Bei all den aus fachlicher Sicht durchaus bedenklichen und fragwürdigen Beobachtungen, die man innerhalb der Klopfanwender-Community machen konnte und kann, wozu auch unreflektierte Heilsversprechen und esoterische Erklärungen zählen, kann jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Klopftechniken in der Anwendung tatsächlich häufig und problemlos funktionieren und ja vielleicht gerade deshalb manch einen dazu verleiten, die eigenen Grenzen und die Grenzen der Technik zu übersehen.
Während also das Klopfen in den ersten Jahren nach 2001 im psychotherapeutischen Feld erst langsam bekannt wurde, haben heute die meisten psychotherapeutisch arbeitenden Kollegen schon irgendetwas über das Klopfen gehört. Sei es von Kolleginnen, sei es auf Tagungen, in Supervisionsgruppen oder durchs Fernsehen oder durch eine der mittlerweile unzählig anmutenden Buchpublikationen. Oder vielleicht auch durch die zunehmende Erwähnung in den Printmedien, wie z. B. in der Süddeutschen Zeitung (Lutz 2009), die über das Phänomen desk rage, also Wutausbrüche im Büro, berichtete und die interviewte Expertin fragte, was sie denn im Falle von ungünstigen Emotionen im Büro empfehle. Sie empfahl jedem Mitarbeiter und jeder Führungskraft, ein paar gute Stressmanagementtechniken zu erlernen, und erwähnte dann anschließend ausschließlich eine Klopftechnik, nämlich EFT (Emotional Freedom Techniques). Auch im Spiegel (Großekathöfer u. Hacke 2009) ließ sich lesen, wie eine bekannte Sportlerin das Klopfen nutzt. Die deutsche Schwimmerin Britta Steffen erzählt in dem Interview, wie sie vor ihren Wettkämpfen mittels Selbstakzeptanzaffirmationen der Energetischen Psychologie und Klopfen vorhandene Ängste und Stress reduziert, so z. B. ihre Angst, dass der Schwimmanzug beim Sich-nach-vorne-Beugen auf dem Startblock reißen könnte. Sie beschreibt ihre Erfahrung wie folgt:
»Dann habe ich meine Handballen gegeneinandergeklopft und den Satz gesagt: ›Ich liebe und akzeptiere mich, auch wenn ich nackig auf dem Startblock stünde.‹ Ich habe das wie immer dreimal gemacht. Und plötzlich: Buff! Alle Nervosität war weg. Ich finde es krass, wie effektiv so eine einfache Übung ist.«
Mittlerweile fragen immer häufiger auch Klienten bei Therapeuten nach, ob sie denn auch mit dem Klopfen arbeiten würden, und mittlerweile hat sich viel verändert hinsichtlich der Integrationsmöglichkeit des Klopfens und der vermuteten Wirkhypothesen.
Die Aufgabe des vorliegenden Buches liegt darin, darzustellen, was das Klopfen eingebettet in der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie, also PEP, auszeichnet. Insgesamt kann man sagen, dass sich PEP gut in die Behandlung verschiedenster Probleme, Symptome, Erkrankungen und in die unterschiedlichsten Behandlungssettings integrieren lässt (siehe auch Bohne u. Ebersberger 2019). Prozessorientiertes Arbeiten in der Psychotherapie ist lange bekannt; ich habe den Versuch unternommen, die wirklich nützlichen und überzeugenden Wirkelemente der Energetischen Psychologie aus ihrem technischen und teils esoterischen Korsett zu befreien, um sie besser in andere Ansätze integrierbar und einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise zugänglich zu machen. In der PEP werden die wirksamsten Interventionstools aus der Energetischen Psychologie genutzt und weiterentwickelt. Weniger gut integrierbare oder starre Tools wurden über Bord geworfen bzw. verändert und mit psychodynamischen, hypnotherapeutischen, verhaltenstherapeutischen und systemischen Tools verbunden, sodass nun eine für einige Kontexte und Anwender gut integrierbare Zusatztechnik bzw. für andere Kontexte und Anwender eine kompakte Methode zur Verfügung steht, die sich mühelos in alle bekannten Psychotherapiemethoden und Ansätze integrieren bzw. mit ihnen kombinieren lässt.
Die Leichtigkeit in der Anwendung und die oft erstaunlich schnelle Wirksamkeit der Klopftechniken und der PEP sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch weiterhin ein profundes klinisches und diagnostisches Wissen der Anwender sinnvoll, nützlich und bei einigen Indikationen unabdingbar ist. So sollte man im Bereich der komplex traumatisierten Patienten und der Patientinnen mit dissoziativen Identitätsstörungen (DIS) auch weiterhin die bekannten und von den Traumagesellschaften vorgeschlagenen Behandlungsempfehlungen beachten. Auch empfiehlt es sich nicht, ohne Erfahrung mit dieser Klientel, sie mit PEP oder dem Klopfen allgemein zu behandeln. Wie sich PEP gut in die Behandlung von komplexen Traumafolgen integrieren lässt, hat Anke Nottelmann (2019) in Synergien nutzen mit PEP dargestellt.
In dem vorliegenden Buch soll die prozessorientierte Weiterentwicklung des Klopfens (PEP) beschrieben werden. Wie PEP dezidiert in die verschiedenen anderen Methoden integriert werden kann und welchen Nutzen und Zugewinn PEP dort hat, ist in Synergien nutzen mit PEP nachzulesen.
Die prozessorientierte Weiterentwicklung zeigt sich auch in ihrem Namen, denn auch dieser weist darauf hin, dass das Ganze lange Zeit im Fluss war. Zunächst stand PEP für Prozessorientierte Energetische Psychologie, hierbei war mir vor allem eine Abgrenzung zu den technik- und protokolllastigen Ansätzen wichtig. Da jedoch viele Anwender Schwierigkeiten mit den energetischen Implikationen hatten und haben und überdies wenig dafür spricht, dass es sich um rein energetische Wirkfaktoren handelt, die am Werke sind, hat sich eine eher wissenschaftlich orientierte, die Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper würdigende Terminologie angeboten, nämlich der Begriff des Embodiments (siehe auch Storch et al. 2006).
Embodiment verwendet man in der Psychologie (besonders der Sozialpsychologie und Klinischen Psychologie) zunehmend, um die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche zu betonen. Nicht nur drücken sich psychische Zustände im Körper aus, und zwar nonverbal als Gestik, Mimik oder Körperhaltung, sondern es zeigen sich auch Wirkungen in umgekehrter Richtung: Körperzustände beeinflussen psychische Zustände. Beispielsweise haben Körperhaltungen, die aus irgendeinem Grund eingenommen werden, Auswirkungen auf die Kognition (z. B. Urteile, Einstellungen) und Emotionalität4, wie sie z. B. auch der amerikanische Psychologe Paul Ekman in vielen Studien beschrieben hat.5 Was mich noch dazu inspiriert hat, den Begriff »Embodiment« zu nutzen, ist ein Beitrag des Neurobiologen Gerald Hüther in dem Buch Embodiment (Storch et al. 2006). Hier beschreibt der Autor, wie wesentlich es aus neurobiologischer Sicht ist, den Körper bei emotionalen Veränderungsprozessen mit einzubeziehen. Dieses Wissen ist jedoch nicht neu. Schon Wilhelm Reich hat vor ca. 100 Jahren mit seiner Arbeit die Grundlagen für viele körperpsychotherapeutische Methoden gelegt. Die Klopftechniken nutzen augenscheinlich auch die Beeinflussung des Körpers, der Begriff »Körperpsychotherapie« würde jedoch die Klopftechniken nicht wirklich treffend beschreiben, da sich Körperpsychotherapien weit umfangreicher mit dem Körper beschäftigen und da das Klopfen ja nur eine Intervention ist. Deshalb lag es auf der Hand, einen neuen, noch unverbrauchten Begriff zu nutzen, um zu beschreiben, was in der PEP gemacht wird und wie man sich die Wirkungsweise erklärt. »Embodimentfokussierung« meint, dass der Fokus bei der Diagnostik, der Behandlung und bei der Ressourcenaktivierung eben zu einem großen Teil auf dem körperlichen Netzwerk liegt. Deshalb wurde PEP zur Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie,