Neros Mütter. Birgit Schönau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Birgit Schönau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783946334989
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(Friseurin) oder Zofe, als Mundschenk, Kellermeister, Buchhalter oder gar Vermögensverwalter, zumeist gegen Lohn. Manche bekamen so viel, dass sie sich freikaufen konnten, andere wurden von ihrem Herrn befreit. Das war so verbreitet, dass Augustus für liberti (Freigelassene) ein Mindestalter von dreißig Jahren festlegte. Für testamentarische Freilassungen, die den größten Anteil ausmachten, wurde eine Höchstzahl von hundert pro Erblasser angeordnet.

      Die liberti bildeten eine Klasse für sich auf dem Weg nach oben. Vor allem diejenigen mit höherer Bildung wie etwa Lehrer, Ärzte und Verwalter hatten gute Chancen, als römische Bürger Karriere zu machen. Unter Claudius konnten sie in höchste Regierungsämter aufsteigen, aber schon Augustus verkehrte persönlich im Haus des reichen Vedius Pollio. Der Sohn eines Ex-Sklaven war zum Ritter aufgestiegen und beschäftigte nun seinerseits jede Menge Sklaven. Als einer seiner Leibeigenen aus Ungeschick ein teures Kristallglas zerbrach, wollte der aufgebrachte Pollio ihn zur Strafe auf der Stelle töten. Augustus ließ sich daraufhin alle im Palast befindlichen Gläser bringen – und gab Befehl, sie zu zertrümmern. Pollio vermachte, um weiterer Bestrafung zu entgehen, dem Prinzeps testamentarisch seinen ganzen Besitz.

      Die Ritter, zu denen der Sklaventreiber Pollio gehörte, waren als »zweiter Stand« gleich unter den Senatoren etabliert. Es handelte sich gewissermaßen um den Geldadel, denn das vorgeschriebene Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen zur Aufnahme in den Ritterstand musste nicht nur aus Landbesitz bestehen, sondern konnte auch aus Handwerk, Handel oder Kreditvergabe erwirtschaftet werden. Besonders Letzteres machte nicht wenige Ritter reicher als die Senatoren. Den Gewinn aus ihren Geschäften investierten diese Bankiers beispielsweise in Immobilien, manchen gehörten halbe Stadtviertel. Der jüngere Plinius, ein erfolgreicher Anwalt und Staatsbediensteter, der es unter Trajan zum Konsul gebracht hatte, vererbte laut Testament fast zwanzig Millionen Sesterzen, betrachtete sich aber deshalb noch lange nicht als reichen Mann.

      Plinius war vom Kaiser in den Senatorenstand befördert worden und hatte damit die oberste Schicht der Gesellschaftspyramide erreicht. Senatoren mussten mindestens eine Million Sesterzen (unter Augustus 1,2 Millionen) besitzen, die meisten waren aber sehr viel wohlhabender. Ihre Domänen in den Provinzen warfen so viel Ertrag ab, dass sie in Rom mit dem Geld nur so um sich werfen konnten. So soll Crassus, der wichtigste Geldgeber Cäsars, und reichste Römer seiner Zeit, über zweihundert Millionen Sesterzen verfügt haben. Cornelius Lentulus, ein Zeitgenosse von Tiberius, hatte sagenhafte vierhundert Millionen Sesterzen aufgehäuft, ebenso Narcissus, der mächtigste von Claudius’ Freigelassenen. Neros Berater Seneca kam immerhin auf dreihundert Millionen Sesterzen – obwohl er als Stoiker angeblich gar nicht an Geld interessiert war.

      Augustus verkleinerte den Senat von tausend auf sechshundert Plätze. Gleichzeitig machte er das Senatorenamt erblich, verwandelte diesen Stand also in eine städtische Aristokratie. Diese existierte allerdings nicht unabhängig vom Kaiser, der jederzeit Senatoren berufen oder ihnen den Sitz entziehen konnte. Offiziell war Rom keine Monarchie, und so blieb die alte Adelsrepublik mit dem Senat als repräsentativem Staatskörper zumindest der Form halber weiter bestehen. Debatten fanden nach wie vor zweimal im Monat statt und wurden gewissenhaft protokolliert. Auch das Konsulat wurde weiter als höchstes Staatsamt von zwei Männern ausgeübt, allerdings war oft einer von ihnen der Prinzeps selbst. Doch die Senatoren ließen sich nicht zu bloßen Befehlsempfängern herabwürdigen, schließlich konnte niemand das riesige Reich allein regieren. So teilten sich die Oligarchen nach wie vor einen Gutteil der Macht und Pfründen in einer verwirrenden Vielzahl von Posten und Ämtern, die von der Verwaltung der reichsten Provinzen über den Kurator des Tibers und der städtischen Kanalisation bis zum Kommando der Legionen reichte.

      Rom war ein klientelistisches Gefüge, in dem jeder Senator eine Vielzahl von Schutzbedürftigen (clientela) vertrat, ihr bei Gericht beistand oder sie finanziell unterstützte. Daraus ergab sich ein fein gesponnenes, politisch-soziales Netz wechselseitiger Abhängigkeiten, mit dem Prinzeps als Verknüpfer der Fäden im Zentrum der Macht. In seinem Rechenschaftsbericht bezeichnet sich Augustus als princeps senatus, also erster Mann des Senats, wie es seinem Selbstverständnis und seiner Herrschaftsideologie entsprach. Die Dialektik zwischen Prinzeps und Senat bestimmte die Politik, wobei jeder Herrscher mit Verschwörungen und Umsturzversuchen zu kämpfen hatte. Als primus inter pares war der Prinzeps auf eine möglichst breite Zustimmung angewiesen, die er erhielt, indem er sich möglichst nicht als Diktator gerierte. Augustus gelang das meisterhaft, seinen Nachfolgern weniger. Tiberius wollte dem Ältestenrat zunächst republikanische Macht zurückerstatten und ließ ihn dann von seinem Vasallen Sejan unterwerfen. Claudius gewährte Freigelassenen zu viel Macht. Caligula und Nero brachten die Aristokraten derart gegen sich auf, dass sie gestürzt wurden.

      Zwischen den einzelnen Schichten der Gesellschaftspyramide herrschte eine gewisse Durchlässigkeit, doch die ökonomischen Unterschiede waren riesig. Eine gewaltige Kluft trennte einfache Bürger von Senatoren, aber auch die Aristokraten vom Prinzeps. Bereits Augustus war der reichste Mann von Rom. Sein Besitz stammte aus Kriegsbeute und den Enteignungen seiner Feinde, bevor er dazu überging, auch noch seine Freunde zu beerben – den Feldherrn Marcus Agrippa und Maecenas, den sprichwörtlich spendablen Ur-Mäzen von Künstlern und Literaten. Zum Prinzeps flossen die Steuern aus den reichen Provinzen, von denen die reichste, Ägypten, ihm ohnehin persönlich unterstand. Sein Reichtum stand quasi emblematisch für die Größe Roms, er nahm gigantische Summen ein und gab viel Geld mit vollen Händen wieder aus, wobei er den Anschein des Maßhaltens wahren musste, denn nichts schadete seinem Ansehen mehr als der Exzess. Rom leistete sich einen gottgleichen Prinzeps, aber keinen Despoten. Bei aller Macht und Prachtentfaltung blieben die Herrscher nahbar. Das Volk begegnete ihnen im Theater und bei Gericht und ließ sie dabei Beliebtheit oder Kritik deutlich spüren. Überall gehörten zu diesem Volk ganz selbstverständlich auch die Frauen. Bei Gericht hatten sie im Publikum ebenso Zugang wie in den Thermen und im Circus. Sie arbeiteten – als Schneiderinnen, Friseurinnen, Hebammen, Ammen, Händlerinnen, aber auch als Ärztinnen, Erzieherinnen und Schreiberinnen. Rom war also auch eine Stadt der Frauen. Aus dem Geflecht der Macht allerdings waren sie ausgeschlossen. Weder konnten sie Aufwartungen machen, noch öffentlich, also etwa im Gericht, reden. Frauen waren von Staatsämtern ausgeschlossen, sie durften den Senat noch nicht einmal betreten. Je stärker sich das Kaisertum etablierte, desto emanzipierter wurden allerdings die Frauen der Oberschicht und desto stärker beanspruchten die Frauen innerhalb der Kaiserfamilie ihren Teil an der Macht.

      So gewaltig, wie sich Stand und Leben der römischen Männer voneinander unterschieden, waren auch die Unterschiede zwischen den Frauen. Eine frei geborene Näherin aus der suburra (Unterstadt) zwischen Forum und Esquilin-Hügel konnte sich beim besten Willen nicht den Alltag der Augustus-Tochter Julia vorstellen, die in ihrem Palast rund um die Uhr von Kosmetikerinnen und Ankleidesklavinnen betreut wurde und mit ihrem Vater beim Abendessen um einen Einsatz würfelte, der dem zwanzigfachen Jahreslohn eines Handwerkers entsprach. Eines jedoch verband Julia in ihren freskengeschmückten Privatgemächern mit der Plebejerin in ihrer rauchgeschwärzten insula-Wohnung: Sie gehörten zum benachteiligten Geschlecht. In jedem Lebensalter und in jeder Gesellschaftsschicht bestimmte ein Mann über ihr Leben und ihren sozialen Status. Ihre Hauptaufgabe war es, Kinder zu gebären, je nach Stand Sklaven, Bürger oder sogar Prinzen, alle möglichst männlichen Geschlechts.

      Der Chronist Cassius Dio berichtet, dass im Rom des Augustus weitaus mehr Männer als Frauen lebten. Das Ungleichgewicht erklärte sich zum einen aus der hohen Sterblichkeit der Wöchnerinnen, aber auch aus der höheren Kindersterblichkeit bei Mädchen. Kindsaussetzungen oder die Tötung von Neugeborenen, durchaus gängige Praktiken zur »Familienkontrolle«, trafen weibliche Babys häufiger. Frauen hatten nur durch Heirat Aufstiegschancen, sie waren für die Familien ein Kostenfaktor. Also sparte man bei ihnen an Nahrung, Bildung und medizinischer Versorgung. Auch von den staatlichen Getreidespenden waren sie ausgeschlossen und mussten sich mit dem zufriedengeben, was ihnen die Männer in der Familie übrigließen. Ein Frauenleben war in allen Ständen weniger wert.

      Sogar ganz unten, in der Leibeigenschaft, gab es zwischen den Geschlechtern noch Abstufungen der Rechtlosigkeit. Sklaven beider Geschlechter mussten für ihre Herrn jede Art von Arbeit verrichten, auch sexuelle Dienste gehörten dazu. Männlichen Sklaven aber durften mit Erlaubnis ihres Besitzers sexuell über ihre weiblichen »Kolleginnen« verfügen.