Über Johannas Verhalten nach Philipps Tod liefern die erhalten gebliebenen Dokumente sehr unterschiedliche, sich oft widersprechende Berichte. Dies deckt sich generell mit der Quellenlage zu Königin Johannas Leben. Die historischen Dokumente erlauben sehr verschiedenartige Interpretationen des Geschehens. Die junge Witwe befand sich in einer schwierigen Position, da ihr zwei feindliche Lager gegenüberstanden. Auf der einen Seite befanden sich die Parteigänger und die niederländischen Gefolgsleute ihres verstorbenen Mannes, auf der anderen versammelten sich die Anhänger ihres Vaters. Das Einzige, was beide Parteien scheinbar einte, war die Überzeugung, dass Johanna mehr oder weniger unzurechnungsfähig sei. Königin Johanna verfügte unglücklicherweise über keine ihr persönlich ergebenen Gefolgsleute oder Berater und war über die politischen Vorgänge nur unzureichend informiert. Dass Gerüchte kursierten, ihr Vater hätte ihren Ehemann vergiften lassen, erschwerte sicherlich für sie die Lage. Statt das entstandene Machtvakuum zu ihren Gunsten zu nutzen, zog sich Johanna, in deren Armen ihr über alles geliebter Mann verstorben war, in ihre tiefe Trauer zurück. Die psychisch labile Johanna war der komplizierten Lage nicht gewachsen. Sie litt erneut unter schweren Depressionen. Als Johanna am 1. November 1506 den Sarg ihres toten Gatten öffnen ließ, was einerseits an Allerheiligen der Tradition des Landes entsprach, andererseits aber der Kontrolle diente, ob nicht etwa burgundische Untertanen versucht hatten, die Leiche in Philipps Heimat zu bringen, wurde dies dahingehend aufgebauscht, dass sie solches mehrmals habe durchführen lassen. Derartige Gerüchte über ihren Geisteszustand, der noch durch die Erzählung untermauert wurde, dass sie des Nachts mit Philipps Sarg ziellos durch Spanien ziehe, brachten Johanna den Beinamen »die Wahnsinnige« ein. Dieses makaber anmutende Schauspiel beflügelte in den kommenden Jahrhunderten immer wieder die Fantasie von Malern, Dichtern und Dramaturgen. Sehr wahrscheinlich steckte ihr Vater König Ferdinand dahinter, der die Regierungsunfähigkeit seiner Tochter so zweifelsfrei »beweisen« wollte. Johanna reiste zwar in Begleitung des Sargs, doch geschah dies gemäß Philipps testamentarischem Willen. Sein Leichnam sollte in Granada in einem dort für ihn zu errichtenden Grabmal beigesetzt werden. Dass meist nur des Nachts gereist wurde, hatte nichts mit Johannas Wahnsinn zu tun, sondern hing mit den kühleren Temperaturen zusammen, die für den Transport der im Prozess der Verwesung befindlichen Leiche günstiger waren. Am 14. Januar 1507 brachte Johanna in Torquemada ihr sechstes und letztes Kind, Katharina, zur Welt.
Im Sommer 1507 kehrte König Ferdinand II. nach Kastilien zurück. Johanna war nicht gut beraten, als sie sich aus Freude über die Begegnung mit ihrem Vater bereit erklärte, ihm die Regierungsgewalt zu übertragen. Aus dieser Zeit mehren sich Berichte über geistesgestörte Verhaltensweisen Johannas. Der Brief des Bischofs von Málaga an König Ferdinand zeichnet ein trostloses Bild: »Ich habe versäumt, Ihnen zu sagen, daß sie seitdem noch kein sauberes Hemd angezogen hat, und ich glaube, daß sie ebensowenig ihr Haar in Ordnung gebracht oder ihr Gesicht gewaschen hat. Man behauptet auch, daß sie stets auf dem Fußboden schläft, wie früher. Man hat mir gesagt, daß sie sehr oft Wasser läßt, so oft, wie man es bei niemand anders bemerkt hat. (...) Ich hoffe, daß Eure Hoheit für alles Vorsorge treffen wird, denn meines Erachtens läuft ihre Gesundheit ernsthaft Gefahr. Es würde nicht richtig sein, ihr die Sorge für ihre Person allein zu überlassen, denn man sieht ja, wie schlecht sie für ihre eigene Gesundheit sorgt. Der Mangel an Reinlichkeit in ihrem Gesicht und, wie man sagt, auch an anderen Stellen ihres Körpers ist sehr groß. Sie ißt mit den Tellern auf dem Fußboden, ohne Tischtuch oder Schüsseln« 9. Auf Anordnung ihres Vaters wurde sie nach Tordesillas gebracht, wo sie seit 1509 in dem dortigen festungsartigen Schloss wie eine Gefangene lebte. Der Palast existiert heute nicht mehr. Er wurde wegen Baufälligkeit Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen. Nur ein Turm des Schlosses blieb bis heute stehen.
Ihre Gefangenschaft wirkte sich auf ihren Zustand eher negativ aus. Jegliches königliche oder höfische Gepränge fehlte. Zu Außenstehenden hatte sie keinerlei Kontakt. Man überließ ihr nichts, womit sie sich in ihren wachen Augenblicken hätte beschäftigen können. Ferdinand II. konnte ungestört die Regentschaft von Kastilien übernehmen. Johanna war auf diese Weise vor dem Zugriff ehrgeiziger kastilischer Edelleute geschützt, die sich ihrer Person hätten bemächtigen können, um Einfluss auf die Regierungsbeschlüsse zu gewinnen. Da Johanna formal weiterhin Königin war, wurden in ihrem Namen sämtliche Entscheidungen getroffen, Gesetze erlassen und Urteile gefällt. Bis 1525 blieb ihr noch die Gesellschaft ihrer jüngsten Tochter Katharina. Als die Prinzessin mit dem portugiesischen König Johann III. verheiratet wurde, verlor sie eine wichtige Stütze und vereinsamte noch mehr. Zu ihren anderen Kindern hatte sie nie viel Kontakt gehabt, so dass diese ihrer Mutter fremd waren. 1517 besuchten sie ihre beiden ältesten Kinder Eleonore und Karl, die zwar über die Armseligkeit, in der ihre Mutter leben musste, erschüttert waren, doch keinerlei ernsthafte Versuche unternahmen, daran etwas zu verändern.
Als Ferdinand II. Anfang 1516 verstarb, wurde seine gefangene Tochter auf Anordnung der Regierungsbehörden darüber nicht informiert. Johannas ältester Sohn Karl wurde nun zwar König von Aragón, aber Kardinal Jiménez de Cisneros und der Kronrat wiesen ihn explizit daraufhin, dass er in Kastilien zwar die Macht ausüben konnte, die Führung des Königstitels aber seiner Mutter vorbehalten blieb: »Der Tod Eures Großvaters verleiht Euch in Kastilien kein Recht; jede Änderung könnte im Land Aufruhr verursachen und die Gefühle jener verletzen, die wohl notgedrungen die Unfähigkeit der Königin, zu regieren, eingestehen, sich jedoch weigern, sie ihrer Rechte zu berauben« 10. Als ihm Anfang 1518 die kastilischen Cortes den Huldigungseid unter der Bedingung leisteten, dass er auf die Herrschaft zu verzichten habe, wenn Johanna wieder vernünftig würde, bedeutete dies die endgültige Verdammung der Königin zum Irresein, denn Karl konnte zu Lebzeiten seiner Mutter nur solange regieren, wie Johanna als geistig umnachtet galt. Karl dachte allerdings nicht daran, auf die Herrschaft jemals zu verzichten.
Die unglückliche Königin ließ sich leicht dazu bewegen, Karls Regierungsanspruch für rechtmäßig zu erklären. Als Karl sein Ziel, nicht nur als Regent, sondern auch als Mitkönig in Kastilien anerkannt zu werden, durchgesetzt hatte, kümmerte er sich nur noch wenig um seine Mutter und änderte kaum etwas an den Zuständen ihres Aufenthalts in Tordesillas. Ihren Wunsch, ausgehen zu dürfen, adeliges Gefolge um sich versammeln zu dürfen und auf dem Laufenden gehalten zu werden, lehnte er ab. Ihm lag sehr daran, dass seine Mutter ihr völlig abgeschiedenes Leben fortsetzte, wie aus seiner Anordnung hervorgeht: »Die Königin darf diese Stadt nur in der Not verlassen und nicht, solange dort, wenn Gott es will, Gesundheit herrscht; und da es keinen Ortswechsel geben darf, und sei er noch so unbedeutend, weil dies unseren Interessen zuwiderliefe, soll sie für die ganze Zeit an diesem Ort verweilen, solange sie nicht in Gefahr ist, und daher empfehle und befehle ich, dass diese Stadt bewacht werde; wenn jedoch die Notwendigkeit besteht und kein Mittel mehr fruchtet, dann sollt Ihr die Königin, meine Herrin, in das Kloster San Pablo de la Moraleja bringen« 11.
Johanna nutzte nicht die Gelegenheit, die sich ihr durch den Aufstand der Comuneros von Kastilien 1520 bot, um ihre eigenen Machtansprüche durchzusetzen und ihre Freiheit zurückzuerhalten. Karl V. hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel auf. Die Stadtgemeinden, die sich gegen ihn erhoben, waren mit der Politik des jungen Kaisers unzufrieden, den sie als Fremdling empfanden. Sie forderten, dass er von Spanien aus regiere. Missfallen hatte außerdem erregt,