Werden Tranceprozesse jeweils definiert als solche, bei denen intensives unwillkürliches Erleben vorherrscht, bei denen jemand den Eindruck hat, dass „es wie von alleine passiert“, eröffnet sich uns der Blick auf ein weit gespanntes Spektrum von Variationen von Bewusstseins- oder „Trance“-Prozessen. Dies macht die Arbeit im Dienste der Nutzung solcher Prozesse viel flexibler und umfassender, wir können das Wissen davon, wie man hilfreiches Erleben aktiviert, in viel mehr Kontexten anwenden, als wir es mit dem klassischen Tranceverständnis können. Dann wird es auch viel leichter möglich, „Trance“ als wichtige Hilfe für aktive Handlungsvorbereitungen im Alltag zu nutzen, die dann Handlungen im „Flow“ ermöglicht (also erfüllende Tätigkeiten im Alltag in optimalem Kontakt mit allen dafür hilfreichen Eigenkompetenzen). Im Grunde wird der ganze „Trance“-Begriff abgelöst durch den von „kontextbezogenen und zielbezogenen“, mehr oder weniger funktional wirkenden Bewusstseinsprozessen.
Weshalb könnte das Thema „Trance“-Prozess z. B. für therapeutische Aufgaben überhaupt so interessant sein? Alle Forschungen in dem betreffenden Bereich und übrigens auch alle alltägliche Lebenserfahrung zeigen, dass unwillkürliche Prozesse grundsätzlich immer schneller, wirksamer und auch ökonomischer (d. h. mit weniger Energieaufwand) ablaufen als jeder willkürliche Prozess. Will man also ein Erleben oder ein Verhalten nachhaltig für sich entwickeln und einsetzen, empfiehlt es sich sehr, es auf unwillkürlicher Ebene aufzubauen und ablaufen zu lassen. Haben wir in Therapie oder Beratung einen Auftrag, die Klienten dabei zu unterstützen, gewünschtes Erleben aufzubauen, resultiert aus diesem Verständnis folgerichtig die Aufgabe der Therapeuten, systematisch Angebote zu machen, die so viel Aufmerksamkeit als möglich auf dieses gewünschte Erleben fokussieren, um die „Wunschtrance“ zu aktivieren.
Verständnis von Problemen und Symptomen als Ergebnis von selbsthypnotischen Tranceinduktionen
Leider aber gibt es nicht nur gewünschte unwillkürliche Prozesse. Bei der Betrachtung von Symptomen zeigt sich sehr deutlich, dass die Kraft des willkürlichen Wollens meist keine Chance hat gegen unwillkürliche Prozesse. Als Symptom (gerade auch als solches, unter dem man leidet) wird immer nur ein Prozess erlebt, den man auf bewusster, willkürlicher Ebene nicht will, der sich aber dennoch machtvoll auf unwillkürlicher Ebene durchsetzt, auch wenn man willkürlich versucht, dies zu verhindern. Solche Prozesse werden meist vom bewussten, willkürlichen Teil unseres Erlebens abgewertet und bekämpft, das bewusste „Ich“ erlebt sich ja als ausgeliefertes Opfer des unwillkürlichen „Es“. Unbewusste, unwillkürliche Prozesse werden deshalb in unserer Kultur von sehr vielen Menschen als bedrohlich, schlecht, anrüchig, dubios angesehen, rationale, kognitive Prozesse werden meist eindeutig als besser und wünschenswerter angesehen. Die Bekämpfungsversuche aber lösen fast nie das Problem, meist verstärken sie es noch (siehe auch z. B. das Kapitel über Wahrgebungen). Werden bei Individuen und/oder in sozialen Systemen Erlebnisprozesse als bedrohlich und unerwünscht angesehen, werden sie aus der akzeptierten Realität „exkommuniziert“. Wenn diese Prozesse aber für Beteiligte trotzdem noch wichtig und sinnvoll erscheinen (z. B. weil sie Interessen dienen, die allerdings nicht offiziell akzeptiert sind), werden sie aus der bewussten, mehr willkürlichen, mit der offiziellen Ich-Identität verbundenen Erlebnisweise dissoziiert, auf unwillkürlicher Es-Ebene aber, die als nicht selbstverantwortlich gilt, werden sie dennoch gelebt – das „Es ist halt passiert“ bekommt die Verantwortung. So entstehen antagonistische und teilweise destruktive Muster; die jeweils offiziellen Ziele eines Systems werden durch diese Muster unterlaufen, schon deshalb, weil eben unwillkürliche Prozesse schneller und wirksamer ablaufen.
Gerade, wenn man etwas schon länger als Problem erlebt, so zeigt die hypnotherapeutische Erfahrung, engt sich typischerweise der Wahrnehmungsfokus der Betroffenen besonders ein, ihre Erlebnisprozesse sind besonders intensiv mit den Problemmustern assoziiert, man kreist um das Problem, es fallen einem meist nur noch Lösungsstrategien ein, die das Problem geradezu stabilisieren oder verstärken, „die Lösung wird zum Problem“ (Watzlawick). Der Fokus ist dann eingeengt wie bei einer klassischen Fixationshypnose, die unwillkürlich mit dem Problemerleben assoziierten Muster herrschen vor.
Da qualitativ solche Symptomprozesse genau so ablaufen, als ob eine „Trance“ mit Vorherrschen von Unwillkürlichem induziert worden wäre, haben S. Gilligan und ich vorgeschlagen, dies „Symptomtrance“ oder „Problemtrance“ zu nennen (Gilligan 1991; Schmidt 1987b, 1992a).
Unbewusste und unwillkürliche Prozesse als wertvolle Kräfte des Systems
Ein zentrales Grundprinzip ericksonscher Arbeit ist nun in ganz anderer Weise, dass solche unwillkürlichen Prozesse auf unbewusster Ebene quasi autonom (also auch ohne ein dabei aktiv beteiligtes bewusstes, gezieltes Wollen) wirksam werden können. Das so genannte unbewusste Wissen kann so verstanden werden als sehr wichtiger, vertrauenswürdiger Bereich, dessen hilfreiche Kompetenzen man wie eine eigenständig funktionsfähige „Abteilung“ nutzen kann. Perspektiven dieser Art drücken eigentlich nur aus, was jeder Mensch in seiner Alltagserfahrung ohnehin aus vielen Episoden kennt.
Oft erlebt man ja z. B., dass man sich nach dem Namen einer Person fragt oder nach einem bestimmten Buch, dies einem dann aber nicht „einfällt“ (dieser Begriff weist ja schon darauf hin, dass etwas offenbar von irgendwoher ins Bewusste hereinfällt). Je mehr man sich dann bewusst bemüht, sich an das Erfragte zu erinnern, desto mehr „entgleitet“ es einem. Man gibt dann vielleicht auf und wendet sich anderen Dingen zu. Nach Stunden, man hat vielleicht sogar schon wieder vergessen, dass man sich überhaupt gefragt hat, „fällt“ es einem dann doch noch spontan, „wie aus heiterem Himmel“, ein, obwohl (besser gesagt, gerade weil) man sich bewusst und willkürlich überhaupt nicht mehr darum bemüht hat, sich zu erinnern. „Es“ hat sich, ganz eigenständig und sehr kompetent, für einen erinnert.
Prozesse, die üblicherweise außerhalb der bewussten Wahrnehmung ablaufen, also von ihr dissoziiert waren (so genannte unbewusste Prozesse), äußern sich meist am ehesten durch unwillkürliche Impulse, die so, über den Weg der Unwillkürlichkeit, quasi Besuche mit Informationsangeboten im bewussten Wahrnehmungs- und Kommunikationszusammenhang darstellen. Will man ihren Wert verstehen und sie nutzen, setzt dies einen sehr wertschätzenden Umgang mit ihnen voraus. Dies heißt aber nicht, dass man jedem spontanen Impuls folgen müsste, ratsam ist aber, in respektvollen Dialog mit ihnen zu treten, um mit ihrer Energie zieldienlich für das Gesamtsystem kooperieren zu können.
Dafür wäre es gut, wenn ein Mensch mit seinem so genannten „Ich“, d. h. dem willkürlichen, bewussten Wahrnehmungsbereich, der unsere in unserer Kultur gewohnte Alltagsidentität repräsentiert, eine wertschätzende, kooperative Beziehung zu dieser Seite seiner unwillkürlichen Kompetenzen herstellen würde. „Ich“ und „Es“ (also dieser unwillkürliche, intuitive Bereich) sollten, metaphorisch gesagt, gestaltet werden wie ein kooperatives Team.
Wenn sich ein Mensch einseitig parteiisch macht für die Seite der kognitiven Funktionen, wenn ihre so genannte Rationalität zur vorrangig oder allein gültigen Entscheidungsbasis wird und das „Irrationale“ aus dem unwillkürlichen Erlebnisbereich tendenziell vernachlässigt oder abgewertet wird, blockiert er damit einen ganz entscheidenden Teil seiner Wahrnehmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Die moderne Gehirnphysiologie kann überzeugend nachweisen, dass ohnehin praktisch jeder Entscheidungsprozess zunächst schon auf unbewusster Ebene in den Bereichen des Stamm- und Mittelhirns, insbesondere im limbischen System, vorentschieden ist, bevor er ins bewusste Wahrnehmen dringt (Roth 1997; Damasio 1997). Das Primat des aufgeklärten, rationalen, bewussten Denkens ist schlicht eine Illusion, die aber destruktive Folgen haben kann. „Die Erfahrung mit Patienten