Reform oder Blockade. Andreas Zumach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zumach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783858699121
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Generalversammlung bis heute nicht angenommen worden ist.

       Der Menschenrechtsrat – nach einem Schweizer Konzept

      Zum Dritten machte der Generalsekretär konkrete Vorschläge für strukturelle und institutionelle Reformen des UNO-Systems. Vollständig umgesetzt wurde der Ersatz der ehemaligen UN-Menschenrechtskommission durch einen verkleinerten Menschenrechtsrat. Die frühere Kommission war lediglich ein Unterorgan des Wirtschafts- und Sozialrats der UNO (ECOSOC) gewesen. Die 53 Kommissionsmitglieder wurden durch intransparente Kungelrunden der Regionalgruppen bestimmt. Der neue Rat hingegen ist ein direktes Unterorgan der Generalversammlung, erhielt also einen höheren Status. Die 47 Mitglieder werden in der Generalversammlung mit absoluter Mehrheit für eine Amtszeit von jeweils drei Jahren gewählt. Bei der Kandidatur in der Generalversammlung müssen die Bewerberstaaten ihre Menschenrechtsbilanz darlegen.

       Erfolg der Schweiz

      An dieser Reform hatte die Schweiz mit der 2003 ins Amt gekommenen Außenministerin Michelin Calmy-Rey einen großen Anteil. Im Auftrag der Ministerin erstellte der Berner Völkerrechtsprofessor Walter Kälin das Detailkonzept für den neuen Menschenrechtsrat, das Calmy-Rey dann im Herbst 2004 Generalsekretär Annan vorlegte. Die eidgenössischen UNO-Diplomatinnen und -Diplomaten in New York und Genf leisteten viel Lobbyarbeit, um die Zustimmung der übrigen 192 UNO-Staaten zu dem Konzept zu gewinnen, und dies gegen erheblichen Widerstand insbesondere seitens der USA. Die damals in Washington regierende Bush-Administration wollte statt eines Menschenrechtsrats mit universeller Beteiligung lieber einen engen, überwiegend westlichen Länderklub der Verfechter der Menschenrechte mit ständiger Mitgliedschaft der USA. Die Schweizer Lobbyarbeit war erfolgreich. Bei der Abstimmung in der UNO-Generalversammlung im März 2006 votierten 186 der 193 Mitgliedstaaten für den Reformvorschlag aus Bern. Dagegen stimmten lediglich die USA, Israel und zwei winzige Pazifikinseln. Weißrussland, Iran und Venezuela enthielten sich.

      Dieses Beispiel zeigt, das auch »kleine« UNO-Mitglieder wie die Schweiz bei entsprechendem politischem Willen in der UNO durchaus Positives bewirken können. Bereits in den neunziger Jahren gehörte die Schweiz zu der Gruppe anfänglich nur kleinerer Staaten, darunter Trinidad und Tobago, Jordanien und Österreich, die die erfolgreiche Initiative zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs ergriffen – gegen den Widerstand zunächst noch aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats.

      Zusätzlich zur Schaffung des Menschenrechtsrats wurde die Universal Periodic Review eingeführt, ein öffentliches Verfahren, mit dem seit 2007 alle fünf Jahre die Menschenrechtslage in ausnahmslos sämtlichen 193 UNO-Mitgliedstaaten überprüft wird. Als Grundlage für die Überprüfungen dienen dabei nicht nur Berichte von Regierungen, sondern auch von Nichtregierungsorganisationen und von den Sonderberichterstattern des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte in Genf.

       Sicherheitsrat – eine unauflösbare Quadratur des Kreises

      Kein anderer Aspekt einer Reform der UNO war in den drei Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges so stark und häufig Gegenstand von politischem Interesse, diplomatischem Engagement, medialer Aufmerksamkeit und öffentlicher Diskussion wie die Veränderung des Sicherheitsrats. Fast völliger Konsens herrscht über die Feststellung, die Zusammensetzung des vor 75 Jahren geschaffenen Gremiums, die Zuteilung der Privilegien einer ständigen Mitgliedschaft und des Vetorecht an die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges sowie an China seien »historisch überholt«. Auch in der UNO-Generalversammlung teilen mit Ausnahme der fünf derzeitigen ständigen Vetomächte fast alle Mitgliedstaaten diese Auffassung.

      Anfang 1993 richtete die Generalversammlung eine ständige Verhandlungsgruppe ein, nachdem zuvor 90 Staaten beim damaligen UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali Vorschläge für eine Reform des Sicherheitsrats eingereicht hatten. Sie forderten, der Sicherheitsrat müsse »demokratisiert«, seine Zusammensetzung durch Erweiterung um neue ständige und/oder nichtständige Sitze globalpolitisch gerechter gestaltet werden.

      »Demokratisierung« könnte durchaus auch bedeuten, Privilegien wie den ständigen Sitz und das Vetorecht schrittweise ganz abzuschaffen. Einen entsprechenden Vorschlag legte Italien Mitte der neunziger Jahre vor, verbunden mit einem Modell, nach dem alle UNO-Staaten, egal ob groß oder klein, reich oder arm, mächtig oder ohnmächtig, die gleiche Chance hätten, zeitweise dem Sicherheitsrat anzugehören. Denn in fünfzig Jahren UNO hatten erst lediglich 79 ihrer Mitgliedstaaten überhaupt einmal die Möglichkeit bekommen, dem Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied für zwei Jahre anzugehören, und die meisten von ihnen auch nur einmal. Die Schwergewichte wiederum waren in den fünf Regionalgruppen der Generalversammlung – wie zum Beispiel Japan und Indonesien in Asien, Brasilien in Lateinamerika, Kanada in der westlichen Staatengruppe – schon mehrfach im höchsten UNO-Gremium vertreten. Wenn in den fünf Regionalgruppen die Nominierung der Kandidaten für die nächste Wahlrunde in der Generalversammlung zur Bestimmung der nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats bevorsteht, setzen sich jeweils die größeren, gewichtigeren Länder durch; daran hat sich bis heute wenig geändert. Das italienische Alternativmodell sieht die Bildung von 20 Regionalgruppen der Generalversammlung mit jeweils 19 bis 20 Mitgliedern vor, aus denen die Staaten in alphabetischer Reihenfolge für jeweils zwei Jahre in den Sicherheitsrat einziehen sollen.

      Der italienische Vorschlag einer weitgehenden Demokratisierung und Chancengleichheit für alle UNO-Mitgliedstaaten stieß anfangs auf Sympathien bei einer Mehrheit der Mitglieder in der Generalversammlung. Doch er scheiterte am Widerstand derjenigen Mittelmächte, die sich von einer Reform des Sicherheitsrats in erster Linie eigene Privilegien erhofften. Ab 1993 erhoben zunächst Deutschland und Japan den völlig illusionären Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat mit Vetorecht – ausgerechnet die beiden Verlierer des Zweiten Weltkrieges, für die damals noch die in den Artikeln 53, 77 und 107 der UNO-Charta formulierte »Feindstaatenklausel« galt. Erst im Herbst 1995 erklärte die Generalversammlung die Klausel für »politisch obsolet«, ohne die Charta allerdings zu ändern. Im nächsten Schritt erhofften sich Deutschland und Japan bessere Chancen mit einem Fünferpaket, in dem sie auch Brasilien für Lateinamerika, Indien für Asien und Nigeria für den afrikanischen Kontinent vorschlugen. Der Vorschlag »übersah«, dass aus Lateinamerika auch Argentinien und Mexiko, aus Asien auch Pakistan und Indonesien und aus Afrika auch Ägypten und Südafrika ihr Interesse an einem ständigen Ratssitz angemeldet hatten. Anfang des Jahrtausends verständigte sich die Vierergruppe aus Deutschland, Japan, Indien und Brasilien (G4) dann auf einen Vorschlag, der ständige Sitze ohne Vetorecht für die G4- Staaten sowie für zwei namentlich nicht genannte afrikanische Länder vorsah. Doch dieser Vorschlag hatte ebenso wie weitere Modelle, die bis 2005 von verschiedener Seite vorgeschlagen wurden, nicht einmal die Chance auf die erforderliche Zweidrittelmehrheit von mindestens 128 der 193 UNO-Mitglieder. Ganz abgesehen von der ebenfalls erforderlichen Zustimmung aller fünf ständigen Vetomächte des Rats (Permanent Members, P5).

      Angesichts dieser kontroversen Debattenlage wollte sich Generalsekretär Annan in seinem Reformplan vom März 2005 nicht auf einen einzigen Vorschlag festlegen. Daher unterbreitete er den Mitgliedstaaten zwei Modelle zur Erweiterung des Sicherheitsrats von heute 15 auf 24 Mitglieder. Das erste Modell sieht zusätzlich zu den derzeitigen fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht sechs neue ständige Ratssitze ohne Vetorecht und neun – statt bislang sechs – nichtständige Sitze für jeweils zwei Jahre ohne Möglichkeit zur direkt anschließenden Wiederwahl vor. Nach dem zweiten Modell soll es keine zusätzlichen ständigen Ratssitze geben, sondern acht Sitze mit vierjähriger Amtszeit und der Möglichkeit zur direkt anschließenden Wiederwahl sowie elf Sitze mit zweijähriger Amtszeit ohne direkte Wiederwahloption. In beiden Modellen Annans wären die vier Weltregionen Afrika, Asien-Pazifik, Amerika und Europa mit jeweils sechs Ratssitzen vertreten.

      Doch auch diese beiden Modelle haben keine Chance auf Realisierung. Eine wie auch immer geartete Erweiterung des Sicherheitsrats verringerte die Macht der heutigen P5 relativ, selbst wenn diese ihre bisherigen Privilegien des ständigen Sitzes und des Vetos ohne Einschränkung behielten. Das lehnen nicht nur die drei Großen, USA, China und Russland, strikt ab. Auch Frankreich und Großbritannien zeigen bislang nicht die geringste