gemacht, einen verdammt guten, und zwar für 550 Dollar. Eine Schrottkarre kann ich mir nicht leisten, da ich mir mit einem Wagen, den ich für die Arbeit brauche, keine ständigen Pannen erlauben kann. Ich würde mir 350 Dollar von Memo leihen – 300 zu den 50, die Du mir hoffentlich schon geschickt hast. Ich würde sie mir von ihr leihen wie von einer Bank – mit sechs Prozent Zinsen und rückzahlbar in einem Zeitraum von zwölf Monaten, also 30 Dollar im Monat. (Nein, richtig ist: 31 Dollar im Monat.)

      Es wären nur 350 Dollar, die ich jetzt bräuchte, denn ich habe bereits mein Apartment für 200 Dollar vermietet, die ich nächst­e Woche bekommen werde. Dieses Geld wäre nutzlos, wenn ich nicht weitere 350 Dollar dazubekäme. Tatsächlich wären es sogar ein bisschen mehr als 350 Dollar, damit ich die erste Zahlung für die Versicherungspolice von Jack [Thompson] leisten kann. Eine Versicherung vor Ort scheidet aus, das kostet hier um die 270 Dollar, und das wäre mir definitiv zu viel. Das heißt wiederum, dass ich den Wagen bei euch anmelden muss, aber das ist kein Problem. Wenn er erst einmal angemeldet ist, warte ich ein wenig, und dann lass ich ihn auf New York umschreiben. Ich schick Dir einfach die Papiere, wenn ich den Wagen habe, und Du kannst mir die Bescheinigung schicken.

      Ich bin mir in dieser Sache jetzt absolut sicher, und eher würde ich durchs Feuer gehen als diesen Job verlieren zu wollen. Sollte ich gezwungen sein, das Ganze bei der Bank zu machen, dann mach ich es eben, aber, was eine Absicherung des Jobs angeht, wäre das wie Russisch Roulette spielen. Verliere ich den Job wieder, nähme ich mir auch die Chance