Nach dieser kurzen Rückkehr auf die politische Bühne verbrachte Johanna die Wahnsinnige ihre ihr noch verbleibenden fünfunddreißig Lebensjahre in einer Art Dämmerzustand. Von ihrem Personal wurde sie dabei oft mit Geringschätzung behandelt und schikaniert. Manchmal kam es sogar zu Misshandlungen an der hilflosen Frau. Am 12. April 1555, an Karfreitag, wurde die Königin in Tordesillas durch den Tod erlöst. Ihre letzten Worte lauteten: »Der Gekreuzigte Jesus Christus stehe mir bei« 13. Sie wurde neben ihrem über alles geliebten Ehemann Philipp im Dom von Granada beigesetzt. Erst mit ihrem Tod wurde Kaiser Karl V. offiziell alleiniger Herrscher von Kastilien.
Königin Johanna die Wahnsinnige, die den habsburgischen Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht hatte, zeigte sicher bereits in jungen Jahren Ansätze zur Schizophrenie, aber erst der gnadenlose Machtkampf in ihrem engsten Umfeld sorgte dafür, dass ihre Krankheit voll zum Ausbruch kam. Durch die unwürdige und rücksichtslose Behandlung Johannas verschlechterte sich ihr Gemütszustand dramatisch. Zweifellos war sie durch ihre Großmutter mütterlicherseits, Isabella von Portugal, die an einer geistigen Störung mit Wahnanfällen litt, erblich belastet. Im Grunde konnte es ihrem Ehemann, ihrem Vater und ihrem Sohn nur recht sein, dass man sie mit dem Hinweis, dass sie verrückt und damit nicht regierungsfähig sei, aus dem Weg räumen konnte. Aus politischem Ehrgeiz sorgten sie dafür, dass Johanna als ernstlicher geisteskrank erschien als sie wohl war. Dass ihr dies durchaus bewusst war, dafür spricht jene Szene bei einem Besuch Karls V. in Tordesillas, die von einem Chronisten überliefert ist: »Einmal, als dieser das Geschmeide, kostbare Steine und Perlen, aus ihrem Besitz wegen Geldverlegenheit weggenommen und dafür etwas anderes in die Kästchen gelegt hatte, sagte sie ihm, als er zu Besuch gekommen war: ›Ist es nicht genug, daß ich dich regieren lasse? Mußt du auch noch mein Haus leer stehlen?‹« 14
Anmerkungen
1 Zit. nach Johan Brouwer, Johanna die Wahnsinnige. Ein tragisches Leben in bewegter Zeit, München 1978, S. 16.
2 Zit. nach Manuel Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige. 1479-1555. Königin und Gefangene, München 2008, S. 43.
3 Zit. nach Ebd., S. 43f.
4 Zit. nach Ebd., S. 72.
5 Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 33.
6 Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 86.
7 Zit. nach Dorothy Gies McGuigan, Familie Habsburg. 1273-1918, 2. Aufl., Bergisch Gladbach 1989, S. 80.
8 Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 90f.
9 Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 101.
10 Zit. nach Ursula Tamussino, Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz, Wien, Köln 1995, S. 199.
11 Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 156.
12 Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 161.
13 Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 206.
14 Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 193.
Des Ehebruchs verdächtigt
Anna Boleyn
Am Morgen des 19. Mai 1536 schritt Anna Boleyn in der Begleitung von vier Damen vom Towergebäude zur Hinrichtungsstätte auf dem Towerrasen. Unter einem Hermelinmantel trug sie ein loses Gewand aus dunkelgrauem pelzverbrämten Damast sowie einen karmesinroten Unterrock. Eine Kappe aus weißem Leinen bedeckte ihr Haar unter der Haube. Auf das in beschränkter Zahl zugelassene Publikum machte die zweite Gemahlin von König Heinrich VIII. von England einen gefassten und würdevollen Eindruck. Sie sah laut einem Augenzeugen »so frohgemut aus, als ginge sie gar nicht in den Tod« 1. Für diese Hinrichtung hatte der Monarch eigens für vierundzwanzig Pfund einen Henker aus der Region Calais kommen lassen, der einen hervorragenden Ruf für Enthauptungen mit dem Schwert genoss. Offensichtlich lag Heinrich VIII. immerhin daran, dass seine von ihm auf das Schafott geschickte Ehefrau nicht unnötig leiden musste.
Bevor sich Anna Boleyn zur Hinrichtung niederkniete, durfte sie noch eine kurze Abschiedsrede halten: »Ihr Herren, ich unterwerfe mich hier demütig dem Gesetz, da das Gesetz mich verurteilt hat, und was meine Verbrechen angeht, beschuldige ich keinen Menschen. Gott kennt sie; ich empfehle sie Gott und flehe Ihn an, Erbarmen mit meiner Seele zu haben.« Danach rief sie noch Gott an, er solle den König schützen, »den besten, edelsten und mildesten Fürsten, den es gibt« 2. Derartige Loyalitätsbekundungen ausgerechnet für den Mann, der sie wegen angeblichen Ehebruchs und Hochverrats zum Tode verurteilen ließ, muten heutzutage höchst sonderbar an, doch kam derartiges Verhalten im 16. Jahrhundert nicht selten vor, da der Herrscher als »Quelle der Ehre« betrachtet wurde. Nach diesen erschütternden Worten kniete sich Anna Boleyn nieder, ließ sich die Augen verbinden und wurde mit einem Streich geköpft.
Anna Boleyn, die zweite der insgesamt sechs Ehefrauen von König Heinrich VIII. von England, ist in die Geschichte nicht nur als die Mutter der englischen Königin Elisabeth I., einer der machtvollsten Herrscherinnen Europas, eingegangen, sondern spielt auch für die Trennung der Anglikanischen Kirche von Rom eine bedeutende Rolle. Ihr Geburtsdatum ist allerdings ebenso wenig bekannt wie ihr Geburtsort. Entweder wurde sie um 1501