Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und sehe meinen Freund an, als wäre ihm ein Geweih gewachsen.
„Was denn?“, fragt er mich leicht ärgerlich. „Dass ich mich mit jemandem regelmäßig treffe, ist doch nicht außerhalb der Realität.“
„Doch, wenn du dich so vehement gegen Monogamie und Beziehungen wehrst.“
„Was soll ich sagen?“ Er isst ein Stück Enchilada, kaut und schluckt. „Sie ist anders.“
„Wie heißt sie?“ Ich kann das Misstrauen nicht aus meiner Stimme verbannen, denn ich glaube immer noch, dass er mich nur veräppelt.
„Jaime“, antwortet er mit verzücktem Gesicht.
Heilige Scheiße, er ist total verschossen.
An dieser Stelle würde ihn jeder gute Freund damit aufziehen, aber ich möchte ihn nicht verschrecken. Ich will mehr darüber wissen. „Erzähl mir von ihr.“
Er grinst albern und schiebt sich noch einen Bissen in den Mund. Mit einem Schluck Bier spült er ihn hinunter. „Sie ist toll. Du würdest sie mögen. Sie ist total geerdet und gar nicht anspruchsvoll. Auch wenn sie jedes Recht dazu hätte, denn sie ist einfach großartig.“
Ich lausche Cage, wie er poetisch über die Frau dahinschmilzt. Während wir essen und Bier trinken, höre ich alles über Jaime, die auf jeden Fall mehr von Cage ergattert hat als nur seine Aufmerksamkeit. Ich frage mich, ob er ernsthaft verliebt ist. Hoffentlich. Ich erinnere mich an das Gefühl für Jimmy. Cages verträumten Ausdruck zu sehen und den Respekt, den er für Jaime hat, lässt mich wieder an das Wunder der Liebe glauben.
„Sie klingt echt toll“, sage ich, als ihm langsam das Lob über sie ausgeht.
„Das ist sie“, sagt er niedergeschlagen. „Aber es gibt ein Problem.“
„Was denn?“
„Als wir uns das erste Mal getroffen haben, habe ich ihr erzählt, dass ich ein Gebrauchtwagenverkäufer bin. Und jetzt denkt sie, das wäre mein Beruf.“
Ungläubig öffne ich den Mund. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Warum zum Geier hast du das gemacht?“
Cage zuckt mit den Schultern und sein Gesicht wird rosa. „Weil … weil ich immer die Erwartungen der Frauen niedrig halten will, verstehst du? Wenn ich eine Frau treffe, dann erfinde ich immer irgendeinen Beruf. Meistens einen völlig uninteressanten, langweiligen, sodass sie sich nicht zu sehr für mich begeistert. Dann kann ich später leichter wieder gehen, ohne dass sie der geilen Vorstellung des großen bösen Sicherheitsexperten nachtrauert.“
Ich starre ihn an. „Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.“
„Hey!“ Er tut beleidigt. „Das hat immer super funktioniert. Außer jetzt. Ich mag Jaime wirklich. Ich will sie weiter treffen, aber ich habe Angst, dass sie mich abserviert, wenn sie erfährt, dass ich sie die ganze Zeit belogen habe.“
„Aber du musst ihr die Wahrheit sagen.“ Ich deute mit dem Finger auf ihn. „Wenn sie dich wirklich auch mag, dann wird sie dir verzeihen.“
„Ich weiß nicht so recht“, antwortet er skeptisch. „Außerdem wird das Ganze eh nicht lange halten, oder? Ich bleibe ja nie dauerhaft.“
„Außer, dass du mir die ganze Zeit vorgeschwärmt hast, wie sehr du sie magst“, gebe ich zu bedenken.
„Fuck“, murmelt er und steht auf. „Ich brauche noch ein Bier. Vielleicht kannst du mich dann überzeugen, das Richtige zu tun.“
Kapitel 5
Malik
Nachdem ich aus meinem Apartment gegangen bin, schließe ich es ab und stecke den Schlüssel ein. In der Gemeinschaftsküche treffe ich niemanden, aber es riecht nach frischem Kaffee. Doch den ignoriere ich, denn nach der Morgendusche hatte ich bereits meine eigene Tasse für den Tag.
Soweit ich weiß, wohnen hier zurzeit sonst nur noch Cage und Merritt, die ich beide noch nicht gesehen habe, seit ich wieder da bin. Ich war die meiste Zeit in meinem Apartment, weil ich nichts Besseres zu tun hatte.
Die Jameson-Apartments liegen im vierten und obersten Stock eines renovierten Lagerhauses im Hill District von Pittsburgh. Von außen ist das Gebäude heruntergekommen und voller Graffiti. Von innen ist es eine ganz andere Nummer.
Neben den Apartments, der Küche und dem Unterhaltungsbereich gibt es im vierten Stock auch ein erstklassiges Fitnessstudio und einen Dachgarten.
Man kann das Haus auf zwei Wegen verlassen. Mit dem originalen Lastenaufzug mit der schmiedeeisernen Tür, der eine halbe Ewigkeit nach unten rumpelt, oder über die schwebende Treppe. Sie ist aus aufgearbeitetem Holz, hat ein Eisengeländer und hängt an Stahlseilen, sodass sie wie frei schwebend aussieht.
Ich nehme die Treppe, gehe in den zweiten Stock, wo sich alle Büros und administrativen Leute befinden. Auch hier hat Kynan bei der Ausstattung nicht gespart. Die Wände bestehen aus den Original-Backsteinen wie von außen, sind jedoch sandgestrahlt worden, bis sie ihre ursprüngliche Schönheit wiederhatten. Auf dem Boden liegt Parkett mit Teppichen in einzelnen Bereichen, und an der Decke verlaufen die eisernen Träger und geben dem Ganzen den Industrie-Look. An einem Ende des zweiten Stocks gibt es lederne Sessel mit Alutischen, wo Mitarbeiter arbeiten oder spontane Meetings abgehalten werden können.
Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich Büros hinter Glasscheiben und davor stylishe Schreibtische aus Stahl und Holz. Das Großraumbüro wird nicht durch Stellwände unterteilt, was zu einer gemeinschaftlicheren Atmosphäre beiträgt.
Ich trete von der Treppe und biege scharf rechts ab Richtung eines Büros hinter einer Glasscheibe, auf deren Türschild steht: Dr. Corinne Ellery.
Sie ist eine nette Frau und auf jeden Fall eine Augenweide. Ich schätze, dass sie in den Dreißigern ist. Sie hat dichtes braunes Haar und trägt es meist als Knoten am Hinterkopf. Sie hat eine Brille, die sie klug aussehen lässt, aber da sie einen Doktortitel hat, wird sie es wahrscheinlich wirklich sein.
Gestern habe ich mich mit ihr und Kynan beim Debriefing getroffen. Dieses fand im großen Konferenzraum im zweiten Stock statt, das Kynan mit digitalen Karten auf einem großen Bildschirm unterstützt hat, damit wir die Mission nachvollziehen konnten.
Ich hielt keine Details zurück, nicht mal die schmerzlichen an den Stellen, wo ich glaube, versagt zu haben. Da Kynan noch andere Quellen hat, bin ich sicher, dass ich ihm nichts Neues sagen konnte über die Falle, in die wir geraten waren, und wie wir mit all dem umgegangen sind.
Jameson war zusammen mit einem internationalen Rettungsteam beauftragt worden, in Syrien Helfer aus der Geiselnahme zu befreien. Ein normaler Bürger wäre überrascht, wie oft Regierungen – auch die unsrige – private Sicherheitsfirmen anheuern, um bei Einsätzen zu helfen. Jameson ging mit einem Fünferteam rein. Jimmy Tate, Sal Mezzina, Merritt Gables, Tank Richardson und ich. Wir haben mit den Special-Forces-Teams in England und Australien gearbeitet, denn die Geiseln kamen aus diesen Ländern. Auch wenn keine Amerikaner dabei waren, spielte es keine Rolle, ob Jameson den Auftrag annehmen würde. Wenn die Bezahlung gut ist und die Risiken überschaubar sind, helfen wir Menschen auf der ganzen Welt.
Das Debriefing hat eine Stunde gedauert. Dr. Ellery hörte schweigend zu, während Kynan den Bericht durchging und mich mit Fragen bombardierte. Ich musste ihm ein paar Sachverhalte anhand der syrischen Karten erklären. Er führte mich durch jeden Schritt vom Basiscamp bis zur Entführung.
Natürlich fiel es mir nicht leicht, über den Moment zu reden, als Jimmy und Sal getroffen wurden, doch sicher war es auch für Kynan schwer, das Ganze noch einmal hören zu müssen.
Danach