Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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      Richard Hell

      Blank Generation

      Autobiographie

      Aus dem Englischen von

      Norbert Hofmann

      FUEGO

      - Über dieses Buch -

      Von frühester Jugend an träumte Richard Hell davon abzuhauen, was er dann auch mit siebzehn tat. Er landete im New Yorker East Village, in den sechziger und siebziger Jahren ein Ort mit billigen Mieten und tausend Möglichkeiten. Er arbeitete als Buchhändler und wurde Dichter, der sich in der Künstlerszene herumtrieb, in der Feminismus, Androgynie und Transvestismus in der Luft lag, bevor er einer der wichtigsten Figuren in der neuen Musikszene wurde. Für Malcolm McLaren war er die Inspiration für das, was er mit den Sex Pistols dann verwirklichte. Richard Hell erinnert sich schonungslos an seine Drogenabhängigkeit und wie er sich daraus befreite, und es gelingen ihm großartige Porträts der damaligen Kunst- und Musikszene.

      - Pressestimmen -

      »Blank Generation rief in mir ein Gefühl hervor, das ich als Kind hatte ... Ich wuchs auf und verliebte mich in eine Welt, die nicht meine war. Es gibt wenige Bücher, die mich dazu verleiten, selbst zu schreiben; dies ist eines von ihnen.« (Kathleen Hanna, Bikini Kill/Le Tigre/Julie Ruin«)

      »Richard Hell erfand fast im Alleingang Punk, wie wir ihn kennen, gründete zwei der einflussreichsten Bands in der Geschichte der modernen Musik, und definierte neu, was Rock‘n‘Roll-Texte sein können. Wenige Leute waren so bedeutend – und doch so unterschätzt – wie der Dichter, Musiker und die Mode-Ikone Richard Hell.« (Anthony Bourdain, Autor von »Geständnisse eines Küchenchefs«)

      »Eine Musikerbiografie mit tollen Einblicken in die Anfänge von Punkrock/CBGB. Alles in einem sehr offenen, zynischen Tonfall, durchaus auch literarisch. Für mich eins der besten Musikbücher.« (Markus Nägele, Lektor bei Heyne Hardcore)

      »Ein reuevoller, von Kämpfen gezeichneter, traurig-witziger Beobachter seines Lebens und unserer Zeit.« (New York Times)

      »Richard Hell konzipierte und realisierte eine nachhaltige Vorstellung von Rockstarruhm, als hätte er den Begriff selbst erfunden. Radikal selbstkritisch, schreibt er eine Prosa, die so schneidend scharf ist wie ein vom Mondlicht geschärftes Diamantmesser.« (Luc Sante, Autor von Low Life)

      Für Sheelagh und Ruby

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      © Richard Meyers

       Kapitel Eins

      Wie viele zu meiner Zeit war ich, als ich klein war, ein Cowboy. Ich hatte Chaps und einen weißen Cowboystroh­hut und band meinen Halfter aus Leder an die Oberschenkel. So trat ich hinaus auf die Veranda und alle konnten sehen, wie ein Cowboy seinen Auftritt hatte.

      Dies war in Lexington (Kentucky), als jeder ein Kind war. Ich hielt Ausschau nach Höhlen und Vögeln und lief oft von zu Hause weg. Weglaufen war meine Lieblingsbeschäftigung. Die Worte – »Komm, lass uns abhauen« – haben für mich immer noch einen magischen Klang.

      Meine Eltern kamen 1948 nach Lexington. Sie hatten sich zwei Jahre zuvor an der Columbia University in New York kennengelernt, wo sie Doktoranden der Psychologie waren, und ein Jahr danach geheiratet. Nachdem mein Vater Ernest Meyers, der in Pittsburgh (Pennsylvania) auf­gewachsen war, in der Columbia seinen Doktortitel gemacht hatte, bekam er eine Stelle an der University of Kentucky. Ich wurde Ende 1949 geboren. Meine Mutter verzichtete erst einmal auf eine Karriere, um sich um den Haushalt zu kümmern.

      Wir waren zu viert, mit meiner Schwester Babette, die anderthalb Jahre nach mir geboren wurde. Wir fühlten uns der Mutter meines Vaters, Grandma Linda, nahe, die in New York lebte, und wir besuchten gelegentlich einen seiner Brüder, Richard, der als Chemiker für Texaco arbeitete, und seine Frau und Kinder in ihrem Haus nahe Poughkeepsie, aber darüber hinaus war der Sinn für Familie oder Familienstammbaum nicht sehr ausgeprägt. Ich verstand zum Beispiel nicht wirklich, was ein Jude ist, auch wenn ich wusste, dass die Familie meines Vaters irgendwie dieser Spezies angehörte. Ich dachte, Judaismus ist eine Religion, aber wir waren nicht religiös.

      Meine Mutter, geborene Carolyn Hodgson, war ein Einzelkind. Ihre Mutter, Dolly Carroll (geborene Dolly Griffin), die wir nur Mama Doll nannten, war ein Arbeitermädchen aus Alabama und Methodistin. Sie spielte Bridge und mochte Cocktails. Sie war viermal verheiratet. Wir sahen sie alle drei oder vier Jahre für ein paar Tage. Sie und der Vater meiner Mutter, Lester Hodgson, dem eine Tankstelle in Birmingham gehörte, bis er in der Großen Depression pleite ging, hatten sich scheiden lassen, als meine Mutter noch klein war, und ich erinnere mich nur noch, dass ich zwei- oder dreimal mit ihm in demselben Zimmer war.

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      Ich kam von Hopalong Cassidy.

      © by Richard Meyers

      In den fünfziger Jahren lebten wir in den neuen Vororten Amerikas. Meine Wurzeln reichen nicht tief. Ich bin ein wenig neidisch auf Menschen mit starken ethnischen und kulturellen Wurzeln. Glücklicher Martin Scorsese oder Art Spiegelman oder Dave Chappelle. Ich kam von Hopalong Cassidy und Bugs Bunny und der Grundschule Maxwell Elementary.

      1956, als ich sechs Jahre alt war und wir in der Rose Street nahe der Universität wohnten, kaufte mein Vater einen cremefarbenen, grünen Manhattan (Baujahr 1953), in dem er jeden Morgen die eine Meile auf der Straße zwischen der großen Basketballarena der University of Kentucky und ihrem Footballstadion zur Arbeit fuhr. Seine Arbeitsräume befanden sich auf dem Campus in einem von Bäumen beschatteten, alten Backsteingebäude am Abhang eines Hügels. Die Unterrichtsräume, Labore und Büros dort rochen nach Holz, Kreide, Wachs, Graphit, Staub, frischer Luft und Achselschweiß. Äste wiegten sich draußen vor den Fenstern. Mein Vater war ein Experimentalpsychologe; er behandelte keine Patienten, sondern beobachtete das Verhalten von Tieren im Labor. Auf den Tischplatten standen zwischen großen mechanischen Schreibmaschinen kleine Rattenlabyrinthe aus Hart­gummi. Da waren Glasvitrinen an den Wänden und vor den Kreidetafeln Stühle mit Schreibplatten. Diese schlichten, alten Universitätsgebäude oder auch das Haus, in dem die örtliche Blindenschule untergebracht war, wo mein Vater über die Brailleschrift forschte, haben für mich immer noch etwas Heimisches wie ein bescheidenes Paradies, so wenig ich auch je Schulunterricht ausstehen konnte.

      Im Stadtzentrum stand ein Gerichtsgebäude im klassischen romanischen Stil, davor eine Reiterstatue des Konföderiertengenerals John Hunt Morgan. Einige Blocks weiter an der Main Street war die Bahnhofshaltestelle, und auf demselben Abschnitt gab es zwei gemütliche Kinos mit Plüschstühlen und pickligen Platzanweisern, das »Kentucky« und das »Strand«, die immer zwei neue Spiel- oder Zeichentrickfilme zeigten, Samstag vormittags sogar nur ein reines Zeichentrickfilmprogramm. Nahe der Bushaltestelle gab es einen Woolworth-Laden und eine Bäckerei, die glasierte Doughnuts verkaufte, warm aus dem Ofen.

      Die mit Kalksteinsäulen verzierte Öffentliche Bibliothek befand sich mitten in einem dicht bewaldeten Park, einige Straßenblocks hinter dem Gerichtsgebäude, gegenüber dem Transylvania College (»das erste College westlich der Allegheny Mountains«). Im Inneren der Bibliothek war alles aus Marmor, und das Sonnenlicht von den Fenstern im zweiten Stock erhellte den zentralen Informationsschalter im Erdgeschoss; Geflüster, schlurfende Schritte und Regalreihen mit muffig riechenden, grün oder orange gebundenen Büchern zum kostenlosen Mitnehmen.

      Am Stadtrand gab es Autokinos und einen Vergnügungspark. Unsere Familie nahm zu den Kinofahrten Ein­kaufstüten voll mit selbstgemachtem Popcorn mit, und auf dem Nachhauseweg lagen meine Schwester und ich, Kopf an Fuß, schlafend auf dem Rücksitz. Dann und wann besuchten wir Joyland, wo es eine Holzachterbahn, ein Karussell, eine Geisterbahn und eine Schiffsschaukel gab, außerdem Spielstände und Zuckerwatte und Hotdog-Buden zwischen riesigen Bäumen mit Picknicktischen, die von Staren belagert wurden.

      In den Vororten waren die Häuser unverschlossen. Es gab kein »Airconditioning«, aber Ventilatoren. Ein großes Lagerhaus in einer