Cage blickt Avery an, die in seinen Arm geschmiegt ist. Mit ihren großen blauen Augen sieht sie ihn an. Er grinst. „Deine Mom erfindet Sachen, oder? Ich wette, deine Kacka riecht nach Lollipops und Regenbögen, nicht wahr?“
Ich verdrehe die Augen und reiche ihm ein Bier. „Oh mein Gott. Erzähle ihr nicht so einen Mist.“
„Weil sie mich auch so gut versteht“, antwortet er scherzhaft.
„Nein, aber du wirst dir angewöhnen, ihr Blödsinn zu erzählen, und ich muss dann ein Vermögen für eine Therapie ausgeben, um den ganzen Scheiß aus ihr rauszubekommen.“
Cage schnaubt und geht an den Küchentisch, an den nur zwei Personen passen. Dieses kleine Apartment ist nichts Besonderes, aber momentan alles, was ich brauche. Es hat nur ein Schlafzimmer, das ich zu Averys Kinderzimmer erkoren habe. Ich schlafe auf der ausziehbaren Couch im Wohnzimmer. Mom versteht nicht, warum ich unbedingt mein eigenes Apartment brauche, doch ich konnte einfach nicht wieder nach Hause ziehen. Das erschien mir als ein großer Rückschritt auf meinem Weg in die Eigenständigkeit. Aber ich konnte nicht mehr in dem Haus bleiben, das ich mit Jimmy gemietet hatte, als wir hergezogen sind und er den Job bei Jameson angenommen hat. Das Leben, das ich mit ihm geführt habe, war einfach anders als mein jetziges, und alles in dem kleinen Haus erinnerte mich qualvoll daran, dass ich diesen Traum nun nie mehr leben werde.
Cage stellt sein Bier auf den Tisch und ignoriert es, weil er von Avery total eingenommen ist. Ich lehne mich an die Arbeitsplatte und betrachte die beiden einen seligen Moment lang. Ich liebe es, wenn sich jemand mit meiner Tochter beschäftigt. Dann fühle ich mich normaler, denn das tue ich ebenfalls ständig. Aber ehrlich, sie ist einfach das niedlichste Baby überhaupt.
Ich zucke zusammen, als die Uhr am Ofen piepst, stelle mein Bier ab und sehe nach den Enchiladas. Der Käse ist leicht gebräunt und blubbert, was genau richtig ist. Ich nehme sie heraus, stelle sie auf den Herd, drehe die Hitze ab und lasse das Essen etwas ruhen.
Ich greife nach meinem Bier und erwähne nebenbei: „Heute habe ich Malik gesehen.“
Er nimmt den Blick nicht von Avery. „Ja, ich habe gehört, dass er wieder da ist, ihn aber noch nicht gesehen.“
„Er wohnt in einem der Apartments.“
„Sicher hatte er heute sein Debriefing.“ Cage lächelt Avery an. „Aber ich bezweifle, dass Kynan ihn direkt wieder einsetzt. Nicht nach allem, was der Mann durchgemacht hat.“
Ich kenne die Details, weil ich Cage gnadenlos ausgequetscht habe. Über das unzumutbare Loch, in das Malik geworfen worden ist, die frostigen Temperaturen, das Halb-Verhungertsein und die Einsamkeit. Mir dreht sich fast der Magen um, wenn ich daran denke.
„Hast du die Männer getötet, die Malik entführt haben?“ Nach diesem Detail habe ich ihn noch nicht gefragt.
Damit erlange ich Cages Aufmerksamkeit. Er sieht mich an, zögert jedoch nicht mit der Antwort. Er weiß, dass ich mit solchen Informationen umgehen kann. Schließlich habe ich Kynan gebeten, mir auch zu erzählen, wie Jimmy gestorben war, und er sagte mir, so viel er konnte, ohne die Geheimhaltungsstufe zu verletzen.
„Ich habe keine Ahnung, wer ihn entführt hat, aber ja, wir haben die Kerle umgebracht, die ihn bewacht haben. Alle haben wir nicht erwischt, weil sie die Wachen alle paar Tage abgelöst haben.“
„Gut“, antworte ich leise und sehe Avery an, die in Cages Armen liegt. Es fühlt sich ein bisschen wie Rache für Jimmy an, dass zumindest einige, die für seinen Tod verantwortlich sind, nun ebenfalls tot sind. Und auch um Maliks willen, da die Kerle es verdient haben, weil sie ihn so behandelt haben.
„Meinst du, Malik ist okay?“, frage ich.
Er sieht mich eine Weile an, bevor sein Blick wieder auf Avery fällt und er sie sanft hin und her wiegt. „Ich glaube, er ist ein Typ, der damit umgehen kann. Immerhin hat er Special-Forces-Erfahrungen. Er wurde für solche Sachen trainiert. Allerdings müssen wir natürlich alle schwer daran arbeiten, über so etwas wegzukommen.“
Ich senke das Kinn und mein Magen krampft sich zusammen bei dieser Andeutung. „Musstest du auch schon mal über so etwas wegkommen?“
„Ja“, antwortet er, was mir noch mehr im Magen wehtut. Er blickt zwischen Avery und mir hin und her. „Vor fast zwei Jahren war ich mit Bodie auf einer Mission. Ich wurde angeschossen …“
„Was?“, rufe ich dazwischen.
Cage fordert mich mit seinem Blick auf, den Mund zu halten. Er nickt zu Avery, die in seinen Armen döst. Mit leiser Stimme und keinem Zögern, es mir zu erzählen, fährt er fort. „Wir wurden beide geschnappt. Glücklicherweise versorgten unsere Entführer unsere Wunden ziemlich gut. Die Regierung hat schnell ein Team aus CIA- und SEAL-Agenten zusammengestellt und wir wurden nach weniger als vierundzwanzig Stunden gerettet. Das war also nichts im Vergleich zu Maliks Geschichte.“
„Spiel das nicht herunter …“
„Tue ich nicht“, versichert er und sieht mich wieder an. Er steht auf, geht zum Stubenwagen und legt die schlafende Avery hinein. Dann kommt er zu mir und legt seine Hände auf meine Schultern. „Aber für so etwas werden wir trainiert. Wir alle wissen, was passieren kann und welchen Preis wir vielleicht zahlen müssen. Und jeder, den Kynan ins Team nimmt, hat etwas in sich, was ihm hilft, darüber hinwegzukommen. Vielleicht ist es die Akzeptanz, dass das Schicksal ein Arschloch sein kann. Wir können es nicht kontrollieren. Oder vielleicht haben wir etwas, was normale Leute nicht haben. Ich kann es nicht beschreiben. Im Endeffekt aber glaube ich, dass Malik damit fertig werden wird.“
Mir ist nicht bewusst gewesen, wie besorgt ich um Malik bin, bis ich Cages beruhigende Worte höre. Erleichtert atme ich tief aus und frage mich, ob Jimmy auch dieses Etwas in sich hatte. Die wahre Akzeptanz, dass der Tod nun mal kommt, wenn er kommt, oder einfach eine innere Stärke, die man nicht erklären kann.
Daran würde ich gern glauben. Er war so stark und zuversichtlich. Glaubte voll an seinen Beruf. Er war durch und durch ein Beschützer, nicht nur von mir und seinem ungeborenen Kind, sondern des Friedens generell. Er hat nicht eine Sekunde gezögert, diesen Auftrag anzunehmen. Auch wenn er mir versprach, auf sich aufzupassen, musste ihm klar gewesen sein, dass er einer von denen sein könnte, die nicht mehr zurückkommen.
Ich schüttele den Kopf, um mich aus diesen Gedanken zu holen, und lächele Cage zittrig an. „Wie wäre es, wenn wir jetzt essen und uns über etwas Schöneres unterhalten?“
Lachend nimmt er sein Bier und stößt damit an meins. „Darauf stoßen wir an.“
Unter meinen Anweisungen legt Cage die Teller, Servietten und Bestecke auf den Tisch. Nachdem ich die weichen Enchiladas aufgetan habe, setzen wir uns, und die schlafende Avery liegt in ihrem Stubenwagen neben uns.
„Ich habe Neuigkeiten zu berichten“, sagt Cage und gabelt sein Essen auf.
Das Zögern in seiner Stimme zeigt an, dass es ihm schwerfällt.
„Ach ja?“ Ich halte mit meiner Gabel inne und konzentriere mich ganz auf ihn.
Er grinst leicht, was mit seiner Unsicherheit konkurriert. Das macht mich erst recht neugierig.
„Worum geht es?“ Ich zerteile meine Enchilada in zwei Stücke.
„Ich treffe mich mit jemandem.“
Mein köstliches, käsiges Essen ist vergessen und ich sehe ihn an. „Du triffst dich mit jemandem?“, wiederhole ich dümmlich, denn das ist einfach noch nie da gewesen. Es scheint gegen Cages Ethik zu verstoßen. Er ist ein Playboy, ein bekannter bunter Hund. Er hasst die Vorstellung von Monogamie und glaubt, wahre Liebe ist etwas für Spießer.
Leicht verlegen sieht er mich an. „Es ist noch frisch, aber wir sind schon ein paarmal miteinander ausgegangen …“
„Ein paarmal?“, entkommt