Rhodan lächelte schwach. Es war ausgeschlossen, dass sie bereits in zehn Minuten starteten, obwohl alles in ihm danach drängte. Auch nachdem der Kontakt abgebrochen war, schien die Verbundenheit mit Kiriaade noch immer stärker zu werden, keineswegs schwächer. Er spürte ihre Präsenz deutlicher denn je, obwohl ihre Gestalt verblichen war. Und er wusste, dass der Kontakt nicht abreißen, dass sie ihn führen würde, wohin die Reise auch ging.
Kiriaade ...
Er riss sich zusammen und musterte Coa Sebastian. Mit einem Meter und dreiundsiebzig war sie nicht besonders groß, aber so hager, dass sie fast ausgezehrt wirkte. Die Kommandantin trug ihr pechschwarzes Haar halblang; gemeinsam mit den stets dunkel umrandeten Augen und der scharfrückigen Nase verlieh ihr der Schnitt ein ziemlich strenges Aussehen, das noch durch schmale Lippen und ein spitzes Kinn betont wurde.
»So habe ich das nicht gemeint. Werden deine Leute diesen Flug freiwillig mitmachen?«
»Du kannst dich in jeder Hinsicht auf sie verlassen.«
Rhodan nickte knapp. Das war noch immer keine Antwort, genügte ihm aber.
Er kannte die Frau nur flüchtig, eigentlich gar nicht. Die JOURNEE war erst am gestrigen Tag mit ihrer Besatzung an die LEIF ERIKSSON überstellt worden. Aber Coa Sebastians Leumund war einwandfrei. Sie stand seit 1286 NGZ im Dienst der Liga-Flotte und hatte ihren Job von Grund auf gelernt. Sie hatte am 28. März 1291 NGZ an der Entscheidungsschlacht gegen MATERIA beim Dengejaa Uveso teilgenommen, dem Schwarzen Loch im Galaktischen Zentrum, seit 1300 NGZ das Kommando auf mehreren Leichten Kreuzern der LFT geführt und war am 24. Januar 1304 NGZ beim Kampf um das Solsystem dabei gewesen.
Sie blinzelte. Irgendwie störte er sich daran. Ihre sonstigen Bewegungen waren effektiv, fast sparsam, als würde sie sich auch in dieser Hinsicht keinen Luxus gönnen, sondern rein zweckgebunden agieren. Sie kam Rhodan schon nach wenigen Sekunden fachlich sehr kompetent, menschlich dagegen eher kühl und zurückhaltend vor, wie eine reine Technokratin, die ihr Schiff im Schlaf beherrschte, zu ihrer Besatzung aber Abstand hielt.
Ist das die richtige Kommandantin?, fragte der Resident sich. Für das, was ich vorhabe? Für etwas, was ich vor mir selbst kaum rechtfertigen kann, aber tun muss? Aus welchen Gründen auch immer ...
Vielleicht war sie gerade deshalb genau die Richtige. Rhodan traute sich selbst nicht ganz über den Weg. Er verfügte über eine Lebenserfahrung von knapp drei Jahrtausenden, doch so etwas wie in dieser Nacht war ihm noch nie passiert.
Aber er hatte keine Wahl. Er musste Kiriaade helfen, es gab keine andere Möglichkeit.
Er fragte sich, wie dieser innere Zwang, den er verspürte, entstanden war.
»Gut«, sagte er. »Die Besatzungsmitglieder der JOURNEE sollen sich auf ihre Posten begeben. Wir starten in etwa vier Stunden. Bis dahin werde ich einige Gespräche führen müssen ...«
Hathorjan
Es stank.
Die eigentümliche, durchdringende Mischung aus zahlreichen Einzelgerüchen war allerdings weniger auf die Vielzahl der Spezies zurückzuführen, die sich in der riesigen Arena versammelt hatten, als auf die Ausdünstungen der Kämpfer. Sie wirkten auf Raye Corona unglaublich intensiv. Ihr feiner Geruchssinn kam ihr in diesem Augenblick wie ein Fluch vor.
Die Ärztin glaubte, die Verzweiflung der Unterlegenen genau vom Triumph der Sieger unterscheiden zu können und sogar die Hoffnung, aber auch die Angst der beiden Kontrahenten, die sich für das Finale qualifiziert hatten. Der eine Geruch war bitter wie Galle, der andere süß wie Honig. Überdies rochen die Forrils, zumindest in Rayes Nase, schon von Natur aus sehr streng, und dieser Umstand schien durch die aufgepeitschten Emotionen nur noch verstärkt zu werden.
Es stank nicht nur, es war auch schier unerträglich heiß in der Halle. Die Körperwärme von schätzungsweise 20.000 Wesen staute sich unter dem Kuppeldach. Zahlreiche Ventilatoren, Abzugshauben und Gebläse kämpften vergeblich gegen sie an.
Reine Profitsucht, dachte die junge Tefroderin. Die Arena war nicht für solche Zuschauermassen gebaut. Die Veranstalter des Schaukampfturniers wollten so viele Hathors wie möglich mitnehmen und hatten die Zuschauerkapazität rücksichtslos erhöht, die Sperrsitzreihen für die Tefroder zusammengerückt und die Logen für Extremweltbesucher verkleinert.
Raye Corona fühlte sich einerseits abgestoßen von den Kämpfen, andererseits konnte sie sich der brutalen Faszination, die sie ausstrahlten, nicht entziehen. Sie verabscheute die schiere Gewalttätigkeit, das maskuline – und eigentlich völlig sinnlose – Messen der Kräfte, das Blut, das floss, und die Verletzungen, die es zu behandeln galt.
Gleichzeitig hingegen schienen diese Aktivitäten tatsächlich irgendwelche Duftstoffe auszuschütten, Pheromone, Lockstoffe, die bis in ihr Innerstes griffen und sie auf eine Weise ansprachen, die sie selbst anwiderte. Sie mochte es sich nicht eingestehen, aber irgendwann hatte sie Gefallen an den Kämpfen der Forrils gefunden.
Nein. Keinen Gefallen, eher ...
Sie wusste es nicht. Vielleicht ein animalisches Interesse.
Und sie saß bei diesen Kämpfen zu allem Überfluss in der ersten Reihe.
Was tue ich eigentlich hier?, fragte sich Raye Corona. Ich bin Medizinerin, mit dem Schwerpunkt Implantat-Chirurgie. Ich bin darauf spezialisiert, Tefroder, aber auch Angehörige anderer Völker mit maschinellen, computerisierten Implantaten zu versorgen, und kein Feldscher, den es irgendwie auf ein archaisches Schlachtfeld verschlagen hat, auf dem er mehr Schaden als Nutzen anrichtet.
Sie seufzte leise. Sie wusste genau, was sie hier tat. Mit 21 Jahren war sie eine der jüngsten Medizinerinnen, die im letzten Jahrtausend in Hathorjan zur Praxis zugelassen worden waren. Genkonditionierung hin, Hypnoschulung her – um in so frühen Jahren tatsächlich Lebewesen behandeln zu dürfen, war durchaus einiges an Begabung erforderlich.
Sie durfte zwar schon praktizieren, aber ihre Ausbildung war längst noch nicht abgeschlossen. Oder ihre Fortbildung. Sie musste Erfahrungen gewinnen, aus erster Hand Angehörige fremder Völker kennen lernen und sie auch behandeln, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
Und wann bot sich schon mal die Gelegenheit, einen Forril zu behandeln?
So gut wie gar nicht. Diese seltsamen Wesen hatten ursprünglich als Techno-Sklaven der Maahks auf einer Ausweichstation der Weltraumbahnhöfe der Methanatmer gelebt. Nachdem sie vor fast 2500 Jahren während des Kriegs gegen die Meister der Insel befreit worden waren, waren sie erst einmal dort geblieben. Dann jedoch waren sie in die Fänge gewisser Veranstalter geraten, über deren Moral und Ethik Raye nicht nachdenken wollte. Sie hätte sich nur sinnlos aufgeregt.
Seitdem zogen die Forrils durch Hathorjan und boten auf zahlreichen Welten, zumeist aber im Randgebiet, ihre traditionellen Kämpfe dar. Und vor einigen Jahren waren diese Veranstaltungen so richtig in Mode gekommen.
Die meisten Sippen hatten sich geweigert, ihre Heimat zu verlassen. Sie zogen es vor, weiterhin in den etwa 3000 Raumschiffen zu leben, die auf der riesigen Station gestrandet waren und die sie zu einem obskuren, stadtähnlichen Gebilde verschweißt hatten.
Aber sie hatten einzelne Angehörige ausgeschickt, die in der großen, weiten Galaxis Hathors verdienen und direkt wieder in Technologie investieren sollten, die wiederum die Lebensqualität der zurückgebliebenen Sippenangehörigen verbessern sollte. Und die leichteste Möglichkeit, schnelles Geld zu machen, war das Angebot eines Sportveranstalters gewesen, der die Forrils ihre traditionellen Kämpfe vor Publikum abhalten ließ. Wobei dieser Veranstalter natürlich kräftig mitverdiente.
Der Haken dabei war: Der Kampf der Sippen untereinander war seit Jahrtausenden Lebensinhalt der Forrils. Hier ging es nicht darum, den Zuschauern eine Schau zu bieten, hier ging es hart zur Sache. Deshalb waren bei jeder Veranstaltung auch mehrere Mediker anwesend.
Raye ließ den Blick durch die Wettkampfkuppel schweifen. Auf den fünf Bühnen des erhöhten Podests im Zentrum