Steve schlenderte den Gang entlang und blieb vor Nummer 312 stehen. Das war das Zimmer. Er beugte sich zum Schlüsselloch, aber nichts war zu sehen. Dann legte er sein Ohr an die Tür – kein Laut. Er holte sein unscheinbares Mehrzweckinstrument aus der Tasche, dem man nicht gleich ansah, wofür es in der Hauptsache verwendet wurde.
Er schraubte es auseinander und schob den verstellbaren Dietrich in das altmodische Schloss. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er die Zuhaltungen gelöst hatte. Die Tür war auf, und Steve McCoy trat ein.
Mit schnellem Blick hatte er den Raum überflogen und nichts Verdächtiges festgestellt. Er drückte die Tür wieder ins Schloss und trat in die Mitte des Zimmers. Es sah unbewohnt aus, wenn man von ein paar Dingen absah, die auf dem Nachttisch lagen.
Steve öffnete den Kleiderschrank. Zwei Anzüge hingen darin, in den Fächern lag Wäsche. Unten stand ein billiger Koffer. Er hob ihn hoch und öffnete ihn, aber es war nichts Bemerkenswertes drin. Nur das Gewicht war ungewöhnlich.
Auf Steve McCoys Stirn erschien eine nachdenkliche Falte. Er schüttelte den Koffer, aber es war nichts zu hören. Schnell tastete er die Nähte ab und verglich die Maße außen und innen miteinander. Aber der Agent konnte nichts entdecken. Er hatte nicht genügend Zeit, um sich intensiv mit der Suche nach dem Geheimversteck abzugeben, obwohl er mittlerweile überzeugt war, dass es sich bei dem Koffer nicht um ein normales Gepäckstück handelte. Das Gewicht passte einfach nicht!
Steve stellte den Koffer wieder ab, anschließend wandte er sich zu der Kommode um und wühlte sie mit geübten Griffen durch. Auch hier war nichts zu entdecken. In der untersten Schublade lag ein Leintuch mit dunklen Flecken.
Er nahm es nachdenklich in die Hand und roch daran. Ein schwacher Geruch von Metall und Öl stieg in seine Nase. Er hätte schwören können, dass sich vor kurzer Zeit in diesem Tuch eine gut geölte Schusswaffe befand.
Sein Interesse für den Dicken mit dem roten Gesicht wuchs. Schnell riss er die Schublade des Nachttisches auf, aber außer einem Koran lag dort nichts, Papiere schon gar nicht. Die hatte der Mann vermutlich bei sich. Überhaupt machte alles einen sehr unpersönlichen Eindruck.
Steve warf noch einen Blick ins Badezimmer. Als er den elektrischen Rasierapparat aus dem Etui nahm, entdeckte er die winzige Minox-Kamera. Behutsam legte er das Gerät wieder zurück. Diesen Mann musste er im Auge behalten! Er war sicher kein gewöhnlicher Tourist. Und Steve McCoy liebte keine Ungewissheiten, er musste wissen, wer dieser Mann war und ob er womöglich etwas mit seinem eigenen Auftrag zu tun hatte.
Er verließ das Zimmer so unbemerkt, wie er es betreten hatte. Es war Zeit für sein zweites Treffen mit Mike Andrews. Sie mussten das weitere Vorgehen festlegen, nachdem Steve sich einen ersten Eindruck verschafft hatte.
Auf dem Weg nach unten warf er noch einen Blick in den Speisesaal. Die Delegation saß noch beisammen. Sie tranken Kaffee und Wodka. Bis auf den flüchtigen Blick eines der Geheimagenten nahm niemand Notiz von ihm.
Der Dicke mit dem roten Gesicht saß nicht mehr an seinem Platz. Steve McCoy nagte an seiner Unterlippe. Ihn beschlich ein verdammt ungutes Gefühl.
Abrupt drehte er sich um und verließ den Speisesaal.
Auf der Straße winkte er einem Taxi. Als er den Preis ausgehandelt hatte, zwängte er sich auf die zerschlissenen Polster des alten Mercedes und ließ sich zu seinem Treffpunkt bringen.
8.
Das Boot wirkte aus der Entfernung wie eine private Motorjacht. Es war zweiundzwanzig Meter lang und knapp sechs Meter breit. Es lag ungünstig im Wind und tauchte ständig tief in die Wellen ein, sodass nur die merkwürdigen Aufbauten zu sehen waren, die den ersten Eindruck einer Privatjacht zunichtemachten. Im vorderen Drittel lag ein niedriges, ungeschütztes Deckhäuschen, und vom Heck ragte der Lauf einer Kanone in leichtem Winkel in die Luft.
Das Fahrzeug war eine Vosper 70 MTB mit einer Wasserverdrängung von siebenundvierzig Tonnen und lief vierzig Knoten. Am Heck baumelte die israelische Flagge.
Eigentlich war die Vosper ein Torpedoboot. Auf beiden Bugseiten waren Abschussvorrichtungen für 18-Zoll-Torpedos befestigt. Die Rohre zeigten leicht nach unten. Auf dem Achterdeck konnten noch zwei Reservetorpedos befestigt werden. Aber bei diesem Boot waren die Halterungen leer, schließlich befand man sich nicht im kriegsmäßigen Einsatz.
Die Vosper war in ausreichender Entfernung die ganze libanesische Küste entlanggefahren, ohne entdeckt zu werden, und hatte dann Kurs auf Latakia genommen. An Bord befanden sich starke Fernrohre, die mit Kameras gekoppelt waren. Ihr Auftrag lautete, nur zu beobachten und bei einer Entdeckung sofort zu fliehen.
Der Kommandant, ein Leutnant, hob das Fernglas an die Augen und suchte den Küstenstreifen ab. Die Informationen waren richtig gewesen. Hier ging tatsächlich etwas Ungewöhnliches vor, wenn er sich auch keinen Reim darauf machen konnte, was diese komische schwimmende Insel zu bedeuten hatte. Mit Erdöl dürfte es wohl kaum zu tun haben. Er lächelte schwach. Es wäre idiotisch gewesen, in der See zu suchen, wenn es das flüssige Gold dicht unter dem Sand der Wüste gab.
Diese Konstruktion hatte eine andere Bedeutung! Er hörte das Surren der Kameras – vielleicht konnten die Spezialisten etwas damit anfangen, wenn sie sich die Filme zu Hause ansahen.
Ein lauter Ruf schreckte ihn aus seinen Gedanken. Ein Mann seiner Besatzung schrie aufgeregt und deutete in den Himmel. Der Leutnant begriff die Situation sofort. Die beiden dunklen Punkte näherten sich rasch.
Der Leutnant war sich darüber im Klaren, dass er sich zu dicht an der Küste befand, er hatte den Hoheitsraum einwandfrei verletzt. Aber er hatte nur auf sein Glück vertraut, denn sein Boot besaß kein Radar, das ihn vor Flugzeugen rechtzeitig warnen konnte.
Präzise kamen seine Kommandos. Das Motorengeräusch wurde lauter, und die drei Schrauben drehten sich schneller. Das Ruder wurde herumgelegt, das Boot nahm Kurs auf die offene See. Der Leutnant blickte wieder in den Himmel und wusste, dass er es nicht schaffen würde. Die beiden Flugzeuge waren schon viel zu nah.
Seine Torpedos konnten ihm in diesem Fall nichts nützen. Er bellte einen Befehl, und die Bedienungsmannschaft nahm ihre Plätze an dem 40-mm-Bofors-Geschütz ein. Es kam ihm unglaublich langsam vor, als der Lauf der Kanone allmählich in die Höhe ging. Die Bofors war im Grunde nicht für eine Flugzeugabwehr gedacht, der Schusswinkel reichte dafür nicht aus. Es war nur eine symbolische Geste.
Die Flugzeuge kippten über die Tragflächen ab und kamen tiefer. Der Leutnant erkannte die Deltaflügel der MIG 21, die genau auf sein Boot zurasten. Dann waren sie auch schon über ihm. Er presste die Hände gegen die Ohren – so laut war das Dröhnen der Maschinen, als sie in geringer Höhe über ihn hinwegdonnerten.
Die beiden Düsenjäger zogen wieder in die Höhe und trennten sich. In weiten Kurven versuchten sie einen neuen Anflug.
Der Leutnant erkannte das Gesicht eines Piloten mit der Sauerstoffmaske, als sich die Maschine unmittelbar über seinem Mast befand. Das Boot schwankte heftig, und seine Leute kurbelten an der Bofors.
Kurz darauf waren die beiden Maschinen abermals heran. Wieder das unerträgliche Dröhnen.
Und das Spiel begann von Neuem. Die Maschinen zogen hoch, schwenkten in eine Kurve und flogen erneut an. In diesem Augenblick verlor der junge Offizier die Nerven.
Er sprang zum Steuerrad, das sich im offenen Deckhaus befand, drängte den Rudergänger zur Seite und drehte das Rad wie ein Wilder, bis das Heck des Bootes zu den anfliegenden Maschinen zeigte.
Als sie tief genug waren, brüllte er „Feuer!“ und in rascher Folge jagten die Geschosse aus der Kanone.
Der Mann wusste genau, dass es völlig sinnlos war.
Die Piloten wussten zwar auch, dass die Kanone ihnen nur durch einen Zufallstreffer gefährlich werden konnte, aber sie waren auf jeden Fall überrascht. Steil zogen sie die Maschinen hoch und gingen in eine weite Kurve – jetzt wieder dicht nebeneinander.
Der