Pompeji. Massimo Osanna. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Massimo Osanna
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243932
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Eigenschaften zuschrieb und sie mit den Praktiken der Zauberin Circe in Verbindung brachte. Der pompejanische Kochtopf (olla) muss somit einen besonderen Aufguss enthalten haben, der dann mit den Weinkannen (olpai) in die Trinkschalen verteilt wurde und beim Trankopfer zum Einsatz kam: Die Zutaten dieser Mischung verliehen der Zwiesprache mit den Göttern eine besondere Wertigkeit und dürften die Kommunikation regelrecht beflügelt, ja die Wahrnehmung, wie anzunehmen ist, mehr als berauscht haben.

      Was schließlich den rituellen Akt selbst betrifft, erlaubt es die hohe Konzentration an Rückständen in einigen Gefäßen, weitere Aspekte der Kommunikation mit dem Göttlichen zu rekonstruieren: Die Weinkrüge scheinen noch zum Teil gefüllt niedergelegt worden zu sein; und in einigen Weinschalen belegen die Ablagerungen, dass sie mehrmals wiederverwendet worden sind. Es handelt sich demnach um Tischgefäße der Opfernden, die tatsächlich länger in Gebrauch gewesen waren, bevor sie schließlich dem Gott dargebracht und in seinem Heiligtum niedergelegt wurden. Wenn diese Hypothese zutrifft, dann wäre die erwähnte eingeritzte Inschrift „Ich gehöre Mamarce Tetana“ eine noch explizitere Besitzangabe.

      Es verwundert nicht, dass eine enorme Anzahl von Funden in der Menge an sakralen Objekten (Abb. 37) den Konsum von Wein innerhalb des Heiligtums belegt.24 Wein war ein Luxusgut, egal ob er lokal produziert oder importiert wurde. Er wurde „verschwendet“, indem man ihn dem Genuss durch den Menschen entzog und seinem göttlichen Gegenpart zuführte. Wein wurde zum Element des Kontakts zwischen Mensch und Gottheit und damit zum grundlegenden Bestandteil der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Sphären. Als Getränk war Wein bei häuslichen Banketten weitverbreitet, im Ritus aber erlangte er eine besondere Bedeutung durch Handlungen und Gesten, die die Distanz zum Alltag unterstrichen: Auf die Erde oder in das für das Zeremoniell entfachte Feuer gegossen (die Feuerstellen lassen sich anhand der überall im Heiligtum aufgefundenen Kohlereste rekonstruieren), ermöglichte der Wein die Kommunikation mit den Göttern. Das Trankopfer hat man sich als von Weihrauchschwaden begleitet vorzustellen. Erst beides zusammen machte eine Handlung in der italischen Religiosität zu einem sakralen Geschehen.25 Gleichzeitig vergegenwärtigte das Trankopfer denjenigen, die dem Ritual beiwohnten, dass sie zu der privilegierten Gruppe der an der rituellen Handlung Beteiligten gehörten, die in der Lage waren, edlen Wein in raffinierten Bucchero-Gefäßen „darzubringen“. Die Gefäße wurden der Gottheit ebenso „geopfert“ wie ihr Inhalt, und einige von ihnen konnten dank der eingravierten Zeichen in etruskischer Sprache sogar „sprechen“.26

      Abb. 37 Schon bei der ersten Grabungskampagne im Bereich der äußeren Umfassungsmauer des Heiligtums zeigte sich, dass die Befunde außergewöhnlich waren. Obwohl das Areal schon lange bekannt war, tauchten unter nur wenigen Zentimetern Erde Hunderte von ausgezeichnet erhaltenen Gefäßfragmenten auf: allesamt Zeugen der großen Bedeutung und langen Nutzung des Heiligtums.

      Auch wenn es sich bei den rituell verwendeten Gefäßen vor allem um etruskischen Bucchero handelt, so haben auch andere (Import-)Gefäße Eingang in unser Heiligtum gefunden. Auch Keramikgefäße aus Griechenland, Athen oder Korinth (Abb. 38) hat man offenbar als geeignet erachtet, um dem Gott schöne Gaben, wie etwa parfümierte Salben und Öle, darzubringen: Wohlgerüche passen zur Gottheit.27 Die neuen Ausgrabungen haben aber nicht nur Gefäße, sondern auch viele andere Objekte zutage gefördert, darunter ein Bronzeschild, Schwerter und zahlreiche Speerspitzen (Abb. 39). Wer das Heiligtum besuchte, war offenbar stolz darauf, seinen Status als Krieger innerhalb der sich neu formierenden Stadtgemeinschaft, aber auch seine Zugehörigkeit zu einer Elite zu zeigen.28

      Als weitere Opfergaben sind persönliche Gegenstände wie Körper- und Gewandschmuck, silberne und bronzene Ringe oder orientalische Amulette dokumentiert: allesamt Artefakte, die man besessen und in Schlüsselmomenten des gesellschaftlichen Lebens getragen hatte. Diese Gegenstände haben eine je eigene Biografie, vor und nach der Opferung, die abschnitthaft – bis zur Niederlegung des Objekts – parallel zur Lebensgeschichte ihrer Besitzer verlief.29

      In der Kontaktaufnahme mit der Gottheit war die Gabe eines mehr oder weniger kostbaren Geschenks (je nach Anlass Waffen, exotische Keramik oder persönlicher Schmuck), ähnlich wie in zwischenmenschlichen Beziehungen, mit Bedeutung aufgeladen. Dies liegt auch in der Materialität der Objekte begründet, die ein Überdauern des kommunikativen Akts gewährleistet, während andere Bestandteile des Ritus (wie etwa die Darbringung von Weihrauch oder Speisen) nicht dauerhaft sein konnten und sollten.

      Abb. 38 Aus Griechenland importierte Salbgefäße: links eine Lekythos aus attischen Werkstätten, rechts ein korinthischer Aryballos. (Archiv PAP)

      Die überaus große Anzahl an gefundenen Objekten lässt nicht nur auf die große Bedeutung dieses sakralen Orts außerhalb der Stadtmauern Pompejis schließen, sondern auch auf eine große Anteilnahme der Gläubigen. Der Stifter hinterließ mit dem Akt der Darbringung gewissermaßen einen Teil von sich selbst, wie mit der schönen, figurengeschmückten attischen Vase (Farbtafel 7) oder dem wertvollen etruskischen Silberring mit einer Gemme, in der der griechische Mythos vom heldenhaften Selbstmord des Ajax dargestellt ist (Farbtafel 8). Dieses Prinzip gilt umso mehr, wenn in das dargebrachte Objekt der Stiftername eingraviert ist oder es sich um einen Gegenstand handelt, der zuvor tatsächlich vom Stifter getragen worden war. Die Opfergabe verkörperte den Opfernden nicht nur im Moment der eigentlichen rituellen Handlung, sondern auch danach, solange das gestiftete Objekt für andere Besucher des Heiligtums sichtbar blieb.

      Abb. 39 Unter den Opfergaben im Heiligtum stechen zahlreiche Waffen, darunter eiserne Speerspitzen, hervor. Die Opfergaben zeugen von einer Frequentierung des Heiligtums durch eine Elite von Kriegern, die, auch durch diese Votivgaben, ihre Rolle beim Aufbau des sozialen Gefüges der Stadt unterstreichen wollten. (Archiv PAP)

      Die Darbringung alkoholischer Getränke, von kostbarem Trinkgeschirr oder von Gefäßen für kosmetische Substanzen zeugen also von kollektiven Zeremonien, die von stark wettbewerbsgeprägten Gesellschaften vollzogen wurden, um den erforderlichen Legitimationsansprüchen und der Machtkonsolidierung nachzukommen.30 Aus Töpfen, Krügen, Kantharoi, Bechern und Schalen können wir nicht nur auf individuelle, sondern auch auf kollektive Handlungen schließen, bei denen Wein zum Einsatz kam. Für gewöhnlich folgten diese auf den Moment der Weihung und des Opfers. An der Durchführung dieser Rituale waren hochrangige Personen und Bürger der pompejanischen Gesellschaft beteiligt, deren Identität die speziellen, ja unverwechselbaren Keramikgefäße unterstreichen. Wenn solche Artefakte bei systematischen Ausgrabungen in situ gefunden werden – innerhalb eines unter anderem hinsichtlich des Materials homogenen Kontexts –, dann erlaubt dies mehr als nur Hypothesen über ihren tatsächlichen Gebrauch (und ihren gesellschaftlichen Stellenwert). Die Zeremonien zeugen von den Bedürfnissen einer Gemeinschaft, die sich an einem „speziellen“ Ort der Kontaktaufnahme zwischen Mensch und Gott öffnete, um die Gottheit, gleichzeitig aber auch die eigene Familie, zu verherrlichen.

      Ab dem späten 7. Jahrhundert v. Chr. bildete sich in Pompeji demnach eine differenzierte Gesellschaft heraus. Innerhalb dieser gab es ranghohe Persönlichkeiten, die ihren Status in den Heiligtümern durch Rituale zum Ausdruck brachten, zu denen unter anderem der Einsatz alkoholischer Getränke gehörte. Diese Gruppen spielten während der gesamten archaischen Zeit bei der Organisation des Gemeinschaftslebens eine wichtige Rolle. Die Inszenierung der Rituale sollte den Überlegenheitsanspruch derer, die sie durchführten, sichern: Der Besuch der Heiligtümer, inklusive der kostspieligen Opferhandlungen, und das Bankett mit dem gemeinsamen Trinken von Wein aus raffinierten Bucchero-Gefäßen eröffneten die Möglichkeit, soziale Rollen öffentlich zu demonstrieren und zugleich zu festigen – gerade auch durch ein striktes Zeremoniell (das nicht