„Hoffentlich hat sie keinen Hund. Hoffentlich hat sie keinen verdammten Hund ...“, denkt er, denn Frauen mit Hund machen ihm Angst. Ihre Kollegin fragt Ben, was er trinken wolle. Er reagiert wie in Zeitlupe, da diese Frage ihn ganz unerwartet aus seinen Gedanken reißt und bestellt dann ein Kölsch. Schlagartig bekommt er Schmacht auf eine Zigarette. Er beschließt, seine guten Vorsätze auf morgen zu verschieben und schaut sich nach potentiellen Schnorr-Opfern um. Nach eingehender Analyse seiner Umgebung, wendet er sich vertrauensvoll an eine Frau zu seiner Linken, die in ihrer weißen Bluse mit hochgeschlagenem Kragen und Perlenkette schwer nach Event-Managerin und (trotzdem) irgendwie am spendabelsten aussieht. Tatsächlich hat sie eine Benson & Hedges für ihn übrig. Frauen anzuschnorren klappt meistens besser. Typen sagen gerne mal als Antwort auf seinen Standardspruch „Hey, könnte ich mir von dir mal eine Kippe leihen?“ „Am Arsch!“ oder: „Isch gib dir gleisch eine leihen.“ Frauen reagieren fast immer bereitwillig mit dem Entgegenhalten ihres Päckchens und einem Lächeln. Manchmal sagen sie auch: „Das sind aber leichte.“ Und Ben sagt dann immer: „Ist nicht schlimm.“
„Brauchst du auch Feuer?“
„Ich bitte darum.“ Eine leicht antiquierte Floskel, die Ben an seinen Vater denken läßt. Wenn die angeschnorrte Frau einen Typen dabeihat, sagt dieser gerne auch mal Sachen wie „Aber rauchen kannste alleine?!“ Schnorren ist schon ein bißchen asozial. Paffend sitzt er am Tisch, behält die braunen Locken im Auge und überlegt sich, wie er sie wohl am besten ansprechen könne. Ein eigener Text seiner Band kommt ihm in den Sinn: Gar nicht lange labern, keine Scheiße erzählen, keine dummen Sprüche, du mußt dich selbst nicht quälen, denn Hallo ist ganz einfach, und jeder versteht es, glaube mir, so einfach geht es: Hallo, Hallo, sage einfach Hallo ... OK, so ging der Text, aber hatte er es jemals im wirklichen Leben probiert? Ehrlich gesagt, nein.
Ben atmet tief durch und wartet darauf, daß sie wieder an seinem Tisch vorbeischwebt. Plötzlich bemerkt er, daß sein Glas immer noch voll vor ihm steht. Na, da kann ich ja lange warten, denkt er und trinkt es auf ex. Beim Absetzen kommt automatisch die Bedienung an seinen Tisch. Leider wieder die falsche. Die Tische scheinen aufgeteilt zu sein, und an seinem wird das heute nichts. Er muß sie zwischendurch auf dem Weg zur Toilette abfangen. Die Stringenz seiner Gedanken überrascht ihn selbst, komisch, soviel Entschlußkraft in Sachen Erstkontakt hatte er bislang nicht. Irgendwie hat seine fatalistische Grundstimmung auch etwas Gutes; er hat einfach nichts mehr zu verlieren. Also, ran an die Buletten. Er steht auf und geht Richtung WC. Perfekt getimed, wie sich herausstellt: Gerade als er um die Ecke biegt, kommt ihm sein brünetter Traum entgegen. Er schaut ihr direkt in die Augen und sagt: „Hallo.“
Sie schaut zurück, lächelt und antwortet: „Hallo.“
Damit hat er nicht gerechnet. Er dachte, sie sagt etwas wie: „Bitte?“ oder „Kennen wir uns?“ In diesem Fall hätte er versucht, möglichst spontan wirkend zu entgegnen: „Nein, aber ich würde das gerne ändern ...“ Aber einfach nur „Hallo“ hat Ben so überrascht, daß er wortlos weitergeht und im Klo verschwindet.
Was war das denn jetzt? Scheiße. Du hast es versaut. Du bist einfach nicht spontan genug. Sie hat dich angelächelt.
Sie macht das bei jedem.
Sie meinte, dich zu kennen.
Sie tut einfach nur so, damit du dich als Gast ernstgenommen fühlst.
Sie kennt dich wirklich vom Sehen.
War ich schon so oft hier?
Sie kennt dich von woanders her.
Aber woher, verdammt?
Bens interner Dialog schraubt sich in ungeahnte Höhen wie ein dialektischer Disput von Platon oder gar ein Gespräch zwischen Jack Lemon und Walter Matthau in Männerwirtschaft. Vor Aufregung kann er kaum pissen. Er steht am Pissoir, und seine Gedanken rasen. Mit den Augen fährt er die Kacheln entlang nach oben und sieht einen Aufkleber der SERVOKINGS, den die Putzfrau nach Jahren immer noch nicht abgerubbelt bekommen hat. Das läßt ihn lächeln und endlich pissen. Gute Qualität, denkt er, geht sich die Hände waschen und dann direkt zur Theke, um zu zahlen. Beim Rausgehen ist er sich sicher: Ich werde, ich muß diese Frau kennenlernen. Das war gar nicht so schlecht für den Anfang, aber ich muß meine Strategie ändern. Das Lied Hallo mag er immer noch.
Hallo, mein Name ist Ben, ich habe dich letzte Woche schon mit meinen Augen verschlungen, finde dich sehr attraktiv und möchte dich gerne kennenlernen wäre auch ein selten dämlicher Liedtitel.
Ben will ins Bett, am besten schnell. Er läuft zum Zülpicher Platz und entnimmt dem Fahrplan, daß er die letzte U-Bahn, die ihn in absehbarer Zeit auf die andere Rheinseite bringen könnte, dummerweise gerade verpaßt hat und das um kurz nach zwölf.
Für eine Großstadt hat Köln ein verdammt lausiges U-Bahn-Netz. Daß Köln überhaupt eine Großstadt ist, bezweifelt Ben bisweilen. Und auf knapp eine Million Einwohner kommt sie auch nur, weil sie irgendwann mal alles eingemeindet hat, was bei drei nicht auf den Bäumen war. Großstadt hin oder her, es hilft nichts; Ben steigt in ein Taxi. Um einem etwaigen Smalltalk zu entgehen, nimmt er auf der Rückbank Platz und nennt seine Adresse in Deutz. Beim Losfahren wird er der grausamen Musik gewahr, die der Taxifahrer, als wolle er ihn ärgern, auch noch lauter dreht. Dem kompromißlosen WDR 4-Schlagerbrett fühlt sich Ben allerdings momentan nicht gewachsen und fragt freundlich, aber bestimmt: „Könnten Sie die Musik bitte ausstellen?“
Dabei schaut er dem Taxifahrer auf seine, trotz gekonnter Hol-über-Frisur, nur spärlich mit fettigen Haaren bedeckte Kopfhaut.
„Mögen Sie keine Musik?“
Musik schon, aber nicht so eine Grütze, denkt Ben, sagt jedoch: „Bin gerade nicht in der richtigen Stimmung.“
„Aha,