Das ist barbarisch, dachte Raye. Über Jahrhunderte hinweg mochte der Kampf gegeneinander ihr Lebensziel gewesen sein; zwischen den einzelnen Sippen war es immer wieder zu Überfällen gekommen, bei denen die Parteien sich untereinander ausgeraubt hatten, und es war sicher mit großer Härte gekämpft worden. Aber die Forrils waren immerhin hochstehende Intelligenzwesen mit einer eigenständigen Kultur und Technologie, die dicht unterhalb der Raumfahrt stand. In ihrer Welt mochten sie solche Kämpfe ausfechten, aber hier, auf einem hochzivilisierten Planeten der Tefroder ... dieses Spektakel war einfach abscheulich und entwürdigend.
Mittlerweile war Blut geflossen. Rostrot sickerte es aus einer Wunde neben dem rechten der beiden kleinen, weit auseinander stehenden Augen Deproks.
Beide Forrils standen wieder, schwankten aber, schienen sich kaum noch auf den vier Beinen halten zu können. Orrak umkreiste seinen Gegner langsam, wagte aber keinen Angriff.
Deprok schwankte stärker, musste sich mit einer Hand abstützen. Der jüngere Forril nutzte die Chance, die sich ihm unvermittelt bot, stürmte vor ... und rannte ins Leere.
Eine Finte! Es war eine Finte gewesen.
Sein Konkurrent hatte sich zur Seite geworfen und rammte Orrak nun den Kopf in den Leib. Offenbar hatte er eine empfindliche Stelle getroffen, denn Orrak quiekte in einer Tonhöhe auf, die Raye für ein so massiges Wesen geradezu lächerlich vorkam, und brach zusammen.
Der ältere Forril stürzte sich auf ihn.
Und so ging es weiter, minutenlang. Dann war die halbe Stunde erreicht, nach der die Ausscheidungskämpfe abgebrochen wurden, doch keiner der beiden wollte aufgeben. Raye wusste nicht, woher sie die Kraft nahmen, doch gerade diese Zähigkeit zeichnete sie wohl aus. Nicht umsonst hatten Deprok und Orrak es ins Finale geschafft.
Und genau das wollten die Zuschauer sehen. Sie verteilten ihre Gunst gleichermaßen auf beide Kämpfer, feuerten immer denjenigen an, der gerade zusammenzubrechen oder einfach liegenzubleiben drohte.
Aber das Ende war abzusehen. Deprok, der ältere, erfahrenere Forril, würde den Sieg davontragen. Er hatte es besser verstanden, mit seinen Kräften hauszuhalten. Wo Orrak ungestüm angriff, wich er mit sparsamen Bewegungen aus. Wenn er zuschlug, dann nur, wenn er sich einigermaßen sicher sein konnte, den Gegner auch zu treffen. Und er kannte wohl doppelt so viele Finten wie sein unerfahrenerer Konkurrent.
Dann war es so weit. Orrak setzte alles auf eine Karte, wusste, dass er kräftemäßig am Ende war. Er blutete aus zahlreichen Wunden, konnte sich kaum noch aufrecht halten. Lauernd torkelte er um den ebenfalls schwankenden Älteren, wartete auf eine Schwäche, eine Lücke in dessen Abwehr.
Und glaubte sie zu finden, als Deprok sich mit beiden Armen abstützte.
So dumm kann er nicht sein, dachte Raye. Er wird doch nicht zweimal auf dieselbe Finte hereinfallen!
Er war so dumm.
Orrak stürmte vor, und Deprok rutschte zur Seite, riss die Arme wieder hoch und rammte sie dem Gegner gegen den Kopf. Die Wucht des Schlages schleuderte Orrak meterweit vorwärts, und er blieb benommen liegen. Zu benommen, um Deprok auszuweichen, der die Chance nutzte und sich mit seinem vollen Gewicht auf ihn warf. Ein Trommelfeuer wuchtiger Schläge trieb dem unterlegenen Forril die letzte Luft aus den Lungen.
Als Orrak sich nicht mehr rührte, geschah etwas, das Raye nicht für möglich gehalten hätte: Der Sieger bückte sich, packte den zentnerschweren Körper des Verlierers und hob ihn in die Luft. Schwankend stand er da, zehn Sekunden lang, fünfzehn, dann erst ließ er Orrak wieder los.
Schwer prallte der jüngere Forril auf den immerhin gepolsterten Boden der Arena, stöhnte einmal leise auf, zuckte schwach und blieb dann reglos liegen.
Auf mich wartet Arbeit, dachte Raye. Viel Arbeit.
Sie war froh, dass der Kampf endlich vorbei war.
Deprok riss die Arme hoch. »Kerhaak! Der Große Waza!«, brüllte er in Kraahmak, der kehligen Sprache der Maahks. »Ich bin der neue Große Waza!«
Er rülpste laut und vernehmlich, dann brach auch er zusammen.
Raye sprang auf und lief zum Kampfplatz.
In diesem Augenblick zerbarst das Kuppeldach der riesigen Halle, und der Albtraum begann.
Kapitel 2
Das Vorrecht der Jugend
LEIF ERIKSSON, Bordzeit 6. März 1312 NGZ
»Du willst ... was?«, sagte Pearl TenWaver.
Die Kommandantin der LEIF ERIKSSON stammte von Epsal, dem zweiten Planeten der Sonne Vono mit einer Schwerkraft von 2,15 Gravos. Als Bewohnerin der Schwerkraftwelt, die im 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung von Menschen besiedelt worden war, besaß Pearl eine so genannte Kompaktkonstitution: Sie war nur knapp eineinhalb Meter groß, aber fast ebenso breit. Das weibliche Geschlecht war bei ihr so gut wie überhaupt nicht zu erkennen.
Schon seit Tausenden von Jahren stellten Epsaler hervorragende Raumfahrer auf den Schiffen der Solaren Flotte, und Pearl TenWaver zählte zu den besten davon.
Rhodan kannte sie gut genug, um zu bemerken, dass sie trotz ihrer äußerlichen Ungerührtheit fassungslos war, und er konnte es ihr kaum verdenken. Wahrscheinlich fragte sie sich jetzt, ob er noch bei Sinnen war.
Diesen Eindruck würde er wohl ganz allgemein erwecken. Niemand, der Kiriaade nicht gehört hatte, würde verstehen, was ihn umtrieb.
»Du willst mit der JOURNEE das Sternenfenster verlassen und ...« Die Epsalerin verstummte und schüttelte den Kopf.
Rhodan schätzte ihre fachlichen Qualitäten. Sie war die beste ihres Jahrgangs an der Raumfahrerakademie von Terrania gewesen.
»Vor wenigen Stunden hat sich ein Wesen namens Kiriaade mit einem eindringlichen Hilferuf an mich gewandt«, wiederholte er. »Ich beabsichtige, diesem Ruf Folge zu leisten. Aufgrund der militärischen Situation am Sternenfenster werde ich allerdings nicht mit der LEIF ERIKSSON fliegen, sondern mit der JOURNEE.«
Pearl dachte wie eine Raumschiffkommandantin. Wie jemand, der seinen Fachbereich absolut unter Kontrolle, aber keine Vision hatte. Rhodan gestand es sich nicht gern ein, aber in diesem Augenblick wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass er anders war.
»Aber du kannst doch nicht ... hier einfach ...« Sie sprach es nicht aus. Verschwinden.
Doch, er konnte es, und er würde es. Er seufzte unmerklich. Ja, seine Erklärung war mehr als dürftig, eigentlich hanebüchen, an den Haaren herbeigezogen. Niemand, der Kiriaade nicht erlebt hatte, würde ihn verstehen.
Aber er hatte sie erlebt. Und er musste handeln. »Ich habe soeben mit dem Generalstab konferiert«, sagte er. »Wir haben dem Reich Tradom eine militärische Niederlage zugefügt und die gegnerische Flotte vernichtend geschlagen. Das Sternenfenster gehört uns ...«
Pearl TenWaver seufzte. Er hatte den Eindruck, dass sie ihn für verwirrt hielt, vielleicht sogar für liebeskrank. Hatte er sich in eine irreale Erscheinung verliebt? Sie nahm ihn in diesem Augenblick nicht ganz ernst, und das schmerzte ihn.
»Aber das wird nicht endlos lange so bleiben. Die gegnerische Flotte ist am Sternenfenster präsent, fliegt ständig Patrouille. Sie wird auf Dauer die militärische Lage am Sternenfenster nicht ignorieren können.«
»Das ist mir klar. Aber unsere Strategen gehen davon aus, dass sie Wochen, wenn nicht sogar Monate, brauchen werden, um sich von diesem Schlag zu erholen. Außerdem muss die JOURNEE unter ernsthaften Bedingungen getestet werden.«
Pearl sah ihn an. Er verstand, dass sie an ihm zweifelte, doch sie