Schachfigur im Poker um die englische Krone
Jane Grey
Die ganze Tragik der als »Neun-Tage-Königin« in die englische Geschichte eingegangenen und nur sechzehn Jahre alt gewordenen Lady Jane Grey spiegelt sich in ihrer berührenden Abschiedsrede am 12. Februar 1554 kurz vor ihrer Hinrichtung auf dem Schafott im Tower von London: »Ihr guten Leute, ich stehe hier, um zu sterben, und nach dem Gesetz bin ich auch dazu verurteilt. Mein Vergehen gegen Ihre Königliche Hoheit, welches nun als Hochverrat erachtet wird, geschah ausschließlich auf Anordnung anderer; aber es war niemals mein eigenes Bestreben, sondern herbeigeführt durch den Rat derjenigen, von denen man ein größeres Verständnis der Angelegenheit hätte erwarten dürfen, als ich es habe, die ich wenig vom Gesetz weiß, und noch weniger von den Ansprüchen auf die Krone. (...) Daher wasche ich heute meine Hände in Unschuld vor Gott und auch vor euch guten Christenmenschen« 1. Das Schicksal der jungen Frau aus der Zeit der englischen Renaissance, die nach ihren eigenen Worten den politischen Intrigen und religiösen Konflikten ihrer Epoche unschuldig zum Opfer fiel, faszinierte den bedeutenden französischen Historienmaler Paul Delaroche so sehr, dass es ihn 1833 zu seinem berühmtesten Monumentalwerk anregte. Das Gemälde »Die Hinrichtung der Lady Jane Grey«, das sich heute in der National Gallery in London befindet, zeigt die in jungfräuliches Weiß gekleidete, mädchenhafte Königin als tragische Märtyrerin wenige Augenblicke vor ihrem Tod durch das Beil. Gestützt auf die geschichtlichen Quellen und bemüht um historische Genauigkeit schildert Delaroche detailliert diese emotionalen Geschehnisse.
Seit sich im Herbst 1552 abzuzeichnen begann, dass sich die Gesundheit des schwächlichen, minderjährigen Königs Eduard VI. von England gravierend verschlechterte und mit seinem Tod zu rechnen war, begann in seiner Umgebung ein erbarmungsloser Kampf um den Thron. Da der jugendliche Monarch kinderlos geblieben war, würde nach den von König Heinrich VIII. getroffenen Thronfolgeregelungen von 1544 die Krone an Eduards Halbschwester, Prinzessin Maria, der einzigen Tochter aus König Heinrichs erster Ehe mit Katharina von Aragón, fallen. Der eigentliche Regent des Königreichs, John Dudley, Herzog von Northumberland, sah darin eine Gefahr für die Zukunft des Protestantismus und vor allem für sich selbst. Um die rechtmäßige Thronerbin, die katholische Maria Tudor, zu verhindern, setzte der protestantische Herzog daher auf Lady Jane Grey zur Wahrung der Interessen des protestantischen Adels und all jener, die sich Sorgen vor ökonomischen Verlusten machen mussten, weil sie im Zuge der Reformation günstig Kirchenbesitz erworben hatten. Zeitweise hatte Northumberland erwogen, Eduards andere Halbschwester, Prinzessin Elisabeth, für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Er hatte jedoch rasch davon Abstand genommen, da ihm die Prinzessin zu gescheit und eigenwillig war. Elisabeth Tudor, die Tochter aus König Heinrichs zweiter Ehe mit Anna Boleyn, war außerdem zu sehr vor Fallstricken auf der Hut. Der Herzog von Northumberland verabredete daher mit der machtversessenen Familie Grey ein eheliches Bündnis zwischen seinem Sohn Guilford Dudley und Lady Jane. Er beabsichtigte auf diese Weise die Erbfolge der Tudors auf sein eigenes Haus zu übertragen. Obwohl sich die junge Lady heftig gegen diese Heirat mit dem nur wenig älteren Guilford wehrte, wurde sie von ihrem Vater rücksichtslos in diese Ehe gedrängt, von der sich ihre Familie Einfluss und Glanz versprach. Am 21. Mai 1553 wurde in Durham House, der Londoner Residenz des Herzogs von Northumberland, prachtvoll Hochzeit gefeiert.
Jane Grey, die unglückselige Schachfigur in diesen politischen Winkelzügen, wurde im Oktober 1537 auf dem väterlichen Landsitz Bradgate in Leicestershire als älteste Tochter von Henry Grey, dem späteren Herzog von Suffolk, und dessen Ehefrau Frances Brandon, einer Nichte König Heinrichs VIII., geboren. Das kleine Mädchen verlebte keine schöne Kindheit, da sie vor allem in ständiger Furcht vor ihrer ehrgeizigen Mutter lebte, deren Ansprüchen sie nie genügen konnte. Von ihren Eltern drangsaliert, wurde für sie Bildung und der Erwerb von Wissen daher zu einer Art Schutzwall, hinter den sie sich vor der unerfreulichen Realität ihrer Umgebung zurückziehen konnte. Neben der griechischen Sprache, die sie fließend beherrschte, verfügte sie auch in Französisch, Italienisch sowie in Latein und Hebräisch über ausgezeichnete Kenntnisse. Ihr Lehrer John Aylmer, der spätere Bischof von London, förderte unter dem Aspekt, dass Lernen Spaß machen muss, um effizient zu sein, verständnisvoll ihre Interessen und ihren Lerneifer. Daneben entwickelte sie sich auch zu einer begeisterten Protestantin. Erfreulichere Zeiten brachen für Jane Grey an, als sie 1547 in den Haushalt von Katharina Parr kam, der Witwe von König Heinrich VIII. von England. Jane Greys für eine Frau in dieser Zeit ungewöhnlich anspruchsvolle Erziehung wurde auch nach ihrer Rückkehr zu ihrer Familie fortgesetzt. Das als Wunderkind geltende Mädchen beeindruckte 1550 den Humanisten und Pädagogen Roger Ascham tief, als er sie bei einem Besuch Plato im griechischen Original lesen sah, »mit soviel Begeisterung, wie wenn es sich um eine lustige Erzählung Boccaccios gehandelt hätte« 2. Zum Erstaunen Aschams trug sicher bei, dass sich die junge Aristokratin lieber dieser Beschäftigung widmete, während ihre Familie der Jagd frönte, jenem im Adel seit jeher besonders geschätzten Vergnügen. Im Alter von fünfzehn Jahren korrespondierte Jane Grey mit dem Schweizer Reformator Heinrich Bullinger in Zürich, einem der führenden Theologen des Protestantismus. Ihre Eltern waren von ihrem großen Lerneifer weniger entzückt und bemängelten, dass ihre Kenntnisse im Sticken zu wünschen übrig ließen, was für eine junge Lady immer noch als wesentlich angemessenere Beschäftigung denn das Lesen von philosophischen Schriften betrachtet wurde.
Die hochgebildete und vor allem ganz protestantisch eingestellte Jane Grey war in bestimmten Kreisen als Gattin für den gleichaltrigen König Eduard VI., der ihr in Intellekt und religiöser Interessenlage glich, im Gespräch gewesen. Unter dem Einfluss seiner Ratgeber entschied sich der todkranke Eduard 1553 auf seinem Sterbelager dafür, Jane Grey zu seiner Nachfolgerin auf dem englischen Thron zu machen. Auf diese Weise wurden die Festlegungen seines Vaters, König Heinrichs VIII., hinsichtlich der Thronfolge umgangen. Heinrich VIII. hatte bestimmt, dass für den Fall, dass sein Sohn und Erbe Eduard keine legitimen Nachkommen hinterlassen sollte, die nächsten Thronanwärterinnen seine beiden Töchter Maria und Elisabeth sein würden. Erst danach sah er seine Großnichte Jane als Erbin vor. Indem Eduard die Nachfolge seiner ältesten Halbschwester Maria, einer überzeugten Katholikin, verhinderte, wollte er die Reformation in England erhalten. Am 21. Juni unterzeichnete er eine diesbezügliche Urkunde, die von sechsundzwanzig Peers beglaubigt wurde.
Als König Eduard VI. im Alter von noch nicht sechzehn Jahren am 6. Juli 1553 starb, übernahm John Dudley als Lordprotektor die Regierungsgeschäfte. Um die Machtübernahme in seinem Sinne regeln zu können, hielt er den Tod des jungen Königs zunächst für zwei Tage geheim. Sein Versuch, die rechtmäßige Thronerbin Maria Tudor zu verhaften, scheiterte allerdings, da diese rechtzeitig von Anhängern gewarnt worden war und zu den katholischen Howards nach Norfolk flüchten konnte.
Am 9. Juli 1553 wurde die von einer Krankheit noch nicht völlig wiederhergestellte Jane Grey nach London ins Stadtpalais ihrer Eltern gebracht. In Gegenwart ihrer Familie, ihres Mannes und der Mitglieder des Kronrates verkündete der Herzog von Northumberland offiziell den Tod König Eduards VI. und informierte die Anwesenden darüber, dass der verstorbene König, um sein Königreich vor den Katholiken zu bewahren, Lady Jane Grey zu seiner Nachfolgerin bestimmt habe. Diese Anordnung des Königs sei von sechsundzwanzig Peers unterschrieben und damit anerkannt worden. Als daraufhin alle Anwesenden niederknieten und der zierlichen jungen Frau als neuer Königin huldigten, fiel die zutiefst erschrockene Jane Grey in eine kurze Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, begann sie erst zu weinen, bevor sie erklärte: »Die Krone gehört rechtmäßig nicht mir und behagt mir daher nicht. Lady Maria ist die legitime Erbin« 3. Ihre Überzeugung wurde von ihrer Familie selbstverständlich nicht geteilt. Vielmehr wurde sie solange von allen Seiten bedrängt, bis sie ihre Bedenken schließlich beiseite schob und die Krone mit der folgenden Stellungnahme akzeptierte: »Wenn mir diese Gabe nach dem Gesetz gehören soll, dann möge mir die Göttliche Majestät den Verstand und die