»Ich habe gehört, dass eine Autopanne dazu geführt hat, dass Sie in Bergmoosbach sind«, sagte Valentin Brunner. »Was ist mit Ihrem Wagen? Konnte er inzwischen repariert werden?«
»Ja, ich werde ihn morgen aus der Werkstatt abholen.«
Morgen schon, wie schade!, dachte Elli.
Die anderen Gäste hatten den gleichen Gedanken und äußerten ihn mehr oder minder deutlich enttäuscht.
»Wollen Sie Ihren Aufenthalt nicht verlängern?«
»Ja, bitte bleiben Sie doch noch!«
»Vielleicht könnten Sie noch eine Lesung aus einem Ihrer anderen Bücher veranstalten? ›Narbengeld‹ war ja auch so aufregend!«
Til lächelte bemüht. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Miriam, die vollkommen zufrieden neben Sebastian saß, besann sich auf ihre Pflichten als Gastgeberin. »Wir sollten Herrn Tilsner nicht derart bedrängen«, sagte sie. »Er soll sich doch wohlfühlen in unserer Runde und unsere Wertschätzung genießen.«
»Das tue ich, Frau Holzer, vielen Dank.« Til legte seine Serviette zur Seite und erhob sich. »Es war eine schöne Einladung, aber für mich wird es jetzt Zeit zu gehen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend und bedanke mich für Ihre Gastlichkeit.«
»Aber nein, Herr Tilsner, Sie wollen doch nicht etwa jetzt schon aufbrechen?« Miriam eiste sich von Sebastian los und schwebte um den Tisch herum. Mit einem sexy Augenaufschlag legte sie ihm die sorgfältig manikürte Hand auf den Arm. »Sie werden mir doch keinen Korb geben?«
Til gelang ein schiefes Lächeln. »Ungern, Frau Holzer, aber leider muss ich jetzt gehen.«
Elli war ebenfalls aufgestanden. »Ich begleite dich.«
»Sie duzen sich! Das ist mir bereits vorhin aufgefallen!«, raunte Renata ihrer Freundin zu.
Til schaute Elli an. »Das ist nett, aber ich erwarte nicht von dir, dass du meinetwegen früher gehst.«
Elisabeth schüttelte nur den Kopf und griff nach ihrem üppigen Schultertuch. »Ich begleite dich!«, wiederholte sie bestimmt.
Sie verabschiedeten sich von ihren Gastgebern und traten in die kühle Nachtluft hinaus. Til atmete sie in tiefen, regelmäßigen Zügen ein, und Elli konnte erkennen, dass er sich ein wenig entspannte. Die junge Frau schob ihre Hand unter seinen Arm und wollte die Richtung zum Sternwolkensee einschlagen, wo Tils Hotel lag, aber der Mann trat einen Schritt von ihr zurück.
»Elli, ich möchte allein gehen, ich brauche jetzt einfach Ruhe und Zeit für mich. Es ist sehr lieb von dir, und ich sehe, dass du dir Sorgen machst. Ich bin nur müde und will mich so schnell wie möglich hinlegen. Ich melde mich morgen bei dir, einverstanden?«
Die junge Frau zögerte. Sie sah, dass es ihm nicht gutging, und hätte ihn gern sicher zum Hotel begleitet, aber schließlich war er erwachsen und wusste, was er tat. Also nickte sie. »In Ordnung, ruf mich an.«
»Du bist die Beste, Elli«, sagte Til leise. Ganz kurz legte er seine Hand an ihre Wange, dann drehte er sich um und ging langsam davon.
Elisabeth runzelte die Stirn und ging tief in Gedanken versunken nach Hause. Seine Hand hatte sich zu warm angefühlt und sein Gang seltsam unsicher gewirkt, obwohl er den ganzen Abend keinen Alkohol getrunken hatte. Sie hoffte, dass er bald anrufen und mit ihr reden würde. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Til Tilsner Hilfe brauchte.
Dieser Gedanke beschäftigte auch die Seefelds, als Vater und Sohn später nach Hause gingen. Es hatte Sebastian einige Mühe gekostet, sich von Miriam zu distanzieren, ohne unhöflich zu werden. Die junge Frau hatte zum Essen mehrere Gläser Wein getrunken und auch beim edlen Marillenbrand nicht nein gesagt. In ihr Verliebtsein hatte sich eine Ausgelassenheit eingeschlichen, die Sebastian kopfschüttelnd das Weite suchen ließ.
Als sie sah, dass die Seefelds gemeinsam mit den anderen Gästen gehen wollten, schmollte sie. »Warum brechen denn nur immer alle gleichzeitig auf!«
»Wenn’s am schönsten ist, soll man halt geh«, antwortete Sebastian und entging geschickt einer Umarmung. »Servus, Miriam.«
»Hast du Lust, dass wir Nolan zu einer nächtlichen Runde holen, und wir lassen den Abend noch ein wenig sacken?«, fragte er seinen Vater auf dem Heimweg.
»Gute Idee, mein Sohn. Die Nachtluft ist so schön frisch, nach den Stunden im geschlossenen Raum kann ich die gut gebrauchen«, antwortete Benedikt.
Auch Nolan war von der Möglichkeit, zu so später Stunde noch eine Runde rennen zu können, begeistert. Er war inzwischen so groß und gut erzogen, dass sie ihn ohne Leine laufen lassen konnten, und sie freuten sich an seinen Kapriolen.
»Das war in jeder Beziehung ein interessanter Abend«, nahm Benedikt ihr Gespräch wieder auf.
»In jeder!«, antwortete Sebastian vieldeutig.
Sein Vater lachte leise. Die beiden Männer gingen über den stillen Marktplatz, und unwillkürlich wanderte Sebastians Blick zu den Fenstern von Annas Wohnung über der Apotheke. Alles dunkel, die junge Hebamme lag wohl schon längst im Bett. Schlaf gut, Anna, dachte Sebastian.
Der ältere Landdoktor schaute seinen Sohn von der Seite an. »Was hältst du eigentlich von diesem Til Tilsner? Er hat sich ja schon merkwürdig verhalten heute Abend.«
»Das ist mir auch aufgefallen; er schien sprunghaft, unkonzentriert und reizbar. Außerdem hatte er eine ungesunde Gesichtsfarbe«, antwortete sein Sohn. »Er hat keinen Tropfen Alkohol getrunken. In der Suppe war Weißwein, und in der köstlichen Sauce zum Wild habe ich Portwein geschmeckt. Tilsner hat nichts von diesen Gerichten angerührt. Glaubst du, er hat ein Alkoholproblem?«
»Schwer zu sagen, aber ich glaube, eher nicht«, antwortete Benedikt.
»Frau Faber war sein unberechenbares Verhalten auch schon aufgefallen, und sie hat mich nach meiner Einschätzung gefragt.« Sebastian seufzte. »Wenn sich darauf nur so einfach eine Antwort finden ließe!«
»Nun, die erste Voraussetzung ist, dass er überhaupt einen Arzt aufsucht und sich untersuchen lässt. Da er voraussichtlich morgen oder übermorgen abreisen wird, glaube ich nicht, dass wir ihn in unserer Praxis sehen werden.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Sebastian rief Nolan bei Fuß, und die beiden Männer gingen zurück zum Doktorhaus.
Benedikt wünschte seinem Sohn gute Nacht und ging in sein Zimmer hinauf. Der junge Landdoktor schlenderte hinüber zum Bibliothekszimmer, wo die gesammelte Fachliteratur der Seefelds aufgereiht stand. In Gedanken versunken glitten seine Finger über die Bücherreihen, zogen das eine oder andere medizinische Werk aus dem Regal. Schließlich hatte er gefunden, wonach er halb unbewusst gesucht hatte. Sebastian kochte sich einen großen Becher Kaffee, zog sich in einen der alten Ledersessel zurück und begann zu lesen.
*
Anstatt sie anzurufen, kam Til am nächsten Tag gegen Abend bei Elli im Geschäft vorbei. »Ich habe meinen Wagen abgeholt und werde wohl bald abreisen. Es ist schöner, direkt mit dir zu reden, als nur zu telefonieren«, sagte er.
Elli schaute auf die Uhr. »Ich mache gleich Feierabend. Willst du dich in meinen Stadtgarten setzen? Ich komme dann auch gleich raus zu dir.«
»Sehr gern!«
Til machte es sich auf der Bank gemütlich, während Elli letzte Kundschaft bediente und ihren Laden schloss. Sehr schnell waren Dante und sie draußen bei ihm und setzten sich neben ihn.
Der Mann streckte seine Finger aus und kraulte vorsichtig Dantes Köpfchen. »Du und dein schnurrender Pelzkragen …«, sagte er weich.
»Til, geht es dir besser? Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht.«
»Ja,