RANDY FINK
AUGUSTE
VIKTORIA
DIE LETZTE DEUTSCHE KAISERIN
Für meine Großeltern
Elfriede – Gisela – Herbert – Horst
INHALT
Quellen- und Literaturverzeichnis
I
EINLEITUNG
Die Namen dreier Kaiserinnen sind verzeichnet in der noch kein halbes Jahrhundert langen Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs. Und bei jedem Namen tritt ein völlig anderes Bild vor unsere Seele. […] Auguste Victoria hat keinen politischen Ehrgeiz gekannt, hat sich nie in den Parteikampf gestellt, hat keinen Mittelpunkt des geistigen Lebens bilden wollen. Es war ihr genug, Gattin und Mutter zu sein und daneben die Last der Krone zu tragen.1
Die letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria handelte aus Liebe. So kann man das Leben der Frau beschreiben, die an der Seite Wilhelms II. das Deutsche Kaiserreich von 1888 bis 1918 regierte. Als die Kaiserin am 11. April 1921 im niederländischen Exil nach langer Krankheit starb, zeichneten zahlreiche Nachrufe das damalige geschlechtertypische Bild der still leidenden, engagierten Frau und Mutter, »deren herzgewinnende[n] Züge uns fast ein Menschenalter hindurch auf unseren Wegen begleitet haben« und deren »Heimgang […] in unzähligen Herzen ein Gefühl der Wehmut und Ergriffenheit« ausgelöst hat.2 Dabei war die Landesmutterpräsenz der Kaiserin kein Mythos der Trauerbewältigung, sondern wurde maßgeblich durch ihr eigenes Handeln geschaffen und tief in der deutschen Bevölkerung verankert.
Das deutsche Volk erinnerte sich an Auguste Viktoria, wie sie Freibier für Soldaten vor dem Neuen Palais in Potsdam ausschenkte, karitative Einrichtungen besuchte oder bei Wanderungen durch Siedlungen mit Anwohnern auf der Dorfstraße plauderte. Eindrucksvoll sind Anekdoten wie diese, als Auguste Viktoria eine Kadettenanstalt besuchte und einer der Schüler vermutlich aus Heimweh weinte. Die Kaiserin legte einen Arm um den Jungen, führte ihn in ein Nebenzimmer und setze ihn sich auf den Schoß, um ihn zu trösten.3 Das Image der deutschen »Vorbildsmutter« wurde obendrein durch umfangreiche Fotografien und Postkarten verstärkt, die, teils unterschrieben, als eine Art Gunstzeichen vergeben und angefragt wurden, ähnlich wie heute Autogrammkarten von Prominenten. »Majestät brauchen Sonne« galt nicht nur für die Selbstdarstellung des Medienkaisers Wilhelm II., sondern auch für seine Frau, deren tadelloser Leumund sich durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit des Kaiserhauses verstärkte. Zu den Ehrungen gehörten Benennungen medizinischer Einrichtungen mit ihrem Namen ebenso wie ihre Unterschrift in Gästebüchern und gestifteten Bibeln für neu errichtete Gotteshäuser. Wenn auch die Berliner, ihrer christlichen Wohlfahrtsbestrebungen wegen, sie liebevoll neckisch die »Kirchenjuste« nannten, erkannte die Berliner Schnauze, dass durch Auguste Viktoria wichtige Prozesse und die Gründung von Einrichtungen zur medizinischen Versorgung angestoßen wurden. Dazu gehören allen voran die 1905 gegründete Gesellschaft zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und das daraus resultierende Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus, durch deren Wirken die Säuglingssterblichkeit im Kaiserreich fachkundig gesenkt werden konnte.
Trotz zunehmender körperlicher Gebrechen folgte die Kaiserin einem rigorosen Pflichtbewusstsein, das ihr das Volk hoch anrechnete. Ihre Tochter Viktoria Luise erinnerte sich, dass »[w]enn es sich gar nicht anders einrichten ließ, […] sie im langen Schleppkleid und mit großem Diadem [erschien], aber sie erschien.«4 Die Kaiserin war verlässlicher, mitfühlender und stiller Ruhepol in der Hektik der Jahrhundertwende. Dafür wurde sie geachtet und geschätzt. Sie spendete jene zwischenmenschliche Zuneigung, nach der sich das Volk sehnte. Sie war präsent und spendete Trost. Zum 20. Regierungsjubiläum von Auguste Viktoria 1908 schrieb die Berliner Börsenzeitung daher die rezeptionsrelevanten Worte: »Wo immer soziale Schäden, wo immer Leiden und Unglück, Not und Kummer an den Tag treten, finden sie im Gemüt der Kaiserin jederzeit den Widerhall liebevoller Teilnahme und Hülfsbereitschaft.«5
Das ruhige und sanfte Gemüt der Kaiserin war von Bedeutung für die Beziehung zu ihrem Mann, dessen Sprunghaftigkeit und launenhafte Natur so sinnbildartig für die deutsche Gesellschaft waren, und bildete so einen ausgleichenden Faktor. Die Person Wilhelms II., mit ihrem militärischen Gehabe, ihrer präpotenten Selbstüberhebung, aber auch ihrer Anziehungskraft, war der beste Vertreter des Wilhelminismus. Auguste Viktorias Hingabe und Zurückhaltung passten zum obrigkeitstreuen Epochenbild, obwohl die Beziehung des Kaiserpaares zutiefst ungleich war, auch wenn öffentlich das Gegenteil stilisiert wurde. Das egoistische Verhalten Wilhelms II. traf auf die hinnehmende Anhänglichkeit Auguste Viktorias, die zeitweise solch extreme Züge annahm, dass sich der engere Hofkreis um die Gesundheit der Kaiserin sorgte. Als die kranke Kaiserin zum Beispiel bei einem Spaziergang mit kurzem Atem keuchte: