Wenn man sich einmal klar macht, wie viele solcher fokussierenden Kommunikationsprozesse im Alltag auf uns einrieseln (Nachrichten, Werbung, übliche redundante Kommunikation am Arbeitsplatz, familiäre Kommunikation), wird deutlich, wie oft und wie unterschwellig intensiv wir im Alltag hypnotisiert werden und uns gegenseitig hypnotisieren, aber auch, wie oft wir uns z. B. durch innere Dialoge und andere Selbstkommunikationen selbst hypnotisieren, ohne es zu wollen. Oder wenn wir uns vergegenwärtigen, wie im Gesundheitssystem (welches ich lieber als Krankheitssystem bezeichnen möchte) – auch aufgrund der Bedingungen, welche die Krankenkassen setzen – in krass einseitiger Weise defizit- und pathologiefokussierend über Klienten kommuniziert wird und auch werden muss, wenn die Kasse bezahlen soll, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn alle Beteiligten, Helfer ebenso wie Klienten, einen sehr eingeengten „Tranceblick“ entwickeln, sodass kaum noch eventuelle Kompetenzen und Ressourcen bei den Klienten wahrgenommen werden können. Aus diesem Grund habe ich in der Fachklinik am Hardberg in der Abteilung für hypnosystemische Psychosomatik, die ich dort leite, seit langer Zeit eingeführt, dass wir die obligatorischen pathologieorientierten Berichte über Klienten systematisch durch Kompetenzberichte ergänzen, beide auch den Klienten zur Einsicht geben und sie bitten, die jeweilige Wirkung der Berichte auf ihr Erleben zu prüfen. So können wir wenigstens (kompetenzfokussierend gedacht) aus dieser Zwickmühle einen konstruktiven Nutzen machen (siehe auch das Kapitel Die Klinik als lernende Organisation).
Die regelhaften Muster im System als Tranceinduktion („Regeltrance“)
Auch die Erfahrungen mit den Priming-Experimenten weisen darauf hin, dass wir uns jeden Tag permanent wechselseitig „hypnotisieren“ durch kommunikative Angebote, welche die Bahnung von Assoziationen anregen („hypnotisieren“ im Sinne von wirksamer Fokussierung von Aufmerksamkeit auf allen Sinneskanälen, die unwillkürliches Erleben aktiviert).
Die Beteiligten in einem System wirken also durch ihre jeweiligen Beiträge als permanente „Einladung“ zu bestimmten Fokussierungen auf die anderen ein. Dabei ist kein Beteiligter gezwungen, in einer bestimmten Weise auf die Einladungen der anderen einzugehen, alle sind ja autonome lebende Systeme, wir sind alle Umwelten füreinander, die sich gegenseitig letztlich nicht zu etwas zwingen können. Damit das jeweilige System aber funktionieren kann, werden wechselseitig kontinuierlich Feedbacks produziert, die dazu dienen sollen, die Regelungen zu reproduzieren, die von den Beteiligten als hilfreich oder notwendig für den Bestand des Systems angesehen werden. Diese Feedbacks wirken als intensive Einladung zur Fokussierung der Aufmerksamkeit der Beteiligten auf allen Sinneskanälen und haben den Zweck, bestimmte Glaubenshaltungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten im Sinne von „Was ist richtig/falsch, gut/böse?“ etc. Und wenn ein Beteiligter aus der Sicht der anderen zu sehr von diesen Regelungen abweicht, wird er eventuell sehr heftiges, ja sogar schmerzhaftes Feedback dafür bekommen – oder besonders belohnendes, wenn er Beiträge liefert, die als sehr dienlich für das System angesehen werden. Auch heftigstes schmerzliches Feedback muss niemanden dazu veranlassen, die als gültig gehandelten Regelungen zu befolgen, ebenso kann sich jemand gegen noch so belohnendes Feedback abgrenzen. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden unter diesen Feedbackbedingungen die meisten Beteiligten diese Fokussierungseinladungen damit beantworten, dass sie ihre Wahrnehmung selektiv ausrichten auf alles, was diese Systemregelungen bestätigt. Damit wird aber ihr Erleben indirekt-hypnotisch gestaltet, Erleben und Verhalten werden auch unwillkürlich dem als gültig erlebten System angepasst. So „passiert es ganz unwillkürlich“, dass Denken, Fühlen, Physiologie und Verhalten wie von allein systemadäquat ausgerichtet werden, es sei denn, man wäre bereit, dafür einen hohen Feedbackpreis zu bezahlen. Diese Art des systembezogenen Erlebens habe ich „organisationale Regeltrance“ genannt.
Selbstverständlich bedeutet dies nicht Trance, wie sie klassisch definiert wird. Aber die geeichte Interaktion führt zu einem Bewusstseinszustand, aus dem wieder ein Verhalten hervorgeht, das genau diesen Bewusstseinszustand bestätigt. Familien mit psychotischen Mitgliedern verhalten sich z. B. oft so, als ob die Regel gälte, dass nichts in der Kommunikation und in den Beziehungen eindeutig und klar definiert werden dürfte. Dies führt, was nach meinem Eindruck von keiner der beteiligten Personen beabsichtigt ist, oft zu Verwirrung und Misstrauen untereinander. Dies wieder verstärkt die Tendenz, nichts zu klären. Eine Familie bat uns z. B., Stillschweigen darüber zu bewahren, dass die Mutter uns in einem Brief über das gestörte Verhalten eines abwesenden Sohnes geschrieben hatte. Alle in der Familie wussten von dem Brief, nur nicht dieser Sohn. Die Befürchtung der anderen war es, der Sohn könne in seiner paranoiden Meinung bestätigt werden, dass hinter seinem Rücken in der Familie etwas geschehe, wenn er von diesem Brief erfahre, der hinter seinem Rücken geschrieben wurde.
Familien, in denen psychosomatische Probleme auftreten, verhalten sich oft so, als ob sie sich an Regeln orientierten wie: „Die Bedürfnisse der anderen sind wichtiger als die eigenen!“ – „Man muss sich ganz normal verhalten, darf nicht auffallen oder abweichen.“ – „Man ist für die anderen mehr verantwortlich als diese für sich.“ – „Man muss fast alle privaten Dinge gemeinsam machen, darf sich nicht abgrenzen.“ Trennung wird emotional oft als bedrohlich, gar existenziell gefährlich erlebt. Ähnliches gilt für Konflikte, man orientiert sich intensiv auf Harmonie. Interaktionen, die so geregelt werden, münden oft ein in massivem Unwohlsein, latenter Angst, großer innerer Spannung, Gefühlen von Leere; häufig besteht der Glaube, dass man nie sein darf, wie man wirklich ist, dass so zu sein sogar zu einer Katastrophe führen würde. Das daraus abgeleitete Verhalten bestätigt dann natürlich wieder diesen Bewusstseinszustand.
Ritterman (1983) gibt einige Beispiele, wie in Familien die Interaktion zur Induktion eines pathologisch erscheinenden Bewusstseinszustandes führen kann.
Grundaufgaben einer kompetenzfokussierenden Hypnotherapie
Schon aus dem, was sich in der Gestaltungsdynamik von Träumen zeigt, worauf Priming hinweist und was sich aus der Potenzialhypothese ergibt, kann man ablesen, wie eine Kommunikation aufgebaut sein sollte, die ein gezielt angestrebtes unwillkürliches Erleben aktivieren will. Die zentrale Aufgabe der Therapie und Beratung wird es dann dementsprechend sein, so intensiv und systematisch als möglich Fokussierungshilfen anzubieten, um diese Potenziale wieder zu suchen (Suchprozesse), zu finden und zu aktivieren und dann so nachhaltig als möglich in die gewünschten Lebenskontexte zu assoziieren. Insofern bezeichnen wir die ericksonschen und alle damit verwandten Verfahren als kompetenzorientierte oder kompetenzfokussierende Verfahren. Dazu gehört auch der lösungsfokussierende Ansatz (de Shazer 1989a, 1989b, 1994), dessen wesentlichsten Grundideen und typischen lösungsfokussierenden Interventionen (z. B. „Wunderfragen“ oder „Ausnahmefragen“) direkt aus den ericksonschen Strategien der „Pseudoorientierung in der Zeit“ oder „Altersprogression“ abgeleitet sind (Erickson 1954). Sie versuchen, die für den angestrebten Erfolg hilfreichen Erfahrungen durch Reassoziation wieder erlebbar zu machen.
Praktisch alle hypnotherapeutischen Maßnahmen, ob sie nun als offiziell so definierte Tranceinduktionen oder mehr als indirekt fokussierende Gespräche konzipiert sind, werden (bei aller inhaltlich denkbaren Unterschiedlichkeit) dementsprechend letztlich nach ähnlichen Strukturprinzipien aufgebaut:
Eine Induktion soll ja von einem Erlebniszustand (dem gewohnten üblichen Wachzustand) weg und hin zu dem angestrebten Erleben führen – ob dies „Trance“ genannt wird oder nicht. Ich will die typischen Schritte im weiteren Verlauf sinnbildlich beschreiben: Das Vorgehen kommt damit einer Erlebnisreise von einer Situation in eine andere, zum gegebenen Zeitpunkt mehr gewünschte, gleich. Wollen Therapeuten solche „Reisen“